Zeitzeuge:Aussortiert und in den Tod geschickt

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Der Holocaust-Überlebende Abba Naor berichtet im Neufahrner OMG von den grausamen Bedingungen im KZ

Von Alexandra Vettori, Neufahrn

Mit 13 Jahren ist Abba Naor, der einer jüdischen Familie aus Litauen entstammt, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in das Ghetto seiner Heimatstadt Kaunas deportiert worden. Es folgten das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig und die Lager Utting am Ammersee und Kaufering I, die zum größten Außenkomplex des KZs Dachau gehörten. Teile seiner Familie kamen in den Lagern um, Abba Naor selbst überlebte, auch den Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Kaufering Ende April 1945, dank der Befreiung durch die Amerikaner. Heute lebt der 89-Jährige in Tel Aviv.

Jedes Jahr aber kommt er nach Deutschland, wo er an Schulen als Zeitzeuge von seiner Leidensgeschichte während des Nationalsozialismus' berichtet. Am vergangenen Mittwoch war Abba Naor im Oskar-Maria-Graf-Gymnasium (OMG), bereits zum vierten Mal, und erzählte den Neuntklässlern aus dem OMG und diesmal auch der Echinger Imma-Mack-Realschule von seinem Leben. Nicht verbittert oder zynisch, sondern fast humorig, wenn auch mit knochentrockenem Unterton. Nach drei Jahren im Ghetto kam am 28. Oktober 1941 der Befehl, dass alle Juden sich um 5 Uhr morgens am Platz der Demokraten zu treffen hatten. Jede Familie wurde aussortiert. Wer nach rechts geschickt wurde, für den bedeutete der Abtransport den Tod. Alle anderen, darunter auch Abba Naor, bekamen Arbeitsausweise.

Als Abba Naor 16 Jahre alt war, kam er mit anderen Gefangenen ins KZ nach Stutthof bei Danzig. Bei der Ankunft trennten sie die Männer und Frauen, zum letzten Mal sah Naor seine Mutter und den kleinen Bruder, die später in Auschwitz starben. Das, so antwortete er später auf die Frage eines Mädchens aus der Zuhörerschaft, sei das Allerschlimmste gewesen, "denn ich wusste, ich sehe sie nie mehr." Wie es dann weiter gegangen sei, nach der Befreiung, wollten die Schüler bei der anschließenden Fragerunde wissen. "Zu bieten hatte ich nichts, keine Schule, keinen Beruf, keine Familie", so lautete die Antwort. Er habe einfach weiter gemacht, fünf Jahre nach der Befreiung schon geheiratet, sagt er, "viele haben es nicht geschafft, die blieben ihr Leben lang in Irrenhäusern."

Die Frage nach der Hygiene im Lager war ebenfalls schnell beantwortet: "Es gab keine Hygiene. Wir haben uns nicht gewaschen und nie die Kleider gewechselt. Man gewöhnt sich, auch an die Läuse, wir haben in Frieden mit ihnen gelebt." Nur dass sie sich vor allem an den Füßen hielten, dort, wo die Holzschuhe Wunden gerieben hatten, sei schmerzhaft gewesen. Auf die Frage nach dem Glauben, kam erst ein lang gezogenes "Ah", und dann antwortete Naor: "Ich beneide jeden, der gläubig ist, weil ich weiß, es ist einfacher zu leben damit. Aber ich habe ein Problem damit." Er sei froh, dass er den Glauben an die Menschen nicht verloren habe, das sei auch wichtig.

Was er von den Deutschen heute halte? Naor lacht fast: "Von wem? Von euch, von den schönen Kindern da mit den hübschen Mädchen?" Statt einer Antwort erzählt er von seinen fünf Enkeln, von denen eine einen Deutschen geheiratet habe. Der sei heute wie ein Enkelsohn für ihn. "Ich habe mit euch kein Problem", sagt Abba Naor, "habt ihr mit mir eines?"

© SZ vom 10.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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