Wartenberg:Ein Leben ohne Volksfeste - katastrophal

Schausteller sind von der Corona-Pandemie besonders betroffen. Das Jahr 2020 wird für die Familie Rilke aus Wartenberg eine "komplette Nullrunde". Und wie es weiter geht, weiß keiner. Der erzwungene Daueraufenthalt daheim ist für Gabi Rilke völlig ungewohnt

Von Gerhard Wilhelm, Wartenberg

2020 hätte ein Jahr der Jubiläen für die Schaustellerfamilien Rilke aus Wartenberg werden sollen: zum 70. Mal auf dem Erdinger Herbstfest und zum 20. Mal organisiert Gabi Rilke das Wartenberger Volksfest. Zudem feierte Mutter Lydia Rilke ihren 85. Geburtstag im Februar - zu dem Zeitpunkt war die Welt noch in Ordnung. Dann kam das Sars-Cov-2-Virus und alles wurde anders. Alle Volksfeste wurden abgesagt, und ob die Weihnachtsmärkte heuer stattfinden, ist ebenfalls offen. Die Pandemie bedroht nicht nur die Tourismus- und Gaststättenbranche sondern auch die Schaustellerbranche. Ohne Feste keine Einnahmen. Viele stehen vor dem Aus. "2020 ist eine komplette Nullrunde gewesen", sagt Gabi Rilke.

"Meine Familie ist aber in der glücklichen Situation, dass wir eine alte, eingesessene Schaustellerfamilie sind. Wir haben unsere Plätze, und meine Eltern waren das ganze Leben lang fleißig und haben gespart, haben Möglichkeiten geschaffen, dass wir anderweitig überleben können. Aber es gibt Schaustellerfamilien, wovon ein oder mehrere Familien leben. Die haben jetzt gar nichts. Bei uns ist die Existenz zum Glück noch nicht gefährdet." Mittlerweile hat die Familie auch nur noch zwei Geschäfte: den Autoscooter und Entenheben. "Wir haben leider gewaltig reduziert, weil meine Eltern auch schon älter sind. Mein Vater ist 94, meine Mutter 85. Ich bin die Einzige und mein Sohn ist noch da, und wir können uns nicht aufteilen."

Autoscooter Rilke

Der Autoscooter ist auch auf dem Erdinger Herbstfest der Treffpunkt für Jung und Alt. Mittlerweile ist das immer wieder modernisierte Fahrgeschäft fast 50 Jahre alt. Neben dem Autoscooter hat die Familie Rilke aus Wartenberg noch das beliebte Entenheben. Nur in diesem Jahr ist wegen Covid-19 alles anders.

(Foto: Stephan Goerlich)

Wie es weiter geht, das weiß sie nicht. "Wir wissen nicht, was die Politiker entscheiden werden - über unsere Köpfe hinweg. Sie haben keine Ahnung von unserem Leben, sie fragen auch nicht. Es heißt einfach, dass es keine Volksfeste gibt. Dabei sind auf Volksfesten die Schaustellergeschäfte nicht das Gefährliche. Das, wovor die Politiker wohl Angst haben, das sind die Bierzelte, in denen sich das Virus verbreiten könnte. Schausteller sind aber im Freien. Beim Autoscooter oder Karussell könnte man nur jedes zweite Fahrzeug besetzen. Alles kein Problem, auch nicht das Desinfizieren. Im Bierzelt ist es leider so, dass, wenn jeder sein gewisses Quantum hat, der eine braucht mehr, der andere weniger, dann werden die Masken vergessen, man rutscht immer enger zusammen, und so entsteht das Problem. Das Volksfest ist nicht gefährlich, die Handhabung im Bierzelt ist das problematische", sagt Gabi Rilke. Im Moment könne man nur hoffen, dass es nächstes Jahr wieder Volksfeste geben wird, in welcher Art und Weise auch immer. "Aber ob es so kommen wird? Wir wissen es nicht." Seit September 2019 gebe es jedenfalls keine Einnahmen.

Aber ans Aufgeben denkt Gabi Rilke nicht. Auch ihr Sohn, der den Auf- und Abbau mache, denke nicht daran. Der habe das Schausteller-Gen ebenso wie sie. "Das ist unser Leben, so sind wir aufgewachsen. Wir können nichts anderes und wollen es weitermachen." Man werde im Lauf der Jahre auch so, dass man sich einen normalen Job mit Arbeitsbeginn um 8 und 17 Uhr wieder nach Hause nicht vorstellen kann. "Nein, das ist nichts für uns."

