Süddeutsche Zeitung

Tassilo:Haushohe Herausforderungen

Mr. Woodland ist ein international gefragter Urban Art-Künstler. Doch er malt nicht nur selbst, sondern propagiert und organisiert auch Kunst, die jeder von der Straße aus sehen kann. Wie bei seinem wunderbaren Artding Mural Art Festival 2019, das unbedingt eine Fortsetzung finden sollte

Von Julian Illig, Erding

Er ist erwachsen geworden: Aus dem elfjährigen Daniel Westermeier, den Graffitis an der S-Bahnstrecke von Erding nach München so sehr beeindruckten, ist ein zeitgenössischer Künstler geworden, der zu internationalen Urban Art-Festivals im In- und Ausland eingeladen wird. Mr. Woodland ist endgültig angekommen in der Kunstszene. In vielen Städten sind oder waren seine Werke zu sehen, auf großen Hauswänden oder in Galerien. Doch Mr. Woodland ist nicht nur Künstler, sondern auch Kunstvermittler: Er hat 2019 das Artding Festival in Erding organisiert und ist Mitveranstalter des Transit Art Festivals in Rosenheim.

Illegale Nacht- und Nebelaktionen lagen ihm nie. Schon seit 15 Jahren malt er keine knallbunten Graffiti- Schriftzüge mehr. Seit neun Jahren verdient er seinen Lebensunterhalt mit seiner Kunst: "Die Zeiten, in denen ich einen Kasten Bier und Bratwurst genommen hab für ein Bild, sind vorbei." Seine Spezialität ist das Großformat, am liebsten stockwerkhohe Hauswände. Zwischen fünf Tagen und drei Wochen braucht er für so ein Werk. Er mag die Herausforderung, "über sich selbst hinauszuwachsen und schwierige Dinge zu meistern". Er schätzt das "Monumentale" an diesen Werken, auch weil es technisch anspruchsvoll ist, so zu malen, und kräftezehrend, wenn man so lange auf einer Hebebühne steht. "Der Kreis von Leuten, die das richtig gut können" sei eher klein, sagt der 39-Jährige selbstbewusst. Sein Zugang zur Kunst ist insofern eher praktisch geprägt.

Er malt nicht mehr nur mit Spraydose, wie man das von Graffitis kennt, sondern nimmt öfter Pinsel und Rolle zur Hand. Und wenn gerade keine Hauswand ansteht, malt er auch auf Leinwand, "ganz klassisch mit Acrylfarben und Öl". Im Zentrum seiner Arbeit stehen Figuren, oft in düsteren Farben. Die Dunkelheit, der Schatten interessiert ihn, "das transportiert Spannung". Er will die Menschen "so malen wie sie sind, so wie ich die Menschen wirklich sehe". Die seien eben nicht immer perfekt, da sei oft auch Schmerz dabei. Klassische Malerei inspiriert ihn, Rembrandt, Alfons Mucha, Vincent van Gogh. Er malt plastisch, mit grafischen Elementen, geprägt auch durch sein Grafikdesignstudium.

Im Landkreis Erding ist Mr. Woodland fest verwurzelt, er wohnt mit seiner Familie in Walpertskirchen. Unter seinen jüngsten Projekten war die Gestaltung der Turnhallenwand des Impfzentrums in Erding mit dem Titel "Confidence" und eine Hauswand in Walpertskirchen namens "Sorry for nothing". Die Gestaltung des öffentlichen Raumes seiner Heimat liegt ihm am Herzen, er will Kunst nach Erding bringen, will, "dass Erding attraktiv wird". Mit dem Artding Festival hat er 2019 dazu einen großen Beitrag geleistet: Fünf international renommierte Künstler gestalteten im Stadtteil Klettham je eine Hauswand. Er habe Künstler ausgesucht, mit denen jeder etwas anfangen kann, die Leute sollten denken: "Okay, das kapier' ich, da kann ich mir eine Meinung dazu bilden." Die Resonanz auf die öffentliche Kunst im Stadtteil sei "sensationell gut" gewesen.

Eine Wiederholung des Artding Festivals wäre schön, an ihm solle es nicht liegen, sagt er, doch ohne finanzielle Mittel sei das nicht möglich. Dass Kunst im öffentlichen Raum als Konzept aufgehe, sehe man in anderen Städten. Das sei auch ein Tourismusfaktor, erklärt er. In Gießen hat Mr. Woodland eine Hauswand bemalt, die davor immer illegal beschmiert wurde. In den drei Jahren seitdem habe dort niemand "auch nur einen Punkt mit Edding reingemacht". Schon längst rufe niemand mehr die Polizei, wenn er eine Fassade gestaltet, stattdessen sehen die Leute gerne beim Arbeitsprozess zu.

Mit Corona sei schon einiges weggefallen, vor allem natürlich seine internationalen Tätigkeiten, auch wenn er nicht glaubt, dass die Ansteckungsgefahr alleine auf einer Hebebühne in 15 Meter Höhe groß sein kann. Das Reisen fehle ihm, es sei wichtig "neue Leute kennenzulernen und seinen Dunstkreis zu erweitern". Seine Bilder seien "ein bisschen aggressiver geworden, die Figuren sind nicht nur melancholisch, sondern auch angepisst", sagt er. "Die Stimmung ist einfach anders, viel Menschliches geht verloren." Ein paar Projekte im Inland hatte er trotzdem. Er hat in Wasserburg gemalt, das Transit Art Festival in Rosenheim mitorganisiert, Aufträge in Köln, Düsseldorf und Berlin stehen an. Seine Selbständigkeit will er nicht aufgeben, auch wenn es im Moment schwierig sei.

Über die Nominierung für den Tassilo-Preis "freue ich mich natürlich sehr", sagt Mr. Woodland. Und für die Zukunft? An Ideen mangelt es ihm nicht: Wenn er eine weiße Wand sehe, überlege er oft, was darauf passen würde. Er will sich als Künstler weiterentwickeln, vielleicht auch mal eine Installation aufbauen. Und immer noch eine größere Wand finden für seine Malerei.

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April an tassilo@sz.de.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2021
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