Süddeutsche Zeitung

Weichtierforscher-Ehepaar Falkner:Im Bann der Schnecken

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"Man hätschelt sie, man studiert sie - dann schneidet man sie auf": Das Ehepaar Margrit und Gerhard Falkner aus Oberbayern gehört europaweit zu den bedeutendsten Schneckenforschern. Sie haben das Naturkundemuseum in Paris neu organisiert und unbekannte Weichtiere auf Korsika entdeckt. Nur bei einem Projekt scheitern sie immer wieder.

Von Sarah Kanning

Die Aquarien im Flur sehen aus, als gebe es darin kein Leben. Zumindest regt sich nichts, das Wasser ist leicht algig. Doch weit gefehlt. "Das sind unsere Langzeitforschungen", ruft eine Stimme aus der Wohnung. Die Aquarien sind also durchaus bewohnt: Wasserschnecken leben darin, die in Leitungswasser verhungern würden. Sie brauchen Algen, Modder und verrottende Pflanzen.

Ein Hausflur voller Glasbecken und ein Tupperdosenturm im Keller - in jeder Dose eine fingerlange Nacktschnecke, ein Blatt, ein Stück Gurke, Regalwände voller Bücher: Willkommen im Reich der Schneckenforscher Gerhard und Margrit Falkner aus Hörlkofen.

Nun mag so mancher den Beruf des Schneckenforschers, Malakologe heißt er im Fachjargon, für einen Witz halten. Eine böswillige Geringschätzung. Schließlich bilden Weichtiere (Mollusken) den zweitgrößten Tierstamm der Welt. Von den 135 000 Arten leben knapp 400 in Deutschland und davon wiederum knapp 300 in Bayern. Wer Schnecken nur als garstige Schädlinge betrachtet, täuscht sich: 70 Prozent der hiesigen Arten stehen auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Das Ehepaar Falkner gehört europaweit zu den bedeutendsten Forschern auf dem Gebiet der glimpschigen, glibberigen, schleimig-schlonzigen Wesen, die mal ein Haus haben und mal eine Muschelhülle, die klein sein können wie ein Streichholzkopf oder auch so groß wie ein Taufbecken. Vor Körperkonsistenz und Sekret ekeln sie sich längst nicht mehr. Gerhard Falkner, der Zoologe und Paläontologe, und seine Frau, die sich nach einem Arbeitsunfall vom Schuldienst ab und den Schnecken zuwandte, haben fast die ganze Weichtiersammlung im Muséum national d'histoire naturelle, das Naturkundemuseum in Paris, neu organisiert. Sie haben unbekannte Schnecken auf Korsika entdeckt. Und sie arbeiteten sogar mit der Polizei zusammen, wenn die ein Gutachten brauchte.

"Das können Sie sich nicht vorstellen", erzählt Margrit Falkner, "da hat einmal ein Mann versucht, Schnecken auf seinem Balkon zu züchten. Der Schleim war uferlos, ein fürchterlicher Anblick, die armen Schnecken sind verhungert." Gerhard Falkner, der etwas zurückhaltendere Part des Malakologen-Duos, möchte es genauer erklären. "Man sagt, dass eine extensive Schneckenzucht nicht möglich ist. Das ist nicht ganz richtig. Sie ist möglich - aber dann braucht man richtig viel Platz - aber dann ist es wiederum nicht mehr rentabel."

Die beiden sitzen am Esstisch in der mit allerlei Sammeleien vollgestellten Küche. Immer wieder eilt Gerhard Falkner, 70, grauer Rundbart, Professorenbrille, in eines der drei anderen Zimmer, um etwas zu holen. In mehreren Schubladen bewahrt er Schneckenhäuser, Mollusken in Alkohol und Muschelschalen auf. In jedem Raum stapeln sich Bücher bis unter die Decke, die Falkners sind besser sortiert als so manche Bibliothek.

Mal ist es eine Karte, die Falkner holt, mit der die beiden bewiesen haben, dass Weinbergschnecken ortstreu sind. Mal eine Bibliografie. Mal ein Bild von sich selbst als junger Mann, als sie Weinbergschnecken mit rotem Cartier-Nagellack markierten, um zu überprüfen, wie schnell sie wachsen. Zu jedem Bild, zu jedem Gegenstand in Falkners Sammlung fällt dem Ehepaar eine Geschichte ein.

