Vaterstetten:Die Hoffnung bremst zuletzt

Lesezeit: 4 min

Wenn in einigen Jahren das neue Gewerbegebiet in Parsdorf bezogen ist, werden dort etwa 2000 Leute arbeiten. Dass die vorhandene Infrastruktur für so viele Pendler ausreicht, wird von vielen Seiten bezweifelt

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

Über die Schwierigkeit von Prognosen, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, haben sich schon viele berühmte Leute ausgelassen, wahlweise Mark Twain, Niels Bohr oder Karl Valentin. Wer nun auch immer das Urheberrecht auf den Satz beanspruchen kann - sicher ist: falsch liegt man damit nicht. Gerade bewahrheitet er sich in Vaterstetten, genauer in Parsdorf. Dort, so wurde vergangene Woche nach zwei Jahren Planen und Feilschen bekanntgegeben, wird das bislang größte Gewerbegebiet der Gemeinde entstehen. In den Niederlassungen von Krauss-Maffei und BMW sollen einmal 2000 Leute arbeiten oder sogar mehr. Ob sie ihren Arbeitsplatz erreichen, ohne die jetzt schon überstrapazierte Infrastruktur ins komplette Verkehrschaos zu stürzen, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Seitens der Verwaltung und der Mehrheitsfraktion im Gemeinderat steht man auf dem Standpunkt: Alles kein Problem - und stützt sich dabei auf eine Prognose. In dieser hat der von der Gemeinde beauftragte Verkehrsplaner Harald Kurzak seinem Auftraggeber eben genau dies bescheinigt. Darum verweist auch die CSU in ihrer jüngsten Stellungnahme zum Gewerbegebiet darauf, die zusätzliche Verkehrsbelastung sei "überschaubar".

Auch dazu, warum mindestens 4000 Autofahrten pro Tag plus die Lastwagen zum und vom BMW-Logistikzentrum auf einer ohnehin gut befahrenen Straße - die Erschließung des Gewerbegebietes erfolgt nur über die Kreisstraße EBE 17, die auf Vaterstettener Seite Gruber und auf Poinger Parsdorfer Straße heißt - kein Problem sei, gibt es eine Prognose. Demnach werden die meisten Jobs bei Krauss-Maffei entstehen, und dort gibt es hauptsächlich Schichtarbeit. Weshalb der Pendelverkehr ins und aus dem Gewerbegebiet nicht in den klassischen Berufsverkehr falle - alles kein Problem also.

Sehr wohl ein Problem sehen dagegen andere. Die Gemeinderatsfraktionen von Grünen und SPD etwa, gleichzeitig mit der CSU haben sie ebenfalls Stellungnahmen zum Gewerbegebiet verschickt und erklärt, warum sie dagegen waren und sind. Ein wichtiger Grund ist dabei die Verkehrssituation, diese sei "schon heute (. . .) im Münchner Osten mehr als angespannt", so schreiben es die Grünen. Auch die etwa 500 Meter entfernte S-Bahnstation Grub werde da wenig ändern, schließlich sei auch der öffentliche Nahverkehr "ständig an oder über der Belastungsgrenze". Ähnlich sieht man das bei der SPD: "Bereits jetzt ist die A 94 bei Parsdorf in den Hauptverkehrszeiten ständig überlastet, was zu einem enormen Ausweichverkehr durch die Ortschaften Neufarn, Parsdorf und Weißenfeld führt."

Den Ausweichverkehr fürchtet man auch bei den Nachbarkommunen, deren Bedenken und die Antwort aus Vaterstetten darauf sind aufgelistet in den Stellungnahmen. Poing erwartet mehr Staus auf der EBE 17 - was Vaterstetten damit kontert, dass laut eigener Prognose ein Drittel des künftigen Verkehrs dort von den neuen Poinger Wohngebieten W 7 und W 8 verursacht werde. Feldkirchen und Kirchheim warnen ebenfalls vor mehr Verkehr und fordern, diesen möglichst vollständig auf die A 94 abzuleiten, damit die eigenen Straßen nicht belastet werden. Dies sei ohnehin der Plan, so die Antwort aus Vaterstetten: "80 Prozent des Verkehrs des Gewerbeparks sind auf die A 94 ausgerichtet" - also auch hier alles kein Problem.

