Süddeutsche Zeitung

Wirtshäuser in Erding:Wo gehen wir hin?

Die Gastronomieszene steht vor Veränderungen. An diesem Wochenende schließt der Adlberger in Altenerding, zum Jahresende der Mayr-Wirt. Doch eine neue Generation steht bereit

Von Antonia Steiger

Wer sich im Gasthaus Mayr-Wirt an den Tisch setzt, der tut das unter den Augen des Viehhändlers Peter Scharlach aus Reisen. Er ist gemeinsam mit dem Gastwirt und Metzger Franz Xaver Mayr und dem Viehfahrer Josef Biller aus Erding auf einem der wunderbaren großformatigen Bilder des Chiemsee-Malers Hiasl Maier verewigt. Hiasl Maier wurde in Erding in der Haager Straße geboren. Sein Geburtshaus steht nicht mehr, an seiner Stelle dominiert das Gasthaus Mayr-Wirt die Haager Vorstadt. Es ist eine Institution.

Das letzte Helle im Adlberger

Hier treffen sich Parteien, hier feiern Familien alles, was es zu feiern gibt - "von der Taufe bis zum Begräbnis", wie Wirt Andreas Mayr sagt. Stammtische, Vereine und Kartenspieler haben einen Anlaufpunkt - aber nicht mehr lange. Es zeichnen sich starke Veränderungen in der Gastroszene ab. Die Stammgäste sind bedrückt, sie wissen es schon lange: Der Mayr-Wirt schließt Ende 2017. Ein anderer Treffpunkt verschwindet schon an diesem Wochenende von der Karte: Im Gasthaus zum Adlberger in Altenerding zapft Alwin Lorenz am Samstag das letzte Helle. Die Zukunft des Hauses ist ungewiss.

"Kartenspielen in der Wirtsstube, eine Brotzeit um Mitternacht, das macht ein anständiges Wirtshaus in Bayern aus", sagt Andreas Mayr. So führt er sein Haus, so schätzen es seine Gäste. Wer nach 23 Uhr noch Hunger hat, kann jederzeit nach einer Brotzeit fragen. "So lange wir abends da sind, gibt es auch was." Das ist kein ganz unerhebliches Detail, denn zu den Stammgästen zählen viele Sportler, die nach dem Training Hunger auf ein Paar Dicke mit Senf und Semmel haben.

Der Mayr-Wirt und der Adlberger gehören vor allem aber auch zu den Wirtschaften in Erding, in denen Schafkopfer gerne gesehen sind. Stundenlang können diese Menschen sitzen bleiben, sie trinken Johannisbeerschorle, helles Bier oder leichtes Weißbier. Meist gelassen, mitunter auch ein wenig lebhafter gehen sie ihrem Hobby nach - und versprühen ganz nebenbei eine Atmosphäre, die so typisch ist für das bayerische Wirtshaus. "Kartenspieler sind auch für die Auswärtigen interessant", sagt Mayr, und Alwin Lorenz bestätigt das. Erst die richtige Mischung mache aus einem Wirtshaus ein schönes Wirtshaus. Auch beim Adlberger sind Kartenspieler willkommen, sie teilen sich die Wirtsstube mit Altenerdinger Bürgern, Stammgästen, Stammtischen und Familien, die sich nach dem Thermenbesuch eine ordentliche Portion Schnitzel mit Kartoffelsalat gönnen. Und einmal im Jahr rockt die Altenerdinger Rocknacht den Saal, auch sie muss sich eine neue Bleibe suchen. Sie ist in erster Linie das Baby von Tom Mayr, ein Bruder von Andreas Mayr.

Altenerding hat sich verändert.

Doch so richtig ist das Geschäft beim Adlberger zuletzt nicht gelaufen. Der gastronieerfahrene Alwin Lorenz hatte die Wirtschaft im Mai 2012 übernommen. Er sei vielleicht ein wenig blauäugig gewesen, sagt er heute. Nach Auslandsaufenthalten war er gerade erst ein paar Monate in Erding, als er sich dazu entschloss, beim Adlberger einzusteigen. Wenn es besser gelaufen wäre, dann hätte er "ganz sicher nichts anderes mehr gemacht".

Altenerding hat sich aber stark verändert. Wichtige Institutionen verschwanden aus der Ortsmitte: ein Bäcker, eine Bankfiliale und eine Metzgerei. Stattdessen wuchs der Ortsteil Richtung Süden, doch die Neubürger fanden nicht den Weg in das traditionsreiche Wirtshaus an der Ortsdurchfahrt - zumindest nicht genügend viele Bürger. Was aus dem Wirtshaus nun wird, ist ungewiss. Besitzer Martin Adlberger sagt, es sei alles noch unklar. Es gebe Interessenten, doch dass bayerische Wirtschaften heutzutage noch gut gehen, daran habe er seine Zweifel.

Umso gespannter dürfen die Erdinger sein, was sich auf dem Areal des Mayr-Wirtes in der Haager Straße im kommenden Jahr tut. Die Stadt Erding hat das Gelände schon im Jahr 2009 gekauft, einiges weist darauf hin, dass demnächst Bewegung in die Angelegenheit kommt. Eine Gastwirtschaft wird wieder entstehen, dort sollen auch die beeindruckenden Bilder von Hiasl Maier wieder hängen. Eine Übereinkunft zwischen der Stadt und den Nachfahren der Familie Hiasl Maiers, in deren Besitz die Bilder sind, ist getroffen. Wirt Andreas Mayr wartet noch ab. Er könnte sich vorstellen, sagt er, dass er sich als Wirt bewirbt. Dass die Bilder in der Wirtschaft hängen sollen, das ist ihm wichtig. "Wir freuen uns, wenn das Andenken an Hiasl Maier hochgehalten wird."

