Vaterstetten:Der Weg des Lebens

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Gulaim und Jochen Ebenhoch wandern in Etappen etwa 10 000 Kilometer von Oberschwaben nach Kirgistan

Von Elisabeth Urban, Vaterstetten

Aufgeben ist keine Option. Auch dann nicht, wenn Jochen Ebenhoch dick vermummt mit Wanderstöcken und einer Brottüte auf dem Arm über einen schmalen, vereisten und schneebedeckten Baumstamm balanciert, der die dürftige Brücke über einen eiskalten Bach darstellt - irgendwo im Nirgendwo Aserbaidschans. "Da hab ich mir dann halt gedacht, wenn ich jetzt falle, schmeiß ich das Brot auf die andere Seite und mache noch einen Sprung", erzählt der Vaterstettener. 2010 starteten der gebürtige Schwabe und seine Frau Gulaim eine Reise, die ihr Leben verändern sollte: etappenweise von Jochen Ebenhochs oberschwäbischer Heimat Weingarten bis Erkin-Saj in Kirgistan, dem Geburtsort seiner Frau, zu wandern.

Die Routenplanung der etwa 10 000 Kilometer hat sich seither immer wieder geändert, insgesamt seien aus geplanten 400 Wandertagen doch eher 500 geworden. Natürlich beobachte man vor den Reisen immer die politisch Lage in den Zielländern, der Iran sei beispielsweise erst nach einiger Zeit in die Reiseplanung mit aufgenommen worden, sagen die beiden.

Wenn das Paar nicht gerade unterwegs ist, um eine Etappe zu schaffen oder die Routen der öffentlichen Wandertouren zu optimieren, die Jochen Ebenhoch mittlerweile von Weingarten bis Sizilien anbietet, leben sie in der Gemeinde Vaterstetten. In den Wintermonaten gibt das Paar hier außerdem Kochkurse an der Volkshochschule - sie wollen die Zubereitungsweisen der kulinarischen Köstlichkeiten, die sie auf ihren Reisen entdecken, weitergeben.

Mithilfe von Satellitenkarten planen die Ebenhochs ihre Etappen, zwischen braunen, grauen und grünen Landflächen, die von weißlichen Flusslinien durchzogen werden. Auf dem Handy zeigt Gulaim Ebenhoch den Strich, der die Route für die nächste Tour darstellt. Unterwegs hilft immer wieder der prüfende Blick aufs Display, um herauszufinden ob man noch richtig ist - oder man fragt die Einheimischen, denen man begegnet. Natürlich kommt es dann doch oft anders als geplant, Flüsse, die durch anhaltende Regenfälle unüberquerbar wurden, Militärgebiete, die in den Karten grundsätzlich nicht eingezeichnet sind oder eher inoffiziell existieren, Gebirge, Bären- und Wolfsreviere, um all das hat das Ehepaar ihre Routen schon herum planen müssen. "Für mich ist es immer sehr kritisch, wenn wir zurückgehen", sagt Gulaim Ebenhoch. Für sie sei es eine große Enttäuschung, wenn das Ziel vielleicht nur noch ein paar 100 Meter Luftlinie entfernt ist, man aber zum Umkehren gezwungen sei. Gulaim ist es auch, die den Weg gerne mit dem Leben vergleicht: "Wenn man lebt gibt es überall Wege, es geht immer irgendwo weiter."

Meist bucht das Paar die erste Übernachtung vor Ort im Voraus, danach schaut man, was sich ergibt. Anfangs hatten sie dafür noch ein Zelt im Gepäck, aber weil das eben zusätzliches Gewicht ist und man besonders in den asiatischen Ländern auf enorme Gastfreundschaft gestoßen sei, ist das Zelt mittlerweile ausgemustert worden. Ob beim Bürgermeister oder dem Imam, die ungewöhnlichen Gäste werden stets gut aufgenommen. Manchmal sei es dann schwierig zu erklären, was sie überhaupt machen, eine Muslimin und ein Christ, zu Fuß unterwegs. Jochen Ebenhoch erklärt die Philosophie, die der Reise zugrunde liegt, dann oft, indem er sie mit der muslimischen Pilgerreise nach Mekka vergleicht: "Eine große Anstrengung um ein besonderes Ziel zu erreichen."

Wenn sie länger in einem Land bleiben, haben die beiden außerdem meist Flyer zu ihrem Projekt in der Landessprache dabei. Dass das Paar zusammen ein enormes Sprachrepertoire aufweist, ist wohl mit ein Grund für den intensiven Kontakt zu den Menschen, denen sie begegnen. Russisch, Türkisch, Italienisch, Französisch, Griechisch, Farsi... Auf fast jeder Station ihrer Reise können sich die beiden in der Landessprache verständigen. Das sorge auch für Vertrauen und erleichtere die Erklärungen. Mit der Zeit hat sich so ein Netzwerk aus Freunden und Bekannten gebildet.

Bei Wind und Wetter, rund ums Jahr wandert das Ehepaar, meist sind die Etappen bis zu zehn Tage lang. "Wenn man nur so am Tisch sitzt, kann man sich das gar nicht vorstellen", sagt Jochen Ebenhoch. Seine Frau stimmt ihm zu, eigentlich müsse man die Erlebnisse in einem Film festhalten. Bärentatzenabdrücke im georgischen Schnee, Übernachtungen in einer griechischen Kirche, Teetrinken in Aserbaidschan, wo man sich ein Zuckerstück zwischen die Zähne klemmt.

Insgesamt habe die Reise die beiden verändert. "Wir sind 5600 Kilometer gelaufen, es geht immer weiter", sagt Gulaim Ebenhoch. Ihr früherer Bürojob kommt für die studierte Ingenieurin nicht mehr in Frage. Gemeinsam mit ihrem Mann, der weiter als promovierter Chemiker arbeitet, organisiert sie seit zwei Jahren auch Abenteuerreisen nach Kirgistan und Usbekistan. Alle zwei bis drei Wochen sind die beiden irgendwo unterwegs. Die Beziehung zur großen Wanderung bringt Jochen Ebenhoch so auf den Punkt: "Es ist unser Leben geworden". 2022 oder 2023 werden sie ihr Ziel voraussichtlich erreichen, wobei Ebenhoch klarstellt: "Fertig werden kann man damit nicht, aber ankommen". Im Winter diesen Jahres wollen sie im Iran weiterwandern, Jochen war bereits auf früheren Reisen dort, Gulaim ist schon gespannt was sie erwartet. Probleme befürchten sie keine, Mutter und Schwiegermutter werden aber wahrscheinlich trotzdem beten, dass die beiden wohlbehalten zurückkommen.

© SZ vom 26.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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