Süddeutsche Zeitung

Wasserschloss Fraunberg:Eine Lebensaufgabe

Lesezeit: 7 min

Seit fast 800 Jahren steht nun schon das Schlossgebäude. Es vergeht kein Jahr, in dem nicht was saniert oder restauriert werden muss. Ohne Zuschüsse wäre die Aufgabe für die Familie nicht zu stemmen

Von Gerhard Wilhelm

Wenn man Herdana von Fraunberg fragt, ob ihre Familie reich sei, da sie doch seit Jahrhunderten ein Schloss besitzen, das zu den ältesten Wasserschlössern Bayerns zählt, dann erhält man erst mal ein kurzes Auflachen und dann die Antwort: "Ja, wir sind steinreich. Reich an Steinen". Und damit meint die 77-Jährige nicht Edelsteine, sondern Ziegelsteine. Und von denen gibt es jede Menge. Allein in der rund 100 Meter langen Burgmauer stecken rund 50 000. Wie viele in den dicken Schlossmauern verbaut sind, kann man nur erahnen. Und keiner von ihnen ist identisch mit dem anderen. So wie so gut wie alles am und im Schloss individuell ist. Jedes der rund 50 Fenster ist auf Maß gefertigt. Und damit beginnt schon eines der Probleme: "Wenn was am Schloss saniert werden muss, können wir nicht in den nächsten Baumarkt gehen und Ersatz kaufen", sagt Herdana von Fraunberg. Und es gibt immer etwas zu reparieren. Die Schlossbesitzerin - die andere Hälfte gehört ihrer Schwester Cathrey - kann sich an kein Jahr erinnern, in dem nichts saniert oder restauriert wurde. So, wie bis vor ein paar Tagen die Ostfassade des Schlosses.

Wer ein älteres Haus besitzt oder auch nur zur Miete wohnt, kennt das: Irgendwann geht was kaputt oder muss saniert werden. Man kann sich also vorstellen, wie es mit einem Gebäude ist, dass bald 800 Jahre alt wird und auf Resten einer noch viel älteren Burg erbaut ist, denn die Familie von Fraunberg ist schon seit 1000 Jahren dort angesiedelt. Herdana von Fraunberg betont bei Führungen von Schulkindern gerne, dass es sich beim heute Schloss genannten Gebäude ursprünglich um eine Burg handelte. Im Lauf der Zeit wurden diese immer wieder erweitert und umgebaut. Den größten Einschnitt brachte der Dreißigjährige Krieg. Die Burg wurde zwar nicht zerstört, aber laut dem Heimatforscher August Sieghardt aus Grassau wurde durch den Krieg die Familie wirtschaftlich ruiniert und alles verfiel immer mehr und "brach zur Hälfte" zusammen.

Der Wiederaufbau begann 1683. Allerdings nicht als Burg, sondern als Wohnschloss im barocken Stil mit hohem zweigeschossigen Dach und Stuckdecken in den beiden oberen Etagen. So wie das Schloss dann 1687 fertig wurde, so sieht es heute noch aus. Und welche Dimensionen bei Bauarbeiten anfallen, zeigt ein Kostenvoranschlag von damals: 115 000 Mauersteine, 1000 Pflastersteine und 26 Fensterstöcke wurden benötigt. Und seitdem wird immer wieder saniert.

Reich - wenn überhaupt vorher - waren die Fraunberger spätestens nach den zwei Weltkriegen und der Weltwirtschaftskrise 1923 nicht mehr. Dazu kam Misswirtschaft. Im Zweiten Weltkrieg wurden erst Kriegsgefangene und zur Zwangsarbeit verpflichtete Franzosen einquartiert, nach dem Krieg 1945 wurde jeder Raum im Schloss mit Flüchtlingen belegt, auch mit ausgebombten Familien. Nach dem Auszug waren Böden und Mauer so stark sanierungsbedürftig, dass das Erdgeschoss bis zur Generalsanierung 1986 nicht bewohnbar war.

"In den 60er-Jahren ist das ganze Dach neu gedeckt worden. Ich kann mich erinnern, wie damals die Wasserleitung ins Schloss gelegt wurde, das war Ende 1961. Vorher wurde das Wasser im Keller mit einer Schwengelpumpe nach oben gepumpt und dann mit Eimern nach oben getragen. Das konnten sich meine Klassenkameradinnen damals nicht vorstellen." Strom wurde mit den Kriegsgefangenen ins Schloss gelegt. "Das hat mein Großvater damals verpflichtend legen müssen. Er hat aber nur das Allernötigste gemacht, da damals der Strom nach Steckdosen bezahlt wurde." Das eigentliche Stromsystem kam erst mit den Wasserleitungen. "Das waren damals die ersten Sachen, die sich die zwei Witwen leisten konnten. Mein Vater war ja an den Folgen seiner Kriegsverwundung gestorben, mein Onkel ist im Krieg gefallen. Und die Frauen waren mit ihren Kindern alleine."

