TU in Weihenstephan:Stimulanz für den trigeminalen Nerv

Geschmack von alkoholfreiem Bier soll besser werden

Von Petra Schnirch, Freising

Mit alkoholfreiem Bier können sich viele noch immer nicht so recht anfreunden. Zu eigen ist der Geschmack, an das Original kommt es einfach nicht heran. Oder wie Thomas Becker, Inhaber des Lehrstuhls für Brau- und Getränketechnologie an der TU München (TUM), es formuliert: "Alkoholfreies Bier schmeckt nur, wenn man es sich schön redet." Ein Forschungsprojekt der TU München und des Fraunhofer-Instituts will nun einen ganz neuen Weg gehen, um die Akzeptanz der alkoholfreien Variante zu verbessern. Durch eine gezielte Stimulierung des trigeminalen Nervs soll das Geschmacksempfinden positiv verändert werden. Die Bayerische Forschungsstiftung fördert das Vorhaben mit knapp 320 000 Euro.

Was im ersten Moment ein wenig nach Zauberei oder gar nach Dr. Frankenstein klingt, ist in Wirklichkeit gar nicht so weit hergeholt. Die Wissenschaftler werden mit Substanzen arbeiten, die die Aromawahrnehmung unterbewusst beeinflussen, wie Roland Kerpes, Mitarbeiter am TUM-Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, erklärt. "Geschmacksfehler können so kaschiert werden", denn die Reizschwelle verschiebe sich. Alkoholfreies Bier habe oft prozessbedingt eine sehr bittere Note. Auch bei zuckerfreien Limonaden oder Biermischgetränken soll das Verfahren getestet werden, um ungeliebte Aromen von Zuckerersatzstoffen wie Aspartam oder Stevia überspielen zu können. Becker wünscht sich einen "Wow-Effekt".

Möglich machen sollen dies - für den Laien ganz überraschend - Stoffe wie Capsaicin, ein Alkaloid, das aus Chilis gewonnen wird, oder aber Menthol. Dass diese Substanzen den trigeminalen Nerv beeinflussen, sei erwiesen, schildert Kerpes. "Wir wissen aber noch nicht, in welcher Dosis es wirksam ist." Der Nerv im Gehirn ist für Schmerz- und Temperaturempfinden verantwortlich, wirkt sich aber auch auf Geschmacksimpulse wie Bittere und Süße aus. 50 Prozent des Projekts werden reine Verkostungen durch geschulte Probanden am Lehrstuhl um Thomas Becker. Am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising wird in einem zweiten Schritt unter Leitung von Jessica Freiherr getestet, wie die Substanzen wirken, ob beispielsweise das Glücksempfinden stimuliert wird. Das geschieht unter anderem mittels Magnetresonanztomografie, kurz MRT.

Eine der Herausforderungen für die Wissenschaftler ist die Aromenvielfalt des Bieres. Es gebe immer Wechselwirkungen, positive wie negative, erklärt Roland Kerpes. Ziel des Projekts ist eine Verbesserung des Produkts auf der Basis wissenschaftlicher Fakten. Es geht nach seinen Worten darum, die Mechanismen zu kennen, also wie die zugesetzten Substanzen wirken, wie viel davon man zugeben muss und was im Kopf passiert.

Angelegt ist das Projekt auf zwei Jahre, es hat ein Gesamtvolumen von 641 000 Euro. Auch vier Partner aus der Industrie sind beteiligt, die Staatsbrauerei Weihenstephan, Hopfenproduzent Joh. Barth & Sohn, Adelholzener Alpenquellen und der Aromahersteller Destilla. Den Markt der alkoholfreien Biere bezeichnet Kerpes als "rising star". Hier erwarte man in den kommenden zwei Jahren ein Wachstum von bis zu acht Prozent. Es sei ein Exportschlager, während der Gesamtbiermarkt stagniere. Vor allem bei einem Alkoholgehalt von 0,0 Prozent - in Deutschland sind bis zu 0,5 Prozent erlaubt - habe Bier aber oft eine "unangenehme Bittere". "Wir hoffen, dass wir einen Mehrwert liefern - aus wissenschaftlicher Sicht und gerade auch für die kleineren Betriebe." Hierzulande könnte die Neuentwicklung bei Marktreife vorerst allerdings nur bei Biermisch- und Erfrischungsgetränken angewandt werden. Denn Stoffe wie Capsaicin oder Menthol stehen nicht auf der streng reglementierten Zutatenliste des bayerischen Reinheitsgebots.

Den Förderbescheid der Forschungsstiftung übergab vor kurzem Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann (CSU) in Weihenstephan. "Die Menschen hätten alkoholfreies Bier gern noch etwas besser", sagte er. Es gehe dabei "nicht um eine Entzauberung, sondern eine Veredelung". "In zwei Jahren erwartet uns eine weiß-blaue Explosion der Genüsse", sagte er voraus - und bot sich gleich als Proband an.

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