Süddeutsche Zeitung

Sagen und Mythen:Heilende Kräfte, Gold und sonderbare Wesen

Wasserquellen werden bis heute mit Wundern in Verbindung gebracht. In St. Wolfgang und Isen wurden über ihnen Kapellen errichtet. Eine Frauengestalt mit zwei Fischschwänzen im Wappen von Isen zeugt von einer Sage, die über die Landkreisgrenze hinaus bekannt war.

Von Veronika Wulf, Isen

Wasser, das plötzlich irgendwo aus der Erde tritt - das kann nur ein Wunder sein, das Werk eines Heiligen. Anders konnte sich das Volk vor vielen Jahrhunderten dieses Naturphänomen nicht erklären. Deshalb wurde vielen Quellen eine Heilkraft zugeschrieben, an deren Wirkung teilweise heute noch geglaubt wird. Viele Sagen und Legenden erzählen von der Entstehung von Quellen, von den Kräften und Geistern der Gewässer. Einige dieser Überlieferungen hat der Dorfener Heimatforscher Johann Wimmer in einem Band der Schriftenreihe "Erdinger Land" vor einigen Jahren gesammelt.

So auch die Sage um die Gnadenquelle von St. Wolfgang: Im Jahre 975 durchquerte der Heilige Wolfgang aus Regensburg das Goldachtal, in dem es zu dieser Zeit an Wasser mangelte. Der Heilige sprach ein Gebet und weckte damit einen Quell, der viele Wallfahrer nach St. Wolfgang lockte. Im 15. Jahrhundert wurde über dem Wasserursprung die Wolfgangskapelle gebaut. Unter dem Altar fließt heute noch das Wasser. Auf einem Bild in der Kirche ist zu lesen: "Wan man drinckht von sein brinnlein. Wirdt man gsund werden und frisch sein."

Umgeben von einem Meer aus Gold

Unweit der Kirche fließt die Goldach durch den Ort. Auch um sie rankt sich eine Legende: Vor 400 Jahren ließ sich der Woferl Müller, ein einfacher Bauer, an der Goldach, die damals noch Ache hieß, nieder, eine Wegstunde von ihrem Quell entfernt. Er baute sich und seiner Familie ein Holzhäuschen, in dem er bescheiden aber zufrieden lebte.

Bis ein Gewitter über das Tal brauste, der liebliche Fluss zum reißenden Strom anschwoll und sich um Woferls Behausung herum in einen gewaltigen See ergoss. Die Wassermassen flossen vorne ins Häuschen rein und hinten wieder raus. Schwemmholz, Steine und Schlamm verwüsteten die Gegend ringsherum. Als sich das Gewitter gelegt hatte, schaute der Woferl Müller hinaus und sah zu seinem großen Erstaunen ein Meer aus Gold. Aus jedem Sandkorn und Steinchen glitzerte es. Von da an hieß der Fluss Goldach. Woferl gründete eine Goldwäscherei und wurde ein reicher Mann - in seinem bescheidenen Häuschen. Erst seine Erben rissen die Hütte nieder und erbauten an der selben Stelle einen großen Bauernhof. Kaum war das Häuschen weg, versiegte auch die Goldquelle.

Folgt man der Goldach heute immer weiter flussabwärts, so kommt man nach Schwindegg im Nachbarlandkreis Mühldorf am Inn, wo die Goldach in die Isen mündet. Südlich von Schwindegg, in dem Dörfchen Annabrunn, zeugt eine weitere Sage von der Kraft des Wassers: Vor mehr als 600 Jahren wohnte hier eine Bäuerin mit ihrer Tochter. Das Mädchen litt an einer unheilbaren Krankheit, was der Mutter große Sorgen bereitete.

Eines Tages begegnete der Bäuerin eine wohlgekleidete Greisin, die sie fragte, warum sie so traurig dreinschaue. Da berichtete diese vom Leiden ihrer Tochter. Die Fremde antwortete: "Geh in das Aignerholz, dort wirst du eine große Tanne finden, auf deren Gipfel eine weiße Taube sitzt. Am Fuße dieser Tanne wird sich dir beim Nachgraben eine Quelle öffnen. Bade dein Kind einigemal darin und es wird gesund werden." Die Bäuerin tat wie ihr geheißen und tatsächlich wurde die Tochter geheilt.