Letztendlich haben die Frauen dann das Schloss erhalten. Die erste Sanierung stemmten ihre Mutter und ihre Tante, sagt die 77-Jährige. Schon bei der ersten Sanierung lief aber was schief. Die Sparren wurden zu weit auseinander gesetzt. "Das Dach hat dann nicht gehalten und immer wieder geschoben durch sein ungeheures Gewicht." Die zweite große Sanierung dauerte von 1986 bis 1991. "Von oben bis unten dann. Vorher ist immer nur das Wichtigste gemacht worden." Damals wurde auch zum Abschluss die Ringmauer wieder aufgebaut.

Das Denkmalschutzamt hat immer Mitspracherecht. Wie zum Beispiel beim Austausch der Fenster im zweiten Stock anfang der 2000er Jahre. "In den 50er-Jahren hatte meine Tante Verbundglasfenster eingebaut und die waren kaputt und eh nicht passend zum Schloss. Hier im ersten Stock durften wir aber die Außenfenster nicht ändern, das sind die alten, ursprünglichen noch. Dort wurde dann innen ein zweiter Fensterstock vorgesetzt, mit Doppelglasfenster, die alten waren energiemäßig unmöglich. Das wurde erlaubt, weil sie von außen nicht sichtbar sind", sagt Herdana von Fraunberg "Es gab kein Jahr, wo nichts passierte. Wenn meine Mutter ein bisschen Geld übrig hatte, wurde entweder ein Möbelstück oder ein Bild restauriert. Es ist laufend was zu machen, an den Stuckdecken, den mit Leimfarben gemalten Decken, den mazerierten Kassettendecken und so weiter." Kleinere Sanierungen mache man selber, man bekomme dafür auch keine Zuschüsse.

Erste Anlaufstelle bei Sanierungen ist das Landesamt für Denkmalpflege, das das Vorhaben begutachtet, und dann können Anträge gestellt werden. Als erstes bei der Gemeinde. "Die gibt immer einen Zuschuss, da kann man sich nicht beschweren", sagt Herdana von Fraunberg. "Vorher benötigt man aber einen Kostenvoranschlag, eine Restaurierungskonzept", sagt Dagmar von Fraunberg, ihre Tochter. "Das Denkmalamt redet schon mit, dass sollen sie auch. Aber sie beraten auch. Leider hat das Amt keine großen finanziellen Mittel, aber es ist die entscheidende Instanz. Die Mitarbeiter kontrollieren und überwachen auch alles während der Sanierung." Zuschüsse kommen auch vom Landkreis und vom Bezirk. Und dann gibt es laut der Schlossbesitzerin unterschiedlich größere Geldgeber. Zuletzt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, wie bei der Sanierung der Ringmauer und des Teehauses. "Wir sind aber immer mit Eigenleistungen dabei." Die hoch sein könnten, da bei den Sanierungen schnell sechsstellige Summen anfallen können. Sollten nach den Anträgen für die Baufinanzierung Probleme auftauchen - was nicht selten sei -, dann bleibt die Familien auf den zusätzlichen Kosten sitzen. "Es gibt keine Nachfinanzierung, das Risiko bleibt bei uns", sagte die 77-Jährige. "Es sind zwar keine große Summen, aber es tut weh."

Teuer kommt auch die Materialsuche. "Wir können nicht einfach irgendwelche Dispersionsfarben nehmen oder Zement. Bei der Ringmauer hatten sogar die Maurer Auflagen. Da haben wir auch oft Probleme, da die jüngeren Handwerker zum Teil mit diesen Materialien und Techniken nicht mehr arbeiten können", sagt ihre Tochter. Auch geeignetes Baumaterial sei schwer zu bekommen. "Bei der letzten Ringmauersanierung haben wir Tausende Steine selbst geholt. Teilweise haben werden von Abbruchgebäuden Steine gekauft. Man muss sich umhören und hoffen, dass in der Nähe gerade ein altes Bauernhaus abgebrochen wird." "Mir kam es vor, dass wir vor zwei Jahren im April und Mai nur Steine geholt, hier gereinigt und gestapelt haben", sagt Herdana von Fraunberg. Die alten Steine sind aber, weil sie häufig nicht gebrannt sind, witterungsanfälliger. Die Folge: jedes Jahr müssen kaputte Steine ausgetauscht, wieder neu verfugt werden. "Die Mauer ist praktisch ein immerwährender Pflegefall", sagt Dagmar von Fraunberg. Auch die Beschaffung alter Steine dürfte künftig mangels alter Häuser, die abgerissen werden, ein Problem werden.

Ein Problem ist auch die Heizung im Haus. Jeder Ofen im Haus wird extra befeuert. Viele mit Öl. Und jede einzelne Wohnung hat einen eigenen Öltank im Keller. Teilweise wird auch mit Holz geheizt. "Jedes Scheit wird hoch getragen", sagt die 77-Jährige. Besonders seien auch die Kamine. "Wir haben eigentlich insgesamt sieben Kaminzüge. Die mussten wir wegen der Mischheizung alle mit Stahlrohren versehen. Das war teuer. Zum Teil mussten es flexible Rohre sein, weil die Kamine untereinander so verzogen sind, dass oben nur drei Kamine raus kommen". Es gehe auch kein Kamin senkrecht hoch, alle seien verzogen. Dinge wie Solarheizungen oder Photovoltaik sind aus Denkmalschutzgründen nicht erlaubt.

