Süddeutsche Zeitung

Unangemeldete "Montagsspaziergang"-Demo:Erding zieht Impfgegner an

Lesezeit: 3 min

An einem neuerlichen Aufmarsch gegen Impfpflicht und Corona-Schutzmaßnahmen nehmen etwa 1500 Menschen teil. Die Polizei führt den Protestzug wieder eine Stunde durch die Innenstadt

Von Florian Tempel, Erding

Erneut haben am Montag sehr viele Impfgegner an unangemeldeten Demonstrationen in Erding, Dorfen und Wartenberg teilgenommen. Der Protestmarsch in Erding zog noch mehr Menschen als bislang an. Die Polizeiinspektion Erding schätzte die Teilnehmerzahl auf etwa 1500. Das sind 600 mehr als vor einer Woche, eine Steigerung um fast 70 Prozent. Der von der Polizei durch die Erdinger Innenstadt geführte Aufmarsch dürfte einer der größten im Großraum München gewesen sein. Unter dem Titel "Erding ist bunt" demonstrierten etwa 85 vor allem junge Leute bei einer angemeldeten Kundgebung auf dem Schrannenplatz für Solidarität, Impfen und die Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen. In Dorfen zogen nach Angaben der dortigen Polizeiinspektion circa 270 Impfgegner begleitet von der Polizei durch die Stadt. In Wartenberg waren es etwa 85.

Die Demonstrationen, die von ihren Organisatoren und Teilnehmern als "Montagsspaziergänge" bezeichnet werden, sind ein landesweites Phänomen. In München wurden die Aufmärsche, die in sozialen Medien angekündigt und beworben werden, für deren Organisation es aber angeblich keine Verantwortlichen gibt, mittlerweile per Allgemeinverfügung untersagt. Teilnehmer unangemeldeter Demos begehen in München eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 3000 Euro Bußgeld geahndet werden kann.

Der Erdinger Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) hat von diesem Mittel noch keinen Gebrauch gemacht und hält es auch nicht für notwendig: "Die Montagsspaziergänge sind im Landkreis Erding im Vergleich zu andernorts bisher ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen. Gewalt, Sachbeschädigung oder Ausschreitungen jedweder Art sind jedoch keineswegs zu tolerieren." Der zuständige Abteilungsleiter des Landratsamts schreibt: "Es zeigt sich anhand der bisher gesammelten Erfahrungswerte, dass durch die zusätzlichen Auflagen andernorts bisher kein signifikanter Mehrwert entstanden und das Konfliktpotenzial gestiegen ist." Zudem "empfiehlt die Polizei vorerst, von einer Allgemeinverfügung abzusehen", da die unangemeldeten Demos friedlich verliefen.

Münchner Impfgegner haben im Telegram-Kanal der Gruppierung "München steht auf" eine Liste mit mehr als 200 solcher Demos in ganz Bayern veröffentlicht. Darunter fanden sich auch die "Montagsspaziergänge" in Erding, Dorfen und Wartenberg. Am Ende der Auflistung mit Treffpunkt und Beginnzeitpunkt heißt es, "in dieser Liste finden sich auch gut erreichbare Orte, die nicht von der Allgemeinverfügung der Stadt München betroffen sind", dahinter ein augenzwinkernder Smiley. Es ist naheliegend, dass nicht wenige Demo-Teilnehmer am Montag nach Erding gefahren sind, weil in München solche Umzüge nicht mehr erlaubt ist.

In Erding halten Teilnehmer des hiesigen Aufmarschs in einem Telegram-Kanal einer Gruppierung, die sich "Erdinger Freiheitsforum" nennt, miteinander Kontakt. Das Logo über dem Telegram-Kanal zeigt zwei Flügel auf blauem Grund, ganz ähnlich dem Logo des Erdinger AfD-Ablegers "Erdinger Patrioten", der auf diese Weise deutlich macht, dass man sich zum rechtsextremen - offiziell aufgelösten - AfD-Parteiflügel "Der Flügel" zählt.

Der unangemeldete Protestzug durch Erding wurde auch an diesem Montag von vielen Polizeieinsatzkräften "betreut", wie es im Polizeibericht heißt. Die Teilnehmer trafen sich um 19 Uhr auf dem Schrannenplatz, der mit Absperrgittern in zwei Hälften geteilt war. Auf der Seite zum Sparkassengebäude hin fand die Kundgebung "Erding ist bunt" statt, die der Wartenberger Juso Nico Schmidt ordnungsgemäß angemeldet hatte. Schmidt wurde dafür im schon erwähnten Telegram-Kanal des "Erdinger Freiheitsforums" mehrfach beleidigt. Ebenso erhielt auch Konrad Thees, Sprecher des Erdinger Grünen-Ortsverbands, der die Ankündigung für die Kundgebung "Erding ist bunt" veröffentlicht hatte, an ihn persönlich adressierte Beleidigungen. Am Montagabend habe es dann auf dem Schrannenplatz eine Reihe weiterer verbaler Angriffe gegeben, die so weit gingen, dass Einsatzkräfte der Polizei sich schützend vor die Teilnehmer der angemeldeten Demo stellten. "Dafür sind wir der Polizei wirklich dankbar", sagte Thees der SZ.

Gleichwohl kritisierte er den Umgang der Polizei mit dem Aufmarsch der Impfgegner. Nachdem sich die geschätzt 1500 Teilnehmer auf der ihnen zugewiesenen Seite des Schrannenplatzes versammelt hatte, gab die Polizei per Durchsage bekannt, dass sie den Aufmarsch durch die Innenstadt geleiten werde. Ein großes Polizeifahrzeug führte den Umzug etwa eine Stunde über eine "von der Versammlungsbehörde und Polizei festgelegten Aufzugsstrecke", wie es im Polizeibericht heißt. Thees sagte, er sehe darin "eher eine Glorifizierung als eine Einschränkung" der unangemeldeten Versammlung. Nach der Rückkehr der Marschierer am Schrannenplatz erklärte die Polizei die Versammlung per Durchsage für beendet. Erst als einige nicht gehen wollten, habe die Polizei Konsequenzen angedroht. Mit prompten Erfolg. Die letzten Impfgegner seien binnen einer halben Minuten weg gewesen, sagt Thees. Er findet, so hätte die Polizei zu Beginn der unangemeldeten Demo handeln sollen, nicht erst am Ende.

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SZ vom 05.01.2022
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