Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Alles nicht so einfach

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Bayerns Verkehrsminister Hans Reichhart trifft verzweifelte A 94-Anwohner. Er verspricht Lärmmessungen und Überprüfungen. Für Tempolimits sei er aber nicht zuständig - und außerdem gelte es dabei Bundesrecht zu beachten

Von Florian Tempel, Dorfen/Lengdorf/Buch

Die Politiker sollen dranbleiben beim Thema Lärmschutz, rief einer Bayerns Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU) zu, "nicht nur bis zur Wahl". Reichhart war etwas empört: "Glauben Sie, dass wir so gestrickt sind, dass wir in drei Monaten sagen, das ist uns doch scheißegal?" Nein, sagte der Minister, der in gut drei Monaten Günzburger Landrat werden will, "keine Sorge!" Er kenne die Problematik des Autobahnlärms aus seiner Heimat. Seit vor sechs Jahren dort die A 8 ausgebaut wurde, sei er drangeblieben, Lärmschutz zu fordern. Was er von Tempolimits als Sofortmaßnahmen halte, wollte da ein anderer wissen. Reichhart sagte dazu nichts, sondern wich aus: er sei nicht zuständig, es gelte Bundesrecht und es sei alles nicht so einfach.

Reichhart war am Mittwoch auf Einladung der Landtagsabgeordneten Ulrike Scharf und Landrat Martin Bayerstorfer (beide CSU) in Lindum bei Dorfen und in Außerbittlbach, einem Gemeindeteil von Lengdorf, um sich selbst ein Bild von den Belastungen durch die Isentalautobahn zu machen und mit Anwohnern zu reden. Die dritte für ihn geplante Station in Loiperding, Gemeinde Buch, schaffte er nicht mehr. Die Botschaft des Ministers an die geplagten Autobahnanrainer war karg und klang wenig hoffnungsvoll: "Kann man was machen und was kann man machen?" Nun, das müsse man im Detail klären, wobei er jedoch jede Einzelheit "todernst nehmen werde". Man wolle zunächst Lärmmessungen an verschiedenen Anwesen entlang der Isentalautobahn vornehmen, was sich jedoch über mehrere Monate hinziehen werde, da man zu verschiedenen Jahreszeiten messen müsse. Außerdem wolle man sich die Bauausführung der Autobahn ganz genau anschauen, ob das wirklich so gebaut sei, wie es sich gehört.

Das bezweifeln viele. Auch die Abgeordnete Scharf und Landrat Bayerstorfer sind sich längst sicher, dass es "nicht Stand der Technik sein kann", Beton als Fahrbahnbelag zu verwenden. Die Anwohner sehen die Sache allerdings noch wesentlich kritischer. "Der Mensch ist nichts wert, Hauptsache die Lärmwerte werden eingehalten", klagte Martin Numberger aus Lindum. "Es ist ohne Menschenverstand gebaut worden - wir waren egal", sagte Maria Numberger. Und Wolfgang Obermaier aus Loiperding schimpfte, es sei ihm ganz und gar unbegreiflich "was man in der heutigen Zeit alles anstellen kann".

Die Verzweiflung der Anwohner ist so groß, dass es den Politikern mitunter die Sprache verschlug. Im Garten der Obermaiers, wo man einen freien Blick zur A 94 hat, die in wenigen hundert Meter Entfernung auf einem Damm vorbeiführt, liefen Anita Hilz Tränen über die Wangen, als sie erzählt, wie es ihr in ihrem Haus in Ödenbach ergeht: "Es geht mir persönlich an die Substanz. Ich weiß nicht mehr, wo ich hingehen soll, damit es nur einmal ruhig ist." Auch eine Frau in Lindum sagte: "Ich kann nicht mehr in den Garten, nicht mehr spazieren gehen, nicht mehr radeln - ich hatte mich auf die Rente gefreut und jetzt ist alles hin." Wolfgang Obermaier geht es ähnlich: "Ich war jeden Tag im Holz, ich geh nicht mehr raus - es ist eine Katastrophe". Die Anwohner hoffen dieser Tage, dass möglichst dicker Nebel aufzieht, weil der den Verkehrslärm dämpft.

In Außerbittlbach standen die Politiker vor dem Haus der Osterlohers. Es war so laut, dass man das, was Bernhard Osterloher Verkehrsminister Reichhart zu sagen hatte, schon aus zwei, drei Metern Entfernung nicht mehr verstehen konnte. "Heute ist es ja vergleichsweise ruhig", erklärte Osterloher und seine Nachbarn stimmten ihm zu, dass es in den vergangen Tage viel schlimmer war. Das Schlimmste aber ist, das sagen alle, dass der Autobahnlärm so oder so rund um die Uhr geht, tagein und tagaus.

In Lindum führte Heiner Müller-Ermann, der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen die Isentalautobahn noch einmal aus, dass die A 94 niemals durch das Isental hätte gebaut werden dürfen - und die CSU-Politiker stimmten ihm zu. Ulrike Scharf und der Mühldorfer Abgeordnete Marcel Huber (CSU), ebenfalls ein früherer bayerischer Umweltminister, sagten unisono: "Müller-Ermann hat recht." Landrat Bayerstorfer schloss sich Müller-Ermanns Kritik an der undurchsichtigen öffentlich-privaten Finanzierung an. Und Scharf versprach den Anwohnern, "wir lassen Sie nicht im Stich."

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Quelle:
SZ vom 19.12.2019
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