Verhandlung in Landshut:Tatmotiv Hass

Versuchter Mord oder nur gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Schizophrener Asylbewerber aus dem Irak wirft mit schwerem Stein auf Auto, weil er als psychisch Kranker nicht abgeschoben werden kann

Von Florian Tempel, Landshut

Am Morgen des 29. Dezember 2015 stand ein junger Mann in Taufkirchen mitten im Ort am Straßenrand der Bundesstraße B 15 und bewarf ein vorbeifahrendes Auto mit Steinen. Drei Zeugen haben gesehen, dass er gegen 8.50 Uhr mit aller Kraft und voller Wucht warf. Mit einem 636 Gramm schweren Stein traf er einen Kleintransporter, in dem ein Pärchen aus Serbien saß, das auf der Durchreise war. Die Windschutzscheibe ihres Autos splitterte, ging aber nicht zu Bruch. Die Beifahrerin erlitt einen Schock, blieb aber sonst unversehrt. Der Steinewerfer, ein 25 Jahre alter, psychisch kranker Iraker, wartet seelenruhig, bis die Polizei kam.

In einer ersten Vernehmung gab er an, er habe den Stein aus drei Gründen geworfen, um "jemanden zu töten": Er hasse die Deutschen, da er als Asylbewerber abgelehnt wurde; alle Deutschen hassten hin; er hoffe, dass er durch seine Tat in Deutschland bleiben dürfe. Die Staatsanwaltschaft Landshut hat ihn wegen versuchten Mordes angeklagt. Der Prozess am Landgericht Landshut hat am Dienstag begonnen, am Donnerstag soll schon das Urteil gesprochen werden.

Der Angeklagte sagt nun, vor Gericht, nichts mehr. Und seine zwei Rechtsanwälte vertreten die Ansicht, dass alles, was er bislang zur Tat gesagt hat, aus rechtlichen Gründen im Prozess nicht verwertet werden dürfe. Die Verteidiger habe aus ihrer Sicht allen Grund, so zu argumentieren. Denn das, was ihr Mandant bei mehreren Gelegenheit der Polizei und Ermittlungsrichtern gesagt hat, erscheint doch als eindeutiges Geständnis.

Dass er einen Stein auf ein fahrendes Auto geworfen hat, steht dabei unzweifelhaft fest. Der Tatnachweis ist einfach. Doch ob es versuchter Mord oder nur ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr war, ist eine viel schwierigere Frage.

Augenzeugen haben gesehen, was der Angeklagte getan hat. Ein 46 Jahre alter Taufkirchener fuhr hinter dem Auto des serbischen Pärchens und sah, wie er, an der Baustelle der ehemaligen Bäckerei Mautner stehend, zum Wurf ausholte und kräftig durchzog, wie der Stein durch die Luft flog und den Wagen traf. Der Fahrer des Autos reagierte ruhig, und fuhr scheinbar unbeeindruckt weiter, bis er sein Fahrzeug auf einem nahem Parkplatz ordentlich abgestellt hatte. Der Taufkirchener fuhr hinterher, rief die Polizei und blieb bei dem Mann und der Frau aus Serbien. Während sie auf die Polizei warteten, sahen sie den Angeklagten einige Dutzend Meter entfernt gelassen dastehen. Schließlich kam er sogar zu ihnen und habe gefragt, ob sie denn schon die Polizei informiert hätten.

Eine 51 Jahre alte Frau aus Velden hatte die Tat ebenfalls gesehen. Sie war mit ihrer Tochter unterwegs und hatte gleich, als sie den Angeklagten wahrnahm, ein ungutes Gefühl. Sie sprang nach dem gefährlichen Wurf aus dem Auto und bewachte den geworfenen Stein, bis die Polizei kam. Auch sie wunderte sich über den Angeklagten: "Der stand da, als ob er nichts getan hat, wie ein unbescholtener Bürger."

Der dritte Augenzeuge war ein 19 Jahre alter Schüler, der zur VR-Bank wollte. Er sah den Steinwurf beim Aussteigen aus seinem Auto. Seiner Erinnerung nach zündete sich der Angeklagte danach eine Zigarette an. Als er nach einigen Minuten in den Bankvorraum zum Geldautomaten ging, sei ihm der Angeklagte gefolgt. Er sei "erschreckend ruhig" gewesen, sagte der 19-Jährige, und habe ihn aufgefordert, die Polizei zu rufen.

Als etwa 40 Minuten später eine Streife der Polizeiinspektion Dorfen kam und die Beamten erfuhren, dass der junge Iraker aktuell Patient in der psychiatrischen Klinik in Taufkirchen war, brachten sie ihn dorthin zurück und übergaben ihn einer Oberärztin. Die kannte ihn schon seit mehr als einem Jahr. Acht Tage zuvor war er zum bereits fünften Klinikaufenthalt nach Taufkirchen gekommen. Der Angeklagte leidet, so die Oberärztin vor Gericht, seit mehreren Jahren an paranoider Schizophrenie. Er sei ganz sicher in einem akuten psychotischen Zustand, aber nicht vollkommen wirr gewesen. In einem ersten Gespräch habe er ihr erklärt, er wollte einen Unfall verursachen und Menschen verletzten.

Erst am folgenden Tag wurde der Angeklagte von der Polizei vernommen. Die Oberärztin, die bei der Vernehmung anwesend war, sagte, der Angeklagte sei auf alle Fälle vernehmungsfähig gewesen. Er gab die eingangs genannten Motive seiner Tat an und sagte abschließend, "ich sage das alles", um als psychisch krank anerkannt zu werden - weil er dann nicht abgeschoben werden könne. Der Prozess dauert an.

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