Unangemeldete Versammlungen:Hotspot der Montagsdemos

Unangemeldete Versammlungen: Ein Streifenwagen mit Blaulicht zeigt den 1500 Teilnehmern der unangemeldeten Demo am vergangenen Montag in Erding, wo es lang geht.

Ein Streifenwagen mit Blaulicht zeigt den 1500 Teilnehmern der unangemeldeten Demo am vergangenen Montag in Erding, wo es lang geht.

(Foto: Stephan Goerlich)

Die Protestmärsche von Leugnern der Pandemie und Impfgegnern in Erding sind die größten weit und breit - Landrat Bayerstorfer reagiert nicht

Von Florian Tempel, Erding

Es wird weitergehen, wie gehabt. "Wir wissen ja, wo die Versammlungen stattfinden", sagt Polizeidirektor Rainer Kroschwald, der Leiter der Polizeiinspektion Erding. Die Vorbereitungen für die montäglichen Protestmärsche von Pandemieleugnern, Impfgegner und Verschwörungsgläubigen laufen längst routiniert. Über das Polizeipräsidium Oberbayern Nord in Ingolstadt hat Kroschwald auch Ende dieser Woche wieder die Unterstützung zusätzlicher Einsatzkräfte angefragt. Die werden am Montagabend in Erding unbedingt gebraucht. Es werden wieder 1500 Menschen erwartet, die sich im Zentrum der Stadt treffen, um einen mit Blaulicht eskortierten Rundumzug gegen Corona-Schutzmaßnahmen zu unternehmen.

Während die Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis erstmals die 1000er-Marke überschritten hat, bleibt Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) weiterhin maximal zurückhaltend und will den Protestmärschen nichts entgegensetzen. Er will nicht einmal Maskenpflicht anordnen. Am Dienstag teilte sein Büro mit, dass man weiterhin auf das Mittel einer Allgemeinverfügung verzichten werde. Die Städte und Gemeinde im Landkreis können nicht selbst Verbote oder Beschränkungen erlassen. Das kann nur der Landrat.

Der Kommunalpolitik bleibt lediglich die Möglichkeit, offene Briefe zu schreiben oder gemeinsame Erklärungen zu verfassen - die aber hier im Landkreis wirkungslos verhallen. Der Gemeinderat Wartenberg hat sich noch vor Silvester einstimmig und vehement gegen die unangemeldeten Demos in der Marktgemeinde ausgesprochen. Dass die Erklärung die Teilnehmer der Protestzüge nicht beeindrucken würde, war zu erwarten. Aber auch Landrat Bayerstorfer ging öffentlich bislang mit keinem Wort auf die Wartenberger Erklärung ein.

Manchmal scheitert es noch früher. Am Mittwoch wollte die Dorfener SPD-Stadträtin Simone Jell eine mit Ratskolleginnen abgestimmte gemeinsame Erklärung des Dorfener Stadtrats im Pandemieausschuss einbringen. Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) erteilte dem eine Absage. Man könne das nicht auf die Tagesordnung setzen. Der Ausschuss war nicht vollständig, ein Mitglied fehlte und hatte keine Vertretung geschickt. Die gemeinsame Erklärung zu behandeln, wäre ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Dorfener Stadtrats gewesen. Na, dann halt nicht.

Die vorbereitete Erklärung enthielt, neben einem Aufruf an die Bürger und Bürgerinnen, nicht an dem Dorfener Montags-Protestzug teilzunehmen, einen Appell an Landrat Bayerstorfer, alle unangemeldeten Demos im Landkreis zu unterbinden.

Das Schreiben an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU), das Erdinger Stadträte vor Weihnachten verfasst hatten, hat vielleicht wenigstens zu einer allgemeinen Handlungsempfehlung beigetragen. Herrmann stellte an Heiligabend 2020 klar, dass Allgemeinverfügungen Abhilfe bringen können. "Kommunen müssen als 'Spaziergänge' getarnte Querdenker-Demonstrationen nicht dulden", teilte er vor vier Wochen mit. "Wir haben alle bayerischen Kreisverwaltungsbehörden sensibilisiert, solche Versammlungsbeschränkungen zu prüfen, sobald es Hinweise auf entsprechende Aufrufe der Querdenkerszene gibt."

Im Landkreis Erding werden Teilnehmer der unangemeldeten Demos unter anderem durch einen Telegram-Chat mobilisiert, der von fast 1000 Nutzern verfolgt wird. In dieser Chatgruppe werden alle paar Minuten und in großer Anzahl antiwissenschaftliche Lügen und demokratiefeindliche Beiträge veröffentlicht.

Im Umgang mit unangemeldeten Corona-Demos gibt es von Landkreis zu Landkreis und Stadt zu Stadt ganz erhebliche Unterschiede. Die Stadt München reagierte als erste mit einer Allgemeinverfügung und wurde in dieser Woche in ihrer Linie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) bestätigt. Der Landkreis Starnberg hatte es ebenfalls probiert, scheiterte jedoch am selben Gericht. Eine neue Allgemeinverfügung nach dem Vorbild der Münchner Verfügung ist aber schon in Arbeit. In Landsberg am Lech hat das dortigen Landratsamt kurzerhand Demos jeder Art, also angemeldete ebenso wie nicht angemeldete Versammlungen unter freiem Himmel untersagt. Im Landkreis Berchtesgadener Land ging man wieder einen anderen Weg. Die dortige Verfügung verbietet unangemeldete Demos nicht, sondern beschränkt sie: Protestmärsche sind nicht erlaubt, Versammlungen dürfen nur auf vorgegebenen Plätzen stattfinden und es gilt durchgehend FFP2-Maskenpflicht.

In den Landkreisen Ebersberg, Freising und Fürstenfeldbruck halten die dortigen Landräte Allgemeinverfügungen nicht für nötig. Das mag Landrat Bayerstorfer in seiner Position bestärken. Doch der Vergleich hinkt gewaltig. In den anderen untätigen Landkreisen nehmen sehr viel weniger Menschen an den Protestzügen teil. Vielleicht auch, weil Erding, was die Demos von Impfgegner, Pandemieleugnern und Verschwörungsgläubigen angeht, der Hotspot im Großraum München ist.

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