Vor Gericht:Prozess gegen Erdinger Frauenarzt: Polizei übersah Hinweise auf Mord

Neuer Prozess wegen Totschlags gegen Frauenarzt

Im ersten Prozess war der Frauenarzt vom Vorwurf des Totschlages an seiner Ehefrau freigesprochen worden. Nun steht er wieder vor Gericht.

(Foto: dpa)
  • Dem früheren Erdinger Frauenarzt Michael B. wird vorgeworfen, seine Ehefrau im Streit getötet zu haben - der Mediziner bestreitet die Tat.
  • Er war aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden, doch der Bundesgerichtshof hob den Freispruch wieder auf.
  • In dem Indizienprozess kommt es auf jede Kleinigkeit an - darum werden auch Zeugen und Gutachter nochmal angehört.

Von Florian Tempel, Landshut

Zwei Tage lang hat sich das Gericht die Darstellungen des Angeklagten angehört. Nun sind im Prozess gegen den ehemaligen Erdinger Frauenarzt Michael B. die Zeugen und Gutachter dran. Die haben zwar auch schon alles gesagt, was sie zum gewaltsamen Tod der zweiten Ehefrau des Angeklagten wissen oder herausgefunden haben. Doch umso genauer will es das Gericht im zweiten Durchgang noch mal hören.

Denn in einem Indizienprozess kommt es auf jede Kleinigkeit an, minimale Details könnten entscheidend sein. Hierin liegt allerdings das große Problem: Die Ermittlungen liefen so schlecht an, dass vieles unterging, bevor es festgehalten werden konnte. Die Richter im ersten Prozess machten letztlich die Arbeit der Erdinger Polizei dafür verantwortlich, dass es keine richtigen Beweise gibt.

Schon die zwei Streifenbeamten, die am 4. Dezember 2013 als erste Polizisten in das Reihenhaus in Pretzen kamen, wo die 60-jährige Ehefrau von Michael B. tot im Bad im ersten Stock lag, gerieten auf die falsche Fährte. Beide glaubten - wie der Notarzt, der bereits vor ihnen eingetroffen war -, dass die Frau wohl auf der Treppe vom Dachgeschoss nach unten gestürzt war, durch die offene Badezimmertür fiel und dort tödlich verletzt zu liegen kam.

Beide Streifenbeamten erklärten, warum sie ein solches "Sturzgeschehen ohne Fremdverschulden" als höchst wahrscheinlich annahmen: Auf dem Treppenabsatz vor dem Eingang zum Bad stand ein Stuhl wie umgekippt schräg an die Wand gelehnt und eine Weinflasche lag am Boden. Außerdem sei darüber geredet worden, dass die Tote ein massives Alkoholproblem gehabt habe. Eine Streifenbeamtin sagte, dass habe ihr der Nachbar gesagt, der die Polizei alarmiert hatte. Ihr Kollege glaubte sich zu erinnern, dass der Angeklagte selbst gesagt habe, seine Frau sei Alkoholikerin. Alles zusammen verdichtete den irrigen Eindruck, der Tod der 60-Jährigen sei kein Verbrechen, sondern ein Unfall gewesen.

Das wahre Desaster aber begann, als zwei Beamte des Kriminaldauerdienstes (KDD) am Tatort eintrafen. Sie übernahmen die völlig falsche Einschätzung. Dabei hätte ein gezielter Blick schon gezeigt, dass die Frau erwürgt und erstickt worden war. Denn in einem solchen Fall kommt es zu kleinen, aber unübersehbaren Blutungen in den Augen. Das ist Grundwissen, dass ein KDD-Polizeibeamter haben müsste. Zudem war die Leiche mit Hämatomen übersät. Die KDD-Beamten sahen aber auch das nicht.

Richterin kritisiert Polizeibeamte

Die Vorsitzende Richterin im ersten Prozess ging sehr hart mit den Polizeibeamten und ihrem Verhalten am nicht erkannten Tatort ins Gericht. Die "polizeiliche Leichenschau" sei zu einer "polizeilichen Spurenvernichtung" geworden, beklagt sie in der Urteilsbegründung: Als die KDD-Beamten die Leiche entkleideten, spritzte Blut durchs Bad - die Beamten wischten es weg.

Die Polizisten hatten auch kein medizinisches Thermometer dabei, um die Temperatur der Leiche zu messen. Einer der beiden hatte sich privat ein Fleischthermometer zugelegt. Das nahm er zur Messung der Leichentemperatur her. Zum kriminalistischen Grundwissen gehört eigentlich, dass man eine Stunde später eine zweite Messung machen muss, damit der Todeszeitpunkt möglichst genau berechnet werden kann. Doch eine zweite Messung wurde nicht vorgenommen. Weil alles so ungenau und unbrauchbar gemacht wurde, konnte später der Tatzeitpunkt nur vage zurückgerechnet werden.

Das Schlimmste jedoch war, dass die Polizei den Leichnam und den Tatort freigab. Ein Bestattungsunternehmen holte die Leiche ab, statt dass sie von einem Rechtsmediziner angeschaut wurde. Der Angeklagte putzte mit Genehmigung der Polizei den Tatort. Am Abend wischte er schon mal grob die Blutspuren vom Boden weg und brachte einen blutverschmierten Badvorleger in den Waschkeller. Am nächste Vormittag stellte er die Waschmaschine an und schrubbte das Bad, die Treppe und den Treppenabsatz mit großer Gründlichkeit.

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