Sagen und Mythen:Mörderische Gesellen und diebische Banden

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Schilder wiesen im 19. Jahrhundert auf die Justiz hin. Aus den untersten Gerichtsbehörden, den damaligen Landgerichten, sind die Amtsgerichte geworden, an denen die gefassten Täter verurteilt wurden. (Foto: Bauersachs/Museum Erding/privat)

Der bekannteste Räuber war der Rote Hanickl, der um 1830 den Raum Dorfen unsicher machte. Er war aber eine sie - die Huberbäuerin.

Von Regina Bluhme, Landkreis

Dunkle Wälder, nebelige Moorlandschaften, einsame Gehöfte - die Gegend rund um Erding war einst ein ideales Pflaster für Räuberbanden und tatsächlich trieben nicht wenige hier ihr Unwesen. Gerissen waren sie und schnell und wenn nötig, gingen sie auch über Leichen. Der bekannteste unter ihnen war der Rote Hanickl, der mit seinen Leuten um 1830 den Raum Dorfen unsicher machte. Doch auch in Erding selbst, in Taufkirchen oder Eitting versetzten Räuber mit Überfällen und Morden die Bevölkerung in Angst und Schrecken.

Nur ein Hof blieb verschont

Der rote Hanickl ist sicher die bekannteste Räuberfigur, die im Erdinger Land ihr Unwesen getrieben hat. Ihr wurde 2007 in Dorfen sogar ein gleichnamiges Theaterstück gewidmet. Zahlreiche Anekdoten ranken sich um die Bande, deren Hauptmann bei den Überfällen immer eine markante rote Kappe trug. 2004 hat Johann Wimmer im "Erdinger Land", Heft 21 (Herausgeber: Kreisverein für Heimatschutz und Denkmalpflege) die Geschichte folgendermaßen zusammengefasst: Um 1830 kommt es in der Gegend um Dorfen immer wieder zu Überfällen durch die Bande des Roten Hanickl, nur ein Haus bleibt verschont: Der große Hof der Huberbäuerin, einer feschen und angesehenen Frau.

Das kommt der Polizei langsam komisch vor und sie beschließt der Bande eine Falle zu stellen. Laut erzählen sie im Wirtshaus vor den Huberknechten, wo sie in der Nacht Wache schieben würden