Oder gerade doch. Denn eine der Stellungnahmen hat es in sich: jene der Autobahndirektion Südbayern. Seit Beginn des Bebauungsplanverfahrens gab es von dieser Seite kritische Einwände, Knackpunkt ist weniger ein Stau auf der Gruber Straße als auf der Autobahn selbst. Das Szenario, vor dem die Direktion warnt, ist, dass die EBE 17 so voll werden könnte, dass der Rückstau auf die Autobahn reicht. Eine gegenteilige Prognose des von der Gemeinde beauftragten Planers bezeichnete die Autobahndirektion als "fehlerhaft".

Diesen Ausdruck benutzt man inzwischen nicht mehr, bei einem Treffen im Herbst mit dem Planer und Vertretern der Gemeinde hat man sich auf ein neues wording geeinigt: Demnach liege ein Missverständnis vor, die Gemeinde und ihr Planer hätten eine Verkehrsprognose für das Jahr 2030 vorgelegt - die Autobahndirektion dagegen rechne mit dem Jahr 2035. Wobei, das hat Kurzak ebenfalls prognostiziert, in diesen fünf Jahren ohnehin keine Verkehrszunahme zu erwarten sei, da die Poinger Wohngebiete 7 und 8 erst 2035 vollständig bezogen sein werden. Aber bis dahin soll ja auch der Ausbau der A 99 fertig sein, was auch der A 94 Entlastung bringen könnte. Ein Ausbau der Gruber Straße auf je zwei Fahrspuren pro Richtung sei ebenfalls möglich, alles kein Problem.

Ganz möchte man bei der Autobahndirektion diese Auffassung indes nicht teilen: Man könne nach wie vor "die Ermittlung des Verkehrsaufkommens aus dem Gewerbegebiet nicht nachvollziehen". Zwar erklärt die Behörde "grundsätzliches Einverständnis" zu dem Projekt, knüpft dieses aber an Auflagen - und die haben es in sich. Denn sollte sich herausstellen, dass die Prognosen, welche die Gemeinde vorgelegt hat, nicht stimmen, könnte es für Vaterstetten unangenehm werden: "Die Kosten für technische und bauliche Maßnahmen zur Ertüchtigung und Leistungssteigerung der Anschluss-Stelle Parsdorf, die durch die gestiegenen Verkehrsmenge ausgelöst werden, sind von der Gemeinde Vaterstetten zu tragen", heißt es wörtlich von der Autobahndirektion.

Auch welche Maßnahmen in Frage kommen, wird aufgeführt: Zum einen muss die Ampel an der Gruber Straße so umgerüstet werden, "dass ein Rückstau auf die Autobahn verhindert wird". Was harmlos klingt, bedeutet im Klartext: Der Verkehr von der Ausfahrt hat so lange Grün, bis der Stau auf der Autobahn vorbei ist. Welche Folgen das für den Verkehr auf der Kreisstraße und bis nach Parsdorf und Poing hinein haben dürfte, kann man sich vorstellen. Eine Wahl lässt die Autobahndirektion der Gemeinde nicht: "Diese Anpassungspflicht gilt auch dann, wenn dies zu Überlast und entsprechendem Rückstau auf der EBE 17 führt." Deutlich unangenehmer für die Gemeinde könnte der Punkt "bauliche Maßnahmen" werden. Hier nennt die Autobahndirektion den "Umbau des Knotenpunkts Kreuzung EBE 17/Rampe Nord der Anschluss-Stelle Parsdorf". Was das kostet, kann man nur schätzen, vermutlich einen siebenstelligen Betrag. Als sicher kann diese Prognose gelten: Falls es soweit käme, hätte die Gemeinde ein Problem.

© SZ vom 24.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: