SZ-Serie: Wege des Herrn, Folge 7:Kontemplation in der Einflugschneise

Ein Stück der Via Sancti Martini führt durchs Erdinger Land östlich des Flughafens. Der Pilger erhält auf diesen Wegen jede Menge Inspiration, über Mobilität und Umwelt nachzudenken

Von Florian Tempel, Erding

Unter den vielen hundert Heiligen ist Martin von Tours einer der bekanntesten. Dass er seinen Soldatenmantel zerschnitt, um ihn mit einem frierenden Bettler am Wegesrand zu teilen, ist eine großartige Geschichte, so eingängig und überzeugend, dass sie jedes Kitakind kapiert. Viel weniger bekannt ist, dass man dem Heiligen Martin als Pilger nachfolgen kann, auf der "Via Sancti Martini" von seinem Geburtsort in Ungarn bis zu seinem Grab in Frankreich. Erst 2016, zu Martins 1700. Geburtstag, wurde der 2500 Kilometer lange Pilgerweg von Szombathely bis Tours eingeweiht. Ein Stück von ihm führt durch den Landkreis Erding mit drei von aktuell 132 offiziellen Etappen. Hinter dem dritten Etappenende klafft eine große Lücke. Die Wegführung über Freising, Dachau, Augsburg und Landsberg nach Kaufbeuren liegt noch nicht fest. Zu den bestehenden Etappen finden sich auf www.martinuswege.eu alle notwendigen Informationen wie digitale Karten, der Routenverlauf zum Herunterladen, Links zu Übernachtungsmöglichkeiten und ein hilfreicher Fahrplanservice für Tagespilger.

Die erste Etappe beginnt in Langenpreising im Norden des Landkreis Erding. Die 15 Kilometern bis nach Langengeisling, das schon zur Kreisstadt Erding gehört, gehen durch gleichermaßen altes wie modernes Bauernland. Wenn Archäologen in dieser Gegend ihre Spaten ansetzen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich etwas finden, immens hoch. Erst vor Kurzem wurden in einer Kiesgrube Reste eines römischen Badehauses gefunden, gewissermaßen die antike Therme Erding. Die Gegend ist keine Postkartenlandschaft, sondern echtes, intensives Oberbayern. Hier kann der Pilger gründlich ins Nachdenken geraten.

Die höchste Erhebung auf der Strecke ist die Brücke über den Mittleren Isarkanal, sonst geht es schnurgerade auf Feldwegen durch flaches Land. Links und rechts wächst meistens Mais. Unter den Sohlen knirscht der dicht gestreute Kies, über den sonst vor allem tonnenschwere Landmaschinen brettern. Doch über dem Kopf des Wanderers spannt sich der Himmel so fantastisch groß und weit, wie es das sonst nur auf hoher See gibt. Und es ist laut. Denn alle paar Minuten donnert ein Flugzeug über einen hinweg. Klingt blöd? Das ist das wahre Leben hier, so paradox, wie es eben ist. Die einen gehen unten kontemplativ Schritt für Schritt, während Tausende im Düsentempo eilig obendrüber jetten.

Die wenigen kleinen Orte auf dem Weg - Manhartsdorf, Lohkirchen und Altham - sind zwar Dörfchen, aber auch schon ein bisschen Vorstadt. Kurz vor Erding geht es zwischen Kiesgruben, von denen manche schon wieder kleine Naturoasen sind, und einem eingezäunten Bundeswehrgelände entlang, das ebenfalls erstaunlich grün ist. Am letzten Abschnitt vor Langengeisling passiert man eine große alte Esche, die unter sich einen merkwürdigen Dreiklang behütet: Hier steht allen Ernstes ein großer Stein mit einer Bronzeplatte als Denkmal für die Flurbereinigung von 1984 bis 2007, dazu eine weißblaue Gaudibank und ein Marterl mit dem gekreuzigten Christus.

Die zweite Etappe des Martinswegs führt vor allem durch Erding. Man lernt viel von der Stadt kennen, kommt am Volksfestplatz vorbei, wo im Juli das alternativ inspirierte Sinnflut-Festival und im August das traditionelle Herbstfest stattfinden. Beide sind alles andere als asketische Veranstaltungen, vielleicht nicht so das Richtige für einen vergeistigten Pilger. Weiter geht es durch die historische Altstadt, wo man unbedingt die kühle spätgotische Stadtpfarrkirche St. Johannes besuchen sollte. Der Martinsweg führt durch den Stadtpark zur Wallfahrtskirche Heilig Blut, die derzeit aber wegen Bauschäden nicht zugänglich ist. Ein Baudenkmal ersten Rangs ist auch die evangelische Erlöserkirche in Klettham, die jedoch ebenfalls aktuell renoviert wird. Auf dem Weg nach Oberding geht es an der Erdinger Weißbierfabrik vorbei, in der die Arbeit nie still steht, und schließlich kommt man nach Niederding. Die dortige Martins-Kirche birgt ein Rokoko-Juwel, eine wunderschöne goldene Kanzel in Schiffsform.

Die dritte Etappe der Via Sancti Martini lässt den Wanderer wieder nachdenklich werden. Die Landschaft ist noch immer brettflach, man trifft den Mittleren Isarkanal wieder und geht auf seiner Deichkrone entlang, bis es quer durch die Felder geht. Ein Stück des Weges führt neben dem Flüsschen Fehlbach entlang. Hier wäre es fast schon idyllisch, wäre man nicht exakt unter der Einflugschneise der südlichen Start- und Landebahn. Also kommt man wieder ins Grübeln, was sich fortsetzt, wenn man rund um das riesige Gelände der Entsorgungsfirma Wurzer wandert. Die Mengen an recyclefähigem Abfall, die sich dort zu gigantischen Haufen türmen, sind imposant. Richtung Eittingermoos wird es nur ganz langsam ruhiger, bis man den Einflugbereich der nördlichen Landebahn hinter sich lässt. Doch wieder gibt es Grund, nachdenklich zu werden. Am Wegesrand blühen viele Pflanzen, die anderswo selten geworden sind, und es fliegen auffällig viele Schmetterlinge herum. Die Zivilisation meldet sich bald darauf mit der Autobahn A 92 zurück. Der Verkehr fließt lärmend in beide Richtungen. Doch schon bald wird es immer beschaulicher. Wenn der Pilger schließlich die Isarauen betritt, ist alles grün und ruhig um ihn. Dann geht der Wald wieder auf, und der Wanderer findet sich unvermittelt in einer traumhaft schönen Flusslandschaft mit strahlend weißen Kiesbänken wieder - die Isar bei Marzling ist eine Offenbarung.

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