Süddeutsche Zeitung

Warnsysteme im Landkreis Erding:Die Sirene hat noch nicht ausgedient

Auch im Landkreis Erding wird diskutiert, wie die Bürger auf Gefahren hingewiesen werden können. Kreisbrandrat Willi Vogl setzt auf laute Töne, warnt aber vor zu viel Warnungen

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Die Rufe nach Sirenen werden lauter, auch Kreisbrandrat Willi Vogl stimmt in diesen Chor ein. Den Beschluss, in Bayern die Zahl der Sirenen zu verdoppeln, findet er "dringend notwendig". Er habe immer gewarnt, sagt er: "Wir haben kein richtiges Mittel, um die Bevölkerung zu warnen. Meine Rede seit zwanzig Jahren." Man hätte die Sirenen stehen lassen sollen, "das tut keinem weh". Nach der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wird darüber diskutiert, wer auf welche Weise hätte gewarnt und wie die vielen Todesopfer hätten verhindert werden können. In den Katastrophengebieten waren die Handynetze teilweise ausgefallen, sodass es Warn-Nachrichten gar nicht aufs Mobiltelefon schafften. Eine Alarmierung mit Sirenen war auch nicht möglich, weil das deutschlandweit flächendeckende Sirenennetz aufgegeben wurde.

Mit dem Ende des Kalten Krieges seien die Luftschutzsirenen in den 1990er-Jahren abgebaut worden, sagt Vogl. Über die vorhandenen Sirenen könne man derzeit keinen mehr warnen, weil sie keinen Warnton mehr haben. "Es gibt keine Sirenenwarnung im Landkreis, nur eine Sirenen-Alarmierung für die Feuerwehr", sagt der Kreisbrandrat. Die Alarmierung der Einsatzkräfte sei gewährleistet, aber nicht die Warnung der Bürger.

Beim Landratsamt sieht man sich trotzdem gut gerüstet: Die Führungsgruppe Katastrophenschutz habe eine 24-Stunden-Rufbereitschaft an sieben Tagen in der Woche. Es gebe automatische Warnungen über den Deutschen Wetterdienst (DWD), die per Fax und SMS verteilt werden. Eine weitere Verteilung erfolge an die Einsatzkräfte per Funkmeldeempfänger, wie Claudia Fiebrandt-Kirmeyer, Pressesprecherin am Landratsamt, mitteilt. Das Landratsamt erhält Meldungen vom Wasserwirtschaftsamt, wenn Meldeschwellen überschritten werden, um gegebenenfalls Hochwasserwarnungen auszusprechen. Bei einer kritischen Prognose werde Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) und der örtliche Einsatzleiter informiert. Bei Bedarf werden weitere Mitglieder der Führungsgruppe Katastrophenschutz alarmiert, so dass innerhalb kürzester Zeit Maßnahmen in die Wege geleitet werden könnten.

"Als Feuerwehr schauen wir, ob sich wettermäßig was ändert. 2013 ist bei uns immer noch im Hinterkopf, als es massiv geregnet hat. Deshalb wissen wir, dass wir bei bestimmten Lagen reagieren müssen", sagt Kreisbrandrat Vogl. Allerdings könne die Feuerwehr nicht die Bürger warnen. "Der muss sich auf das verlassen, was ihm der Deutsche Wetterdienst sagt." Vogl sieht allerdings ein Problem in den sogenannten Unwetterwarnungen. "99 Prozent treten dann doch nicht ein und führen dazu, dass sie keiner mehr ernst nimmt", sagt der Kreisbrandrat. Es sei fraglich, ob die Bürger in Ahrtal bei einer frühen sehr deutlichen Warnung nicht gedacht hätten, "jetzt spinnen sie ganz". 371 Zentimeter war bis zu diesem Tag der gemessen Höchstwert. Er stieg bei der Katastrophe auf mehr als sieben Meter.

Nicht alle Kommunen im Landkreis haben die Sirenen komplett abgebaut. In Erding gibt es sie noch, in Wartenberg dagegen nicht. SMS oder Warnungen auf das Handys seien aber keine Alternative, sagt Vogl, denn nachts seien die Handy lautlos gestellt oder liegen irgendwo in der Wohnung, sagt Vogl. In Wartenberg wurden die Luftschutzsirenen Anfang der 1990er-Jahren abgebaut. Dort gab es drei, in den Außenorten vier Sirenen. Die Kommune hätte die Anlagen kostenlos übernehmen können, aber die Wartung bezahlen müssen. Man habe auf den "stillen Alarm" für die Feuerwehrleute verwiesen, erinnert sich Franz Ganslmaier (Freie Wähler), der seit 1991 ehrenamtlich Gebiets-Kreisbrandmeister im Landkreis ist. Es gibt allerdings noch eine mobile Lautsprecheranlage, mit der man durch die Gemeinde fahren könne. Mit fünf Stundenkilometer. "Bei unserer Straßenlänge von 15 bis 20 Kilometer in der Gemeinde braucht man drei bis vier Stunden."

Wartenberg will nun eine oder mehrere Sirenen wieder installieren. Wie die Finanzierung erfolgen soll, ist offen. Das Thema ist auch nicht ganz neu: 2020 beim bundesweiten Warntag waren viel Sirenen stumm blieben. Derzeit gibt es zwei Programme des Bundes, beim neueren ist die Aufstockung (derzeit 88 Millionen Euro) durch die Länder noch offen. Bei der Verdoppelung, die Bayern anstrebt, soll es ein Landes-Sirenenförderprogramm geben. Die Förderhöhe ist noch unbekannt.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2021
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