Der wundersame Quell von Isen

Auch in Isen entsprang vor langer Zeit der Legende nach ein wundersamer Quell. Im Jahre 1800 flüchtete ein Reiter der bayerisch-österreichischen Truppen durch Wald und Sümpfe des oberen Kaltenbach, zwischen Mitterbuch und Isen, Richtung Dorfen. Napoleons General Moreau war ihm mit seinen Truppen auf den Fersen. Als er immer tiefer in das Moorgebiet vordrang, fand sein Pferd kaum noch Halt in dem weichen Boden und versank fast darin. Der Reiter sah sein Ende gekommen und sprach ein letztes Gebet. Da begann sein Pferd mit den Hufen zu scharren und legte festen Boden frei. Der Soldat war gerettet. Plötzlich sprudelte an dieser Stelle eine Quelle aus der Erde. Der Reiter staunte und schrieb das Erlebnis auf ein Blatt Papier, das er in einem hohlen Baumstamm versteckte.

Nach dem Krieg stießen Bürger auf Quelle und Nachricht und errichteten eine Gedenksäule, die viele Jahre später durch eine Kapelle erweitert wurde. Um diese Kapelle, die später nach den Landbesitzern "Müllner-Brünnl" getauft wurde, soll sich im Jahre 1894 ein weiteres Wunder ereignet haben: Ein gewaltiger Wirbelsturm fegte damals über Isen hinweg und machte Wälder und Behausungen dem Erdboden gleich. Nur das Müllner-Brünnl blieb unversehrt.

Zwei Jahre später wurde die Kapelle renoviert. Seither stehen die Legenden von Reiter und Ross sowie die vom Wirbelsturm in Versform innen an den Giebel geschrieben. Der Verfasser preist auch die Heilkraft des Quells: "und wo still die Quelle fließet,/Gottes Gnade sich ergießet,/ denn es hat vom frischen Bronnen/mancher Heilung schon gewonnen." Vor allem bei Augenleiden soll der Quell helfen. Heute ist das Müllner-Brünnl ein beliebtes Ziel bei Wanderern und Spaziergängern. Manch einer benetzt auch seine Augen mit dem Wasser. Im Inneren der Kapelle zeugen mehrere alte Votivbilder von der heilenden Kraft der Quelle. Heute noch werden in dem kleinen Kirchenraum Maiandachten gefeiert.

Wenige Kilometer entfernt, fließt die Isen durch den gleichnamigen Ort. Laut einer weiteren, uralten Sage soll sie vor langer Zeit Heimat eines besonderen Wesens gewesen sein: dem Isenweibchen, der Herrin der Fische. Diese Gestalt, halb Fisch, halb Frau, soll über das Unterwasserreich geherrscht haben und jene reich mit Fischen beschenkt haben, die sie ehrten. Auf einem gotischen Fresko in der Kirche zu Lappach ist sie im Wasser inmitten eines Fischschwarms zu Füßen des Heiligen Christopherus abgebildet. Auch auf Darstellungen in Kärnten und Meran wurde sie gesichtet, es scheint sich also um eine Sage zu handeln, die über die Grenzen des Landkreises hinaus bekannt war.

Fraungestalt mit zwei Fischschwänzen

Eine ähnliche Gestalt ziert heute noch das Wappen von Isen, das Kaiser Karl V. zu Augsburg im Jahre 1548 verlieh: Eine Frauengestalt mit zwei Fischschwänzen, die sie in ihren Händen hält. Der Legende nach soll das obere Isental früher von einem riesigen See bedeckt gewesen sein, aus dem die Uferbewohner hin und wieder eine Seejungfrau auftauchen sahen. Mit dem Ablaufen des Sees verschwand auch die Nixengestalt. Der Erdinger Historiker Hans Bauer fand bei seinen Forschungern heraus, dass die Wassernixe auf alte keltische Vorstellungen zurück geht und eine heidnische Wassergottheit verkörpert.

Nicht alle Wasserwesen waren so schön anzuschauen wie die Seejungfrau. Unweit von Finsing soll ein Bauer zu unbekannter Zeit in einem Brunnen auf einen grausamen Krebs gestoßen sein, er war "abscheulich anzusehen", heißt es in der Heimatkundlichen Stoffsammlung. "Seine Scheren sahen aus wie Hörner des Leibhaftigen." Der Bauer und die Dorfbewohner glaubten den Teufel zu sehen, schütteten den Brunnen mit Erde zu und machten einen großen Bogen um ihn. Von ihrer Angst getrieben, fassten sie einen Beschluss: Jedes frisch vermählte Paar solle nach der Hochzeitsfeier "eine Fuhre Erdreich auf den Hügel schaufeln." Über die Jahre wurde der Hügel zum Berg - noch heute Krebsenberg genannt.

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Quelle:
SZ vom 30.12.2016
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