Unterdessen wird es zu Verschiebungen kommen - unter anderem in Richtung Münchner Hof. Drei junge Wirte verfolgen dort ein ganz eigenes Konzept, das so leicht aber wohl keine Nachahmer findet: Sepp, Jakob und Vitus Ehrenthaler, 30, 26 und 25 Jahre alt, gehen Berufen nach oder studieren, und nebenbei führen sie die Traditionswirtschaft in der Münchner Straße weiter. "Mit Leidenschaft", wie sie sagen, und in fünfter Generation. Keiner hat auf sie Druck ausgeübt, sie selbst haben sich dazu entschlossen, den Betrieb zu übernehmen. "Was passiert, das bestimmen wir", sagen sie. Die Hilfe ihres Vaters Sepp, des Onkels Ernstl, ein gelernter Koch, und der Oma Irene nehmen sie aber gerne in Anspruch.

Dienstags wird fünf Stunden lange vorgekocht.

Dienstags trifft man sich in der Küche, um fünf Stunden lang vorzukochen: Soßen aus Wurzelgemüse und Knochen, Röstzwiebeln und Suppen, alles hausgemacht. Von Mittwoch bis Samstag wird um 19 Uhr geöffnet, dann kann kommen, wer will: Stammtische, junge Leute, Bauern und Jäger, Rennverein und Narrhalla, Sportler, Geschäftsleute - und Kartenspieler. Die sind auch gerne gesehen.

Sepp Ehrenthaler junior sagt, wenn sie die Wirtschaft nicht in die Hand genommen hätten, "dann wäre es vorbei gewesen". Jakob Ehrenthaler fügt an, das sei eben ihr Hobby. Der Aufwand sei es ihnen wert. "Wir bekommen auch was zurück", zum Beispiel Anerkennung für ihre Küche. "100 Essen in einer Stunde", darauf sind sie stolz, sie haben die Speisekarte bereits weiterentwickelt. Und sie haben noch einen Trumpf im Ärmel: Die Wirtschaft ist brauereifrei - wie der Mayr-Wirt. Das heißt, dass sie das Bier anbieten können, das sie wollen. Wie praktisch: Sie haben einen Fachmann in ihren Reihen. Jakob Ehrenthaler ist Brauer und studiert jetzt in Weihenstephan. Die drei Brüder sagen, sie freuen sich, wenn noch mehr Erdinger kommen. "Wir haben das im Kreuz", glaubt Sepp Ehrenthaler junior. Die Öffnungszeiten werden sie jedoch nicht erweitern. Auch Anfragen von Stammtischen aus dem Mayr-Wirt gibt es bereits, aber alle werden sie nicht aufnehmen können. Und hier sieht Andreas Mayr ein Problem heraufziehen.

Für die Wirte selbst bleibt oft nicht mal der Mindestlohn.

70 Stammtische treffen sich regelmäßig bei ihm. Zu jeder Uhrzeit, an jedem Wochentag. Sie gehören einfach zu einer bayerischen Wirtschaft, findet Mayr. Und es gebe auch Zeiten, da sei man froh, dass wenigstens sie da seien. Vor allem aber gilt: "Jeder geht lieber in eine Wirtschaft, in der schon jemand sitzt." Doch nun haben die Stammtischbrüder und Stammtischschwestern ein Problem. Viele wissen noch nicht, wie es weitergehen soll im neuen Jahr. "Manche Wirte wollen heute keine Stammtische mehr haben", sagt Mayr. Denn ein großes Geschäft lasse sich nicht machen mit Leuten, die stundenlang an ihrem Platz hocken und bei einem Bier über alles Mögliche reden.

Überhaupt das Geschäft: Es wird nicht leichter für die Gastronomen, das bestätigt Bernhard Rötzer, Wirt im Gasthaus zur Post. Nicht der Mindestlohn mache den Wirten zu schaffen, sondern die vielen Auflagen und bürokratischen Erfordernisse, die damit verbunden seien. "Den Mindestlohn haben wir schon vorher gezahlt." Problematisch sei aber auch der Kampf ums Personal, zumal wenn man einen Asylbewerber beschäftigen möchte, dessen Arbeitserlaubnis nicht verlängert wird. "Und wer will denn heute noch Koch lernen?", fragt Rötzer. Deswegen müsse ein Wirt sich selbst zu helfen wissen, zum Beispiel indem er sich in die Küche stellt, wenn ein Koch ausfällt. Das macht auch Rötzer. Und trotzdem müsse er "jede Menge Veranstaltungen ablehnen", weil ihm das Personal fehlt. "Termine, die ich annehme, muss ich auch durchziehen." Das aber erhöhe den Druck auf die Mitarbeiter, und das will Rötzer nicht.

Erst vor wenigen Tage hat er erfahren, dass die Hälfte der bayerischen Wirte weniger als 150 000 Euro Umsatz im Jahr machen. "Viele können das nur machen, wenn sie gemeinsam mit ihrer Frau täglich 12 bis 14 Stunden arbeiten." Was dann dabei herauskommt, sei nicht einmal ein Mindestlohn für die Wirte selber.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2017
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