"So ein Haus ist schon was Spezielles", sagt ihre Tochter. Die Wände seien in den Jahrhunderten alle krumm und schief geworden. Zudem gab es immer wieder An- und Umbauten. Und bei jeder Sanierung entdecke man Neues. Im Speicher sah man bei der Dachsanierung zum Beispiel, dass zwei Dachstühle aneinander stoßen. An einer Stelle sind sogar zwei Balken nebeneinander. Bei der jüngsten größeren Sanierung habe man erst gesehen, dass das gesamte Schloss unterkellert ist. Damals entdeckte man auch erst die Fundamente des alten Fluchtturms, der wohl als allererstes gestanden hat. Bei der Ringmauer wurde während der Arbeiten festgestellt, dass es einen riesigen durchfeuchteten Hohlraum gab. Bei der Dachsanierung wurde gesehen, dass man in früheren Zeiten sogenannte Andreaskreuze eingebaut hatte, was das Dach noch schwerer gemacht hatte. "Das Dach schob deshalb nach außen, Da musste dann auch das Denkmalschutzamt schlucken, dass ein Eisenträger eingebaut werden musste, um die Statik auf die Reihe zu bekommen."

Bei den Arbeiten muss man nicht nur auf historische Materialien zurück greifen sondern auch auf alte Techniken, was nicht mehr jeder Handwerker kann. Zum Beispiel bei der Ringmauer, wo nur mit Kalk verputzt und verfugt werden durfte. "Es ist egal was man macht, von den Dimensionen ist ein Schloss nicht mit einem normalen Haus zu vergleichen." So durfte die Ringmauer eben nicht gerade werden, sondern krumm und bucklig. "Das ging anfangs gegen die Maurerehre der ausführenden Handwerker", sagt die 77-Jährige. Und auch der Untergrund des Schlosses ist ein Problem. "Wir haben sechs Meter Schwingboden unter dem Schloss. Das heißt, man muss sechs Meter in den Boden bis fester Untergrund da ist. Das hat all die Jahrhunderte Schwierigkeiten gemacht."

"Es gibt wahrscheinlich im Garten keinen Quadratmeter, wo man keinen alten Ziegel findet", sagt die Tochter. "Das haben wir früher schon immer gesagt: "Wir werden keine Tulpenzwiebel in den Boden setzen, ohne einen Ziegel rauszuholen. Und meine Großmutter hat gesagt: Keine Mohrrübe wächst hier gerade nach unten, die sehen alle wie Allraunen aus. Natürlich ist alles auch spannend, aber meistens kostet es dann auch was", sagt Herdana von Fraunberg.

Die nächste Sanierung steht schon fest: die Ringgräben. Sie müssen ausgebaggert werden und Zuläufe zwischen den Gräben geschaffen werden, weil alles verstopft beziehungsweise nicht mehr vorhanden ist, damit das Wasser wieder fließen kann. Und auch bei diesen Arbeiten gibt es Einschränkungen: "Der Naturschutz lässt das Ausbaggern nur von Mitte Oktober an bis zum ersten Frost zu, weil dann die Kleinlebewesen noch Zeit haben, um ins Wasser zurück krabbeln können."

Was das Handwerkliche angeht, sei ihre Tochter ein Glücksfall für die Familie, da sie Restauratorin ist, sagt die 77-Jährige. Weniger Glück sei, dass im Gegensatz zu anderen Schlossbesitzern die Familie keine Grundstücke habe, die als Bauland verkauft werden könnten. "Wir haben FFH-Gebiet, die Wiesen sind auch noch mit Auflagen versehen. Aber die stellen wir auch teilweise selber auf, weil uns der Umweltschutz und der Erhalt wichtig sind. Deshalb ist alles sehr niedrig verpachtet. Was wollen Sie denn von einer Wiese, die man erst spät mähen und nicht düngen darf. Dafür bekommt man nicht viel Geld."

Ein paar der Wohnungen sind fremd vermietet. "Ohne das würde es gar nicht gehen. Aber alles Geld, was durch das Schloss erwirtschaftet wird, wird auch wieder in die Baumaßnahmen gesteckt", sagt Tochter Dagmar. "Keiner bekommt einen Euro privat raus. Es geht gar nicht anders." "Wir sind froh, wenn es sich irgendwann mal selbst trägt. Dass man so weit saniert und modernisiert hat, dass die Mieten und die paar Pachten den Unterhalt des Schlosses garantieren. Aber ob wir mal dazu kommen, weiß man nie", sagt Herdana von Fraunberg. "Wir sehen das Schloss als Lebensaufgabe. Es ist unsere Familiengeschichte und die der Gemeinde."

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Quelle:
SZ vom 12.10.2019
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