Süddeutsche Zeitung

Vergangenheit wird lebendig:Gedanken aus 1600 v. Chr.

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Der Archäologe Harald Meller erklärt in der Volkshochschule seine Interpretation der Himmelsscheibe von Nebra

Von Max Ferstl, Erding

Als erstes hat sich Harald Meller in der Heimat Würste gekauft. "Gscheide vom Metzger", wie er sagt. Leider gäbe es die in Halle (Saale) nicht, wo der gebürtige Olchinger lebt. Dafür hat die Wahlheimat für den Archäologen andere Vorzüge: Der Boden der neuen Bundesländern ist recht unberührt. So fanden 1999 Raubgräber in Sachsen-Anhalt die sogenannte Himmelscheibe von Nebra. Inzwischen gehört sie zum Unesco-Weltdokumentenerbe und steht im Landesmuseum für Vorgeschichte. Meller, der Direktor, hat am vergangenen Freitag in der Volkshochschule Erding einen Vortrag über den Fund gehalten.

Die Himmelsscheibe verrät natürlich nicht, welche Würste die Menschen 1600 Jahre vor Christus gegessen haben. Sie erzählt etwas Wichtigeres: "Wir bekommen einen Einblick in die geistige Welt von damals", glaubt Meller, der seit 2009 auch als Honorarprofessor an der Universität Halle-Wittenberg lehrt. Das sei einzigartig, da es aus dieser Zeit keine schriftlichen Überlieferungen gebe: "Die meisten Funde betreffen die Kultur oder Wirtschaft." Nicht jedoch die Gedanken der Menschen.

Die Himmelsscheibe von Nebra ist eine kreisförmige Bronzeplatte, auf der goldene Plättchen angeordnet sind. Die Plättchen interpretiert Meller, laut VHS-Geschäftsführer Claus Lüdenbach "der Experte von Nebra", als Sterne, Monde und Sonne. Seiner Ansicht nach würde die Himmelsscheibe belegen, dass die Menschen damals bereits ein bemerkenswertes Verständnis über Astronomie besäßen hätten.

"Die Himmelsscheibe erklärt den Himmelslauf von Sonne und Mond", sagt er. Selbst die Schaltregel ließe sich nachweisen. Auch die Plejaden sind vorhanden, ein markanter Sternhaufen, der auf der Himmelsscheibe mit sieben dicht beieinander liegenden Punkten abgebildet wird. Ansonsten "wird kein einziges Sternbild erkennbar", sagt Meller. Das spreche für einen kundigen Hersteller, denn: "Selbst wenn man die Sterne völlig willkürlich anordnen würde, entsteht meist zufällig ein Sternbild. Man muss sich also auskennen."

Von der Himmelsscheibe leitet Meller auch Rückschlüsse über die damalige Gesellschaftsstruktur ab: Die Menschen müssten demnach international Handel getrieben haben, die verwendeten Materialien kämen aus verschiedenen Ecken Europas. Das Kupfer zum Beispiel vermutlich aus Erzminen im heutigen Österreich, das Gold aus dem Fluss Carnon im englischen Cornwall.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2017
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