Wartenberg:Vernarrt in Hümmelchen

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Er war 19 Jahre lang Wirtschaftsjurist. Dann hat sich der Japaner Toru Sonoda mit Leib und Seele dem deutschen Dudelsackbau verschrieben

Wolfgang Schmidt

Der japanische Dudelsackbauer Toru Sonoda in seiner Werkstatt in Wartenberg (Foto: Renate Schmidt)

Wer Dudelsack hört, denkt vielleicht an Highlander, die im karierten Kilt über saftige schottische Wiesen marschieren und aus ulkig anzuschauenden Geräten mit Bauch und abstehenden Holzstücken mehr oder weniger melodische Töne fabrizieren. Der denkt weder an "Hümmelchen" noch an das ferne Nippon und schon gar nicht denkt er daran, dass dieses "Hümmelchen" das Kind eines waschechten Japaners sein könnte. Dem ist aber so: "Hümmelchen" ist ein deutscher Dudelsack und Toru Sonoda der Japaner, der das Instrument gebaut hat.

Seit diesem Juli wohnt Toru Sonoda in einem Haus in der Wartenberger Gartenstraße, die dazugehörige Garage hat er zur Werkstatt umfunktioniert. Es ist kühl in diesen Tagen, aber richtig komfortabel zwischen Kreissäge und Drechselbank, wenn Sonoda den Quervergleich zu seinen Anfängen als Dudelsackschöpfer zieht. Zuvor hat er in Pretzen gewohnt, er hatte dort einen alten Bauernhof gemietet. Die Werkstatt war in einem ehemaligen Heulager untergebracht. Es gab keine Heizung und "im vergangen Winter war es stellenweise minus 20 Grad kalt und ich konnte da nicht arbeiten."

Nicht arbeiten zu können, ein schrecklicher Gedanke - Sonoda schüttelt es heute noch. Auch die Maschinen funktionierten nicht so gut. Als er die Gelegenheit bekam, in Wartenberg etwas "Eigenes" zu kaufen, hat er zugegriffen. Denn im Landkreis Erding wollte er unbedingt bleiben. "Es ist sehr schön hier," sagt Sonoda. Ganz bestimmt hat es auch eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, dass die zwölfjährigen Zwillingsmädchen in Erding auf das Anne-Frank-Gymnasium gehen.

Sonoda führt den Besucher in die Garage. Dort ist der Bereich für das Grobe, wenn es so etwas bei Dudelsäcken überhaupt gibt. Er zeigt ein Stück Kantholz, das er mit der Kreissäge passend zuschneiden wird. Das Teil kommt anschließend in das wichtigste Werkzeug in der Garage: in die Drechselbank. Der Bohrer tritt in Aktion, dann wird die Oberfläche geschliffen und poliert. Ganz wichtig aber ist die Behandlung der Innenseite. Das Naturprodukt Holz hat kleine Löcher - "und das macht den Ton nicht ganz korrekt". Sonoda schwört auf Mandelöl, das schmiert die Innenseite ganz dicht. Dann kommt der Sack hinzu, der meistens aus Leder ist und natürlich dürfen die Pfeifen nicht fehlen. Unterschieden wird zwischen der Melodien- und der Bordunpfeife. Letztere macht die Begleitung, hält beispielsweise den Grundton C, auf dem dann die Melodie gespielt wird. Der Dudelsack hat mal drei, mal vier Bordunpfeifen, in 99 Prozent der Ausfertigungen aber nur eine Melodienpfeife. Sonoda drückt den Balg, nur so können dem Instrument die typischen Töne entlockt werden. Der Blasebalg gehört zu einem bayerischen Dudelsack und ist für eine Kundin in Unterschleißheim bestimmt.

Das alles geschieht natürlich nicht in dem hier geschilderten Zeitraffertempo. Für das einfachste Modell müssen 20 Stunden Arbeit eingerechnet werden, wenn's aufwendiger oder gar kompliziert wird, kann auch schon einmal eine Woche dabei draufgehen.

Wie im Fall der Unterschleißheimerin arbeitet der 46-Jährige meistens auf Auftrag. Zum Kundenkreis gehören die Anhänger der traditionellen Volksmusik und naturgemäß die Bordun-Musikliebhaber, also die Leute, die auf Dudelsack und Drehleier stehen. Er kann sich auch vorstellen, relativ viele einfache Modelle zu schaffen und diese dann im Internet anzubieten. "Aber das habe ich noch nicht geschafft", sagt Sonoda und lacht. Werbung in eigener Sache hat er anfangs in einer Musikfachzeitschrift betrieben, jetzt aber ist er fast nur noch online unterwegs mit eigner Homepage (http://www.bagpipesonoda.eu/) und auch über die Netzwerke Facebook und Twitter.

