Süddeutsche Zeitung

Vorerst nur in Erding:Ersten Stolpersteine kommen 2022

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Seit vergangenem Jahr rekonstruiert der Arbeitskreis Schicksale von NS-Opfern

Von Jakob Ille, Erding

"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist." Ein Zitat aus dem Talmud. Gunter Demnig nutzt es auf seiner Homepage, um den Sinn der Stolpersteine zu vergegenwärtigen. Stolpersteine sind kleine Gedenktafeln aus Messing, die in den Gehweg eingelassen werden. Sie erinnern an Menschen, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Den ersten Stolperstein verlegte der Künstler Demnig 1996 in Berlin-Kreuzberg. Mittlerweile gibt es Stolpersteine in 21 europäischen Ländern, 1265 deutschen Kommunen und bald auch Erding. Der Arbeitskreis Stolpersteine konnte bereits zwei Biographien rekonstruieren. "Momentan planen wir, die ersten beiden Stolpersteine im März 2022 verlegen zu können. Ganz sicher ist das aber noch nicht", sagt Katharina Heidner, Initiatorin des Arbeitskreises.

Seit vergangenem Jahr arbeiten Heidner, Heike Schmidt-Kronseder, Vorsitzende des Historischen Vereines Erding, der Historiker Giulio Salvati, Elisabeth Boxberger, die stellvertretende Leiterin des Museums Erding, und Georg Wiesmaier daran, Biographien von Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Opfer der Euthanasie-Morde und Menschen aus dem politisch oder religiös motivierten Widerstand zu rekonstruieren. Dem jüdischen Geschwisterpaar Sophie und Leopold Einstein und dem Zwangsarbeiter Pierino Riccio sollen die ersten beiden Steine gewidmet werden. Sie werden in der Langen Zeile vor den letzten Wohnorten der Opfer ins Trottoir gelassen. Bei der Verlegung werde auch Demnig einen Vortrag halten.

Im Mai präsentierte der Arbeitskreis den Stadträten das Konzept. Sie zeigten sich begeistert und sicherten ihre Unterstützung zu. "Das war der erste Meilenstein", so Heidner. Da sich die Stolpersteine auf öffentlichem Grund befinden, braucht der Arbeitskreis die Genehmigung der Stadtverwaltung. "Nur wenn es dieses Okay gibt, plant die Koordinierungsstelle in Berlin uns ein." Die Zusammenarbeit mit der Stadt laufe gut. "Ich glaube, dass die Stadt das Projekt als sehr wichtig ansieht. Sollte es scheitern, dann sicher nicht aus finanziellen Gründen", so Heidner. Geforscht wird aber weit über die Landkreisgrenzen hinaus. Auch im Bundesarchiv in Berlin, im Bezirksarchiv in München, in den Gedenkstätten Dachau und Yad Vashem sowie in ehemaligen "Pflege- und Heilanstalten", aus denen Patienten und Patientinnen in Tötungsanstalten gebracht wurden. Drei bis fünf Euthanasie-Opfer, die als "körperlich oder geistig minderwertig" betrachtet und deshalb ermordet wurden, gab es laut Salvati in Erding. Die Recherche sei aber sehr schwierig, weil die Archive, die jüdische Gemeinden geführt haben, gezielt von den Nationalsozialisten zerstört wurden.

Vorerst beschränkt sich die Suche nach Opfern auf die Stadt Erding, in Zukunft sollen aber auch Biographien im gesamten Landkreis erarbeitet werden. Dafür braucht es Menschen, die helfen. Ende September soll es einen Runden Tisch geben. Wer in seiner Familie oder seinem Umfeld relevante Biographien entdeckt, soll sich mit dem Arbeitskreis in Kontakt setzen. Wie viele Stolpersteine es geben wird, hänge auch davon ab, "wie groß das bürgerliche Engagement ist", so Giulio Salvati. Der Arbeitskreis soll aber etwas Langfristiges sein. Es solle mit Schulen zusammengearbeitet werden, "damit das Thema bei jungen Menschen ankommt und sie dafür sensibilisiert werden", sagt Heidner.

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SZ vom 04.09.2021
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