Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:"Es ist grausam"

Lesezeit: 3 min

Wolfgang Kraus von der Händlergemeinschaft Ardeo ärgert sich über ständig wechselnde Öffnungsregelungen. Online will er sich jetzt weniger abhängig machen, auch von "Endlosbaustellen" vor seiner Ladentür

Interview von Regina Bluhme, Erding

Vor kurzem hat Wolfgang Kraus eine Pressemitteilung verschickt mit dem Hinweis auf die neue kostenlose Schnellteststelle in der ehemaligen Bar Bel Air in Erding. In den vergangenen Monaten war der Vorsitzende von Ardeo, der Gemeinschaft der Innenstadthändler, immer wieder mal Gesprächspartner, wenn es um Click und Collect, Tests und Maskenpflicht ging. Der Anruf der SZ erreicht den Geschäftsführer des Modehauses "Kraus am Eck" am Donnerstag gegen 15 Uhr. In einer Stunde wird er den Laden für diesen Tag wieder schließen, längere Öffnungszeiten rentieren sich einfach nicht im Moment. Die Lage sei mittlerweile "zermürbend", sagt der Erdinger Geschäftsmann.

SZ: Herr Kraus, Sie haben die kostenlose Schnellteststelle publik gemacht. Wird dieser Gratis-Service von Ardeo gesponsert?

Wolfgang Kraus: Nein, aber wir hatten erst unlängst bei Ardeo entsprechende Ideen gesammelt, kurz bevor wir es angehen wollten, gab es dann diese Möglichkeit durch Familie Criepok, die das Center betreibt und dafür staatliche Mittel erhält. Jetzt helfen wir halt, diesen Service publik zu machen. Ich habe inzwischen von vielen gehört, dass das Testen dort ruckzuck und unkompliziert geht und das Team sehr freundlich ist. Also ein Glücksfall.

Eigentlich mag man schon gar nicht mehr fragen. Aber: Wie laufen die Geschäfte?

Sie laufen schlecht. Es ist inzwischen wirklich zermürbend und geht einem an die Nieren.

Dabei hatten Sie mit Kraus am Eck immer noch eine treue Kundschaft, auch bei Click and Meet oder Click and Collect.

Unserer Kundschaft bin ich wirklich dankbar. Sie hat sich schnell an Masken und Terminvergaben gewohnt und das auch akzeptiert. Bei den Schnelltests, die jetzt verlangt wurden, da ist die Akzeptanz aber weniger geworden, wir haben das an den Kundenzahlen gemerkt. Kurz nach der Einführung gab ein oder zwei Tage, da kam niemand. Langsam wird es wieder besser - aber auf sehr niedrigem Niveau. Beim Umsatz sind wir dermaßen weit weg von irgendwelchen anvisierten Zahlen, und das schon im zweiten Jahr.

Das Problem sind auch die ständig neuen Verordnungen.

Jede Woche was anderes: Es kennt sich doch niemand mehr aus! Heute ist Donnerstag, wenn der Bundestag jetzt die sogenannte Notbremse beschließt, dann gelten wieder neue Reglen, neue Grenzwerte. Und wenn Sie hier in der Stadt umherschauen, dann ist es bald in jedem Laden anders: Der eine hat auf, weil er Kaffee verkauft und der andere, weil Brillen verkauft. Die Leute verlieren die Lust, an jeder Tür nachfragen zu müssen.

Man merkt, Sie sind richtig wütend.

Es ist grausam! Auch für das Personal, je nach Inzidenz sollen sie in Kurzarbeit, dann können Sie wieder "normal" kommen. Es ist einfach nur ärgerlich. Vor allem ärgere ich mich, dass die großen Unternehmen weiter produzieren dürfen. Und was ist mit dem Mittelstand und den Wirten?

Aber es gibt schon Unterstützung.

Ja - furchtbar spät, eine Art Vorschuss mit Schätzwerten. Eine nette Geste, ja. Aber zum Überleben reicht das nicht für jemanden, der für seinen Laden Miete zahlen muss. Einige werden ohnehin den Laden nach Ende der Corona-Krise nicht mehr aufmachen. Wann das sein wird, frage ich mich allerdings. Jetzt wäre die Zeit, Herbst- Wintermode zu ordern. Wie viel, was soll ich bestellen? Ich bräuchte einen Blick in die Glaskugel.

Was man aber sicher sagen kann: Der Onlinehandel ist klarer Gewinner der Corona-Krise.

Ich möchte eigentlich Onlinehandel nicht unterstützen, die Leute sollen in die Innenstadt kommen zum Shoppen. Aber ich kann es durchaus nachvollziehen, dass die Leute im Moment lieber Online bestellen.

Haben Sie auch ein Online-Angebot?

Tatsächlich habe ich schon seit einiger Zeit ein Online-Konzept. Es heißt "Kaufmann Kraus". Mit diesem neuen Standbein möchte ich mich weniger von äußeren Umständen wie Zwangsschließungen oder Endlosbaustellen abhängig machen. Online per se ist natürlich nicht verwerflich - in Zukunft sollte es beides geben, online und stationär. So, wie es der Kunde ja schon heute gewohnt ist.

Sie haben die Baustellen angesprochen: Erschwerend kommt ja hinzu, dass die Erdinger Innenstadt seit Monaten sozusagen eine einzige Baustelle ist.

Stimmt, das kommt auch noch dazu. Vor allem erfahren wir ja nie, was als Nächstes geplant ist.

Im Sommer sollen die Arbeiten beendet sein

Ach ja. So ein Sommer kann sich auch bis September ziehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5274303
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.04.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.