Süddeutsche Zeitung

Wahlabend:Nur einer kann entspannen

Die Hochrechnungen sorgen im Sitzungssaal des Landratsamts für Spannung. Aber so richtig Stimmung kommt nicht auf

Von Regina Bluhme, Erding

Noch eine Stunde bis zu den ersten Hochrechnungen. Im großen Sitzungssaal des Erdinger Landratsamts verlieren sich am Wahlabend gegen 17 Uhr erst wenige Politiker. Einer der ersten, der eintrifft, ist der CSU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lenz. Ja, er sei schon nervös, gibt er zu und eigentlich sollte er jetzt mit etwas Alkoholischem beginnen, mit einem Bier, angesichts der eher mauen Umfragewerte der vergangen Wochen für die Union. Er nimmt sich dann aber doch erst Mal ein Wasser - er hätte aber auch gleich zum Sekt greifen können. Denn die Hochrechnungen zeigen schnell, dass Lenz den Wiedereinzug geschafft hat. So richtig rauschend ist die Stimmung im Saal aber nicht.

"Das sieht nicht gut aus", lautet der Kommentar von Landtagsabgeordneter Ulrike Scharf (CSU), als kurz nach 18 Uhr auf dem Fernseher im Sitzungssaal ersten bundesweiten Zahlen aufploppen. Sie durchforstet ihr Handy nach weiteren Zahlen, für den Fernsehen hat sie grade keinen Blick: Dort zeigt der BR gerade jubelnde, Fahnen schwenkende SPD-Mitglieder aus München. Eins steht bald fest. "Das wird ein sehr, sehr langer Abend."

Kurz nach 18.30 Uhr ist auch Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) im Saal. Da steht es bundesweit gerade fifty-fifty für Union und SPD mit 24,5 Prozent. Naja, jetzt zeige sich, dass viele Prognosen wohl doch nicht recht behalten hätten, so Bayerstorfer. Seine eigene übrigens auch nicht. Er habe noch am Sonntag darauf getippt, dass die Union bei 28 Prozent landet und die SPD bei 27 Prozent "verbunden mit einem optimistischen Wunsch", so der Landrat. Da winkt Lenz ihm zu. "Schaut gut aus!" Womit er wohl vor allem sein Direktmandat meinen kann.

Dann kommen auch die ersten ausgezählten Stimmen aus dem Wahlkreis Erding- Ebersberg. Inzwischen ist einige weitere Politprominenz erschienen, Kreisräte, Stadträte, Bürgermeister, vor allem der CSU und einige der Freien Wähler. Von der SPD aus dem Landkreis ist bis 20 Uhr niemand aufgetaucht.

An einem Stehtisch verfolgen die beiden Sprecher des Erdinger Grünen Kreisverbands, Annett Burgarth, und Stefan Herbasch, beide im grünen Oberteil, das Geschehen am Bildschirm. Beide wirken ein wenig verloren zwischen all den Duz-Freunden von der CSU. Der einzige, der Kontakt aufnimmt ist anfangs Andreas Lenz, der ihnen scherzhaft einen etwas "übermotivierten Wahlkampf" bescheinigt. Nach 20 Uhr kommt dann noch Helga Stieglmeier, Grünen-Kreisrätin und ehemalige Sprecherin dazu. Natürlich habe man sich mehr versprochen im Bund, sagt Herbasch. Aber im Landkreis habe man ein tolles Ergebnis eingefahren. Beide waren im Übrigen Team Baerbock "von Anfang an"

An einem weiteren Stehtisch beobachten drei Freie Wähler die Zahlenentwicklung. Den Einzug in den Bundestag haben die Freien Wähler nicht geschafft. Ach, der Bundestag: "Ich bin Realist", sagt Franz Mehringer, zweiter stellvertretender Landrat: "Das wichtiges Ziel ist erreicht: Der Linksruck ist verhindert." FW-Kreisvorsitzender Ulrich Gaigl sagt: "Ich bin Realist und ich bin zufrieden." Es sei "vorhersehbar gewesen, dass wir es nicht in den Bundestag schaffen. Er freue sich über "ein tolles Ergebnis von weit über fünf Prozent im Landkreis Erding".

Franz Hofstetter, stellvertretender Landrat (CSU) will noch gar keine Prognose abgeben. "Das sind doch erste Hochrechnungen, das kann man noch nichts Gewissen sagen". Bei Ulrike Scharf ist die Stimmung gegen 20 Uhr "durchwachsen". Es sei "zu früh, um sich freuen, und zu früh, um den Kopf in den Sand zu stecken". Immerhin eins steht ja schon fest: Sie gratuliere ihrem Parteikollegen Andreas Lenz. Denn was sich da auf den Balkendiagrammen bei den Erststimmen tut, zeigt: Er schafft es bestimmt.

Max Gotz, Erdings Oberbürgermeister (CSU), zeigt sich überrascht, dass nun "nur noch drei Konstellationen für eine Regierungsbildung übrig bleiben". Was ihm auffällt, ist der große Vorsprung der Erststimmen im Landkreis Erding zu den Zweitstimmenergebnis für die CSU. Darüber müsse die Partei jetzt nachdenken, sagt der OB. Allerdings sei das nicht eine Aufgabe für die CSU vor Ort, sonder für die Landes-CSU. Gegen 20 Uhr ist ein sichtlich entspannter Andreas Lenz schließlich doch noch beim Bier angekommen. Die Gratulation zum Wiedereinzug nimmt er strahlend entgegen. Er bedanke sich bei allen Helfern, nehme das Votum demütig an und werde "weiter Vollgas geben", sagt der Bundestagsabgeordnete. Und am Dienstag gehe die Arbeit in Berlin wieder los.

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SZ vom 27.09.2021
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