Vaterstetten:Schirme mit Charme

So hübsch wie gefährlich: Anlässlich des Europäischen Pilztags warnen Toxikologen vor giftigen Schwammerl

Von Antonia Heil, Vaterstetten

Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen . . ." Wer morgens im herbstlichen Wald unterwegs ist, muss nicht lange darauf warten, bis ihm diese Zeilen von Eduard Mörike einfallen. Vielleicht ging der Dichter ja gerne Pilze sammeln. Denn: "Wer so früh im Wald ist, geht entweder mit dem Hund Gassi oder er geht in die Pilze." Das ist die Erfahrung von Helmut Lamparter, der Pilzexperte und Mitglied im Verein für Pilzkunde München ist. Heute erkundet er den Wald südlich der Wasserburger Landstraße am Baldhamer Ortsrand mit Franz Bichlmeier, Vorsitzender des Gartenbauvereins Vaterstetten, und Friederike Mugele, Kreisvorsitzende der Gartenbauverbände im Landkreis Ebersberg.

Kaum ist die Gruppe zehn Meter weit in den Wald hineingelaufen, ruft er auch schon: "Da schau her, eine Stinkende Lederkoralle!" Er hält einen Pilz hoch, den man tatsächlich für einen alten Lederlappen halten könnte. Ein paar Schritte weiter auf dem weichen Waldboden eröffnet sich ein erstaunlicher Anblick: Jede Menge kleiner, runder, brauner Kugeln mit einem Loch oben in der Mitte scheinen auf der Moosdecke verstreut zu liegen. Berührt man sie, entweicht aus der Öffnung brauner Staub. Auch das sind Pilze, sogenannte Bovisten. "Ja, die gibt es hier wirklich zuhauf", erzählt Bichlmeier. Im Umkreis von etwa hundert Metern stehen hier Käspilze, Ockertäublinge, Scheidenstreiflinge - zumindest kennt Lamparter sie unter diesen Namen. "Der Volksmund hat meistens mehrere Namen für den gleichen Pilz parat", erklärt er. "Und auch die lateinischen Namen sind nicht eindeutig, weil die Forschung gerade ganz neue Verwandtschaftsverhältnisse herausgefunden hat. Da muss dann oft ein neuer Familienname her." Denn die botanische Bezeichnung für einen Pilz besteht immer aus einem Gattungsnamen und einem individuellen. So heißt der erst kürzlich gekürte Speisepilz des Jahres 2017 "Marcolepiota Procera", zu deutsch Gemeiner Riesenschirmling oder Parasol.

Auch ein Exemplar davon entdecken Lamparter und Bichlmeier. Zumindest sind sie sich zu 90 Prozent sicher, dass das etwa zehn Zentimeter hohe Prachtexemplar einer ist. Denn um Pilze zu bestimmen, muss man viele Kriterien beachten und sich viele Dinge merken. Farbe, Musterung, Stiel, Schirm, Lamellen - all das muss sorgfältig überprüft werden. Und nur wenn wirklich alle Merkmale passen, kann man sich sicher sein. "Hier beim Parasol ist das Charakteristische dieser verschiebbare Ring am Stiel", erklärt Lamparter. "Aber er hat ja gar nicht diese Punkte oben auf dem Schirm, die er sonst immer hat", wundert sich Mugele. "Bei Pilzen kann es passieren, dass äußere Umstände ihr Erscheinungsbild so stark verändern, dass man sie nicht mehr wiedererkennt", antwortet Lampartner. "Zum Beispiel könnte der viele Regen bei dem hier die Knubbel abgewaschen haben."

Deswegen gilt beim Pilzesuchen: Auch wenn man meint, sich gut auszukennen, sollte man immer eine Pilzberatungsstelle aufsuchen, unter anderem in München und in Pasing. Pilzvergiftungen sind nämlich nicht zu unterschätzen: 300 Mal wurde der bayerische Giftnotruf am Klinikum Rechts der Isar im vergangenen Jahr kontaktiert. "Dieses Jahr waren es sogar bis Ende August schon 217 Fälle", sagt Florian Eyer, Chefarzt in der Toxikologie. Symptome für Vergiftungen seien Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle, so der Fachmann. Das könne aber auch auftreten, wenn Pilze roh gegessen würden. Bei sehr ernsthaften Anzeichen empfehle es sich, den Notarzt zu rufen. Ansonsten rät er, unter der Nummer (089) 192 40 den Giftnotruf zu kontaktieren. "Da haben Sie dann gleich Fachleute am Apparat, die Ihnen optimal weiterhelfen können." Die Bayerische Mykologische Gesellschaft weist zudem auf ihrer Homepage darauf hin, dass viele Pilzgifte langfristig Schäden an Organen hervorrufen können.

Pilzspezialist Lampartner hätte den vermeintlichen Parasol also wahrscheinlich stehen gelassen. Aber er und die beiden anderen wollen heute sowieso lieber "Pilze gucken" statt Pilze sammeln. Und zu gucken gibt es genügend: Schließlich reicht die Artenvielfalt weit über die bekannten Speisepilze hinaus. Etwa 1900 Pilzarten sind in Deutschland wissenschaftlich erfasst, geschätzt gibt es ungefähr 11 000. Ein Augenschmaus sind sie allesamt: Der knallorange Fichtenreizker mit den grünen Punkten oben auf der Kappe, die winzig kleinen Stummelfüßchen, die nur an Zweigen wachsen können oder der hellbraune Semmelstoppelpilz, der mit seinen Stoppeln anstatt von Lamellen an der Unterseite des Schirmes tatsächlich an eine halbierte Semmel erinnert.

Bei einem Test hat das Umweltinstitut München in eben diesen Semmelstoppelpilzen einen Cäsiumgehalt festgestellt, der fünfmal so hoch war wie der in der EU gültige Grenzwert lag. Generell, so das Institut in einer Pressemitteilung, werde zum Beispiel bei Maronenröhrlingen ein erhöhter Wert gemessen, während Steinpilze und Pfifferlinge in der Region weniger stark belastet seien. Das Cäsium sieht man den Pilzen jedoch nicht an, und bezüglich des Giftes sagt ein bekanntes Sprichwort: "Je giftiger ein Pilz ist, desto hübscher ist er anzusehen." Es lohnt sich also, bei einem gemütlichen Waldspaziergang die wunderbare Farbenpracht der Pilze zu bewundern.

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