Und das Gen hat sie von ihren Eltern. Zum Geburtstag hatte ihr Mutter Lydia noch erklärt, dass sie beim Volksfest Wartenberg zum letzten Mal an der Kasse des Autoscooters sitzen werde. Das fand nun nicht statt, aber ihre Tochter Gabi ist sich sicher. "Aufhören will sie schon seit zehn Jahren. Aber sie wird es nicht lassen können. Sie ist gewissermaßen in der Kasse verwurzelt, das wird sie nie aufgeben."

Wartenberg: Statt Volksfest Mandelverkauf: Gabi Rilke.

Statt Volksfest Mandelverkauf: Gabi Rilke.

(Foto: Renate Schmidt)

Normalerweise sind die Rilkes von einer Woche nach Ostern bis Anfang Oktober auf Festen unterwegs. Dass sie jetzt daheim sein mussten, ist für Gabi Rilke "katastrophal". "Wenn man so ein eingefahrener Esel ist, wie wir es sind und wie wahrscheinlich die meisten Schausteller, dann denkt man ständig, auf welchem Platz man jetzt eigentlich wäre." Jetzt steht sie Freitag und Samstag von 11 bis 19 Uhr auf dem Wartenberger Marktplatz und verkauft Madeln. Zusammen mit Andi Diebold, der Crêpes verkauft und auf dem Herbstfest einen Schießwagen betreibt. "Damit kommt man wenigsten ein bisserl unter die Leute".

In diesem Jahr sei sie zum ersten Mal in ihrem Leben im Sommer zuhause. "Jetzt bin ich fast 60 und war noch nie im Sommer zuhause. Das ist so was von ungewohnt, dass man sich erst Mal fragte: was machen wir denn mit der ganzen Zeit." Aber der Sommer sei dann doch relativ sehr schnell vorbei gegangen, obwohl der sonstige Rhythmus komplett durcheinander sei. Eines sei gleich geblieben: am Ende der Saison würden die Bewerbungen für das nächste Jahr geschrieben. Damit sei sie zurzeit beschäftigt "Dann hoffen wir mal, dass nächstes Jahr wieder Volksfeste stattfinden", sagt Gabi Rilke. Das Jahr sei nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine psychische Belastung. "Auf jeden Fall." Langweilig werde ihr aber trotz des erzwungenen Stillstands nicht. Man habe an den Geschäften Sachen erledigt, die man ansonsten auf nächstes Jahre verschoben hätte. "Es ist ein andere Arbeit jetzt." Vor allem auf dem 5000 Quadratmeter großen Grundstück, im Garten, nachdem ihre Mutter nicht mehr alles alleine machen könnte. Das Leben in einer Wohnung mit einem kleinen Balkon kann sich Gabi Rilke nicht vorstellen: "Das wäre katastrophal." Der erste Sommer in ihrer Wohnung unter dem Dach im Haus sei aber eine Erfahrung gewesen. "Es war so was von kuschelig warm in der Nacht, dass ich nicht gewusst habe, wie ich schlafen soll. Am liebsten hätte ich den Camper aus der Halle geholt und dort die Klimaanlage eingeschaltet." Wohnung im Sommer sei nicht ihre Sache. "Ich will im Sommer meine Tür im Camper aufmachen, ich bin den ganzen Tag an der Luft."

Bei der Frage, wann sie zum letzten Mal Urlaub gemacht habe, mit Wegfahren oder sogar Fliegen, muss Gabi Rilke lange nachdenken. "Mein letzter richtiger Urlaub ist 21 Jahre her. Aber man denkt auch nicht an Urlaub, weil man nicht weiß, wann man das nächste Geld verdient. Da möchte man jetzt nicht unbedingt Geld ausgeben". Die Zeit hätte man natürlich jetzt. Jetzt hoffe man aber, dass im nächsten Frühjahr wieder eine neue Saison angehen dürfe. Man bewerbe sich für die Volksfeste wie sonst auch, zudem organisiere sie bereits das Wartenberger Volksfest und mache die ersten Verträge.

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