Zum Beispiel, wie es von 1984 bis 2004 als Weichtierforscher den Donauausbau begleitete. An der Stauhaltung Straubing sollten sie herausfinden, ob es dort besonders schützenswerte Arten gibt - und ob diese erhalten oder umgesiedelt werden können. Auf einem verwilderten Gutshof entdeckten die beiden eine "einzigartige" Weinbergschneckenpopulation.

Die Tiere hatten überdurchschnittlich oft das Greisenalter erreicht, die Mehrzahl war älter als 30. Hier konnten die Falkners nachweisen, dass Weinbergschnecken feste Rituale haben. So war beispielsweise immer die gleiche Schnecke morgens als erste wach. Es war auch immer die gleiche, die als letzte in den Winterschlaf ging. Für die Deutsche Bahn untersuchten die Falkners den Streckenausbau Erding - St. Koloman.

Zwar hat nur Gerhard Falkner das entsprechende Fachstudium für Mollusken, Margrit Falkner hat dafür einen Führerschein. Manchmal seien vier Weichtierforscher ohne Führerschein mit bei ihr im Wagen gesessen. Doch besonders gerne erzählen die Falkners von den endemischen Schneckenarten auf Korsika. Sie haben herausgefunden, dass nicht, wie angenommen 93 Arten, sondern 128 vorkommen, von denen 45 endemisch sind. Das Buch der Systematik - die französische Checkliste - liegt schwer in der Hand.

Ein am Strand lebende Weinbergschnecken-Verwandten galt als ausgestorben. Die Falkners fanden einige Exemplare wieder, hielten sie in einem Terrarium und züchteten 250 Jungschnecken in Hörlkofen nach. Diese wilderten sie dann später auf Korsika aus - zwischen einem Armeegelände und dem Schwulenstrich - dem einzigen Platz, an dem sie noch in der Natur vorkommen.

Gerhard Falkner, der Systematiker, hat mehr als 150 Aufsätze zu Schnecken veröffentlicht. Zu seinem 60. Geburtstag haben Kollegen einige Schnecken nach ihm benannt - zwei davon sind die Chondrina falkneri und die Chondrina gerhardi, winzige französische Kornschnecken. Dass seine beiden Anläufe zu einem Doktortitel misslangen, kränkt ihn bis heute. Dabei war es vor allem Pech - kombiniert mit dem Unverständnis der Normalbevölkerung für die schleimigen Weichtiere.

Erst, Falkner forschte über die von ihm entdeckte Halden-Haarschnecke, stellte eine unwissende Putzfrau in den Ferien die Terrarien auf die Heizung. Als Falkner zurückkam, waren alle tot, die Arbeit eines Jahres. Er wagte einen zweiten Versuch. Doch im Freiland fielen Raubschnecken über seine Haarschnecken her und fraßen alle auf. Von wegen, Schnecken seien lahm.

Falkner wandte sich den fossilen Schnecken zu. Während an den Unis die Studenten der 68er-Bewegung streikten, untersuchte er am Magdalensberg in Kärnten römerzeitliche Weichtiere. Dort traf er zum ersten Mal die damals 21-jährige Margrit aus Wien, die ihrem Vater beim Tonscherbenkleben half. Sie, die Anpackende der beiden, fasst die Begegnung pragmatisch zusammen: "Da hab' ich die Scherben Scherben sein lassen und mir vom Gerhard die Schnecken erklären lassen." Als die Anfrage zum Donauausbau kam, brach Falkner seine zweite Doktorarbeit ab. Dann, so beschreibt es Margrit Falkner, stürzten sie sich in die Arbeit.

Inzwischen lassen sie es langsamer angehen. Sie haben den Großteil ihrer Bestände ins Stuttgarter Naturkundemuseum ausgelagert. Bald wollen sie umziehen. Nur vom Tupperdosenturm im Keller, darin sogenannte Schnegel, konnte sich Gerhard Falkner noch nicht trennen. Doch was macht man eigentlich mit Schnecken als Forschungsobjekte? Die Falkners sind da pragmatisch: "Man hätschelt sie, man pflegt sie, man studiert sie - dann schneidet man sie auf."

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Quelle:
SZ vom 30.09.2013
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