Umkämpfter Arbeitsmarkt:Konkurrenz ohne Gesellenbrief

Vor Eröffnung der Thüringen Ausstellung

Seit dem Wegfall der Zulassungspflicht ist die Zahl der Fliesenlegerbetriebe deutlich gesteigen, bei den Gebäudereinigern ist es ähnlich.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Dem Handwerk machen zulassungsfreie Betriebe, oftmals Ein-Mann-Unternehmen, zu schaffen. Sie arbeiten oft zu Mini-Löhnen und ohne Sozialversicherung und verzerren damit den fairen Wettbewerb

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Auch im Landkreis Erding machen immer häufiger sogenannte Solo-Selbständige den angestammten Handwerkern mit ihrer Berufsausbildung über eine Kammer das Leben schwer. "Mit den Preisen, die sie anbieten, machen sie den Markt kaputt", sagt Georg Lippacher, der stellvertretende Kreishandwerksmeister. Möglich seien die extrem niedrigen Preise, die "eigentlich Wahnsinn" seien, weil diese Ein-Mann-Betriebe keine Beiträge an die Berufsgenossenschafte leisten würden, nicht in die Ausbildung des Nachwuchs investierten und manchmal nicht mal eine Haftpflichtversicherung bei Schäden hätten.

Viele von ihnen arbeiten nach Einschätzung der IG Bau zudem unter schlechten Bedingungen - ohne soziale Absicherung und mit einem Einkommen, das teils unter dem Mindestlohn liege. "Gerade im Handwerk hat die Zahl der Ein-Mann-Firmen stark zugenommen - oft mit großen Abstrichen bei der Qualität", sagt Michael Müller. Der IG Bau-Bezirksvorsitzende kritisiert dabei Online-Portale wie MyHammer oder Helpling, die ein solches Geschäftsmodell unterstützten. "Zwar scheint ein Fachmann dort nur ein paar Klicks entfernt. Doch ein Großteil dieser sogenannten ,Gig-Worker' arbeitet ohne Gesellenbrief und Renten- oder Sozialversicherung", sagt Müller. Auch Georg Lippacher muss manchmal bei Aufträgen feststellen, dass seine Kunden ihn bei Auftragsangeboten mit solchen Online-Angeboten konfrontieren. "Wenn die dann bei einem Dachfenstereinbau 25 Prozent unter meinem Angebot liegen, muss ich mich fragen, wie das geht. Nicht bei einer vernünftigen Kalkulation durch einen Fachbetrieb", sagt der Zimmerer- und Dachdeckermeister.

Die IG Bau Oberbayern macht für den Trend insbesondere den Wegfall der Zulassungspflicht in vielen Handwerksberufen verantwortlich. Seitdem können sich etwa Fliesenleger ohne abgeschlossene Lehre selbständig machen. Die Folge: Die Zahl der Fliesenlegerbetriebe im Bereich der Handwerkskammer für München und Oberbayern ist kräftig angestiegen - von 1452 im Jahr 2004 auf 5421 im vergangenen Jahr. In der Gebäudereinigung - seit 2004 ebenfalls zulassungsfrei - hat sich die Anzahl der Betriebe im selben Zeitraum nahezu verfünffacht. Von einem "Warnsignal" spricht Gewerkschafter Müller: "Zum goldenen Boden des Handwerks gehört das klare Bekenntnis zu soliden Standards, zur Berufsausbildung und zum fairen Wettbewerb. All das ist mittlerweile in Gefahr." Ein großes Problem sei die Selbstausbeutung der Solo-Unternehmer. "Sie müssen ihre Arbeitszeiten nicht aufschreiben und arbeiten oft zu Mini-Löhnen. Das erhöht den Preisdruck für reguläre Firmen, die ihre Leute ordentlich bezahlen und Sozialabgaben abführen müssen", sagt Müller.

Dass das Handwerk durchaus einen "goldenen Boden" hat, ist der stellvertretende Kreishandwerksmeister überzeugt, nur werde das zu wenig erkannt. Viele Eltern würden für ihre Kinder nur ein Studium als richtigen Weg sehen, aber man könne auch im Handwerk gutes Geld verdienen und seine Familie ernähren, sagt Georg Lappacher. Und die Differenz in den Einkommen sei oft auch nicht so gravierend. Berücksichtige man die oft vier bis fünf Jahre Studium, in denen ein Handwerker schon ausgelernt habe und Geld verdiene, müsse jemand der studiert habe, schon lange arbeiten, um den Einkommensvorsprung aufzuholen. Außerdem, so der stellvertretende Kreishandwerksmeister, stünden heute jemandem, der eine abgeschlossene Berufsausbildung habe, alle Bildungswege offen. Und dass sich eine gute Ausbildung lohne, sehe der Kunde spätestens, wenn er auf den Schäden durch unqualifizierte Arbeiten sitzen bleibe.

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