Schön und gut, Herr Sonoda, aber nährt der Dudelsackbau tatsächlich eine vierköpfige Familie? Die Gewissensfrage lässt den Mann kurz nachdenken. "Es ist ein Wellental", sagt er dann. "Im Moment nur von dem Dudelsack zu leben, ist ein bisschen schwer". Das sehr einfache Modell nur mit Pfeife, Bordun und Mundstück kostet bei ihm 425 Euro, das teuerste 1500. Dafür gibt's dann etwa eine Elfenbein- oder eine Metallausführung und eine aufwendigere Gestaltung. Es ist die Leidenschaft, die ihn mit Zuversicht in die Zukunft schauen lässt. Und da ist ja auch noch das zweite Standbein.

Im ersten Berufsleben war Toru Sonoda Wirtschaftsjurist. 19 Jahre hat er für ein japanisches Pharmaunternehmen mit Niederlassungen in den USA und Europa gearbeitet. Erst zehn Jahre in Japan, dann eineinhalb Jahre in den USA, wo die Zwillinge geboren wurden, dann sieben Jahre in München. 2005 kam die Fusion mit einem anderen Unternehmen, danach schmolz die Münchner Niederlassung zusammen. Die Firma wollte Sonoda zurück nach Japan schicken. "Aber Bayern ist zu schön." Er hängte den Anzug an den Nagel und ergriff die Chance, etwas komplett Neues anzufangen, auch wenn es auf den ersten Blick ziemlich verrückt erschien.

Den Dudelsack hat er als Student in Japan kennengelernt. Der junge Mann fand die Melodie- und Bordun-Harmonie von Dudelsäcken auf Anhieb "sehr bezaubernd, herrlich und mystisch". In seiner Münchner Zeit war er in einer schottischen Dudelsackband aktiv - "sehr lustig" war es mit den Claymore Pipes and Drums, erinnert er sich. 2008 jedenfalls war Sonoda der festen Überzeugung "ich arbeite nicht mehr als Jurist." Wenn er sich mal wieder dudelsackabsatzmäßig in einem tiefen Tal befindet, wird er es nicht bereuen, dem selbst ausgegebenen Prinzip untreu geworden zu sein, als überraschend der Anruf eines Ex-Kollegen kam. Jetzt arbeitet er auf Teilzeitbasis bei seiner alten Firma in München, das meiste kann er von zu Hause aus erledigen.

Aber, darauf legt Sonoda Wert, hauptberuflich macht er Musikinstrumente. Das ist auch so bei der Handwerkskammer eingetragen. Diese Sicht der Dinge wird erst dann richtig verständlich, wenn man rekapituliert, was der vormalige Jurist so alles auf sich genommen hat, bis er den ersten selbst gebauten Dudelsack in seinen Händen halten konnte. Es gibt keinen Dudelsackmachermeister, bei dem man in die Lehre gehen kann. Also hat der Lernbegierige seit 2005 viele Handwerker besucht, er schnupperte bei Schreinern rein, lernte von Goldschmieden und natürlich auch von Musikinstrumentemachern, er belegte Kurse, Seminare und Workshops. Nach dreieinhalb Jahren hatte er die filigrane Technik drauf, die man zum Dudelsackbauen braucht. Natürlich hatte er keinen Urlaub in der Zeit und auch an den Wochenenden legte er die Hände nicht in den Schoß. Viele Dudelsackmacher starteten ihr Geschäft als Hobby. "Das ist üblich", sagt er. Als sei sein Werdegang so ein gewöhnlicher Vorgang wie das frühmorgendliche Semmelholen beim Bäcker.

Eingelebt in seine neue Heimat Wartenberg hat sich der Mann aus dem Fernen Osten schnell - wie er überhaupt mit den deutschen Lebensgewohnheiten von Anfang an gut zurecht kam. Okay, die Sprache sei immer ein Problem. Er habe noch Schwierigkeiten, alles zu verstehen, "vor allem wenn ich in Tiefbayern bin", wie er sagt. Was die Kultur angeht, hätten Deutsche und Japaner viele Ähnlichkeiten: "Betrachtet man Franzosen, Italiener oder Engländer - dann sind die deutschen Menschen von der Mentalität her ziemlich nahe bei uns", versichert Sonoda. Das gelte auch für das Essen. Er räumt auch gleich mit der Mär vom ewig Sushi essenden Japaner auf. Schnitzel und Brot stünden viel höher im Kurs. Unverzichtbare Grundnahrungsmittel sind Reis und Sojasauce. An den Voraussetzungen, dass Frau Sonoda am heimischen Herd ein leckeres Rezept aus der alten Heimat kochen kann, fehlt es somit auch in Wartenberg nicht. Ansonsten kommt viel Pasta und tatsächlich auch Leberkäs auf den Tisch.

Kein Zweifel, Toru Sonoda fühlt sich pudelwohl in Deutschland, einer "Schatzkammer für Dudelsäcke". Er drückt sein "Hümmelchen", ein Instrument, das hierzulande schon zur Renaissance-Zeit gespielt wurde. Und dann sagt Toru Sonoda, er wolle noch etwas ganz Neues schaffen. Warum sollte er auch nicht den Sonoda-Dudelsack konstruieren?

© SZ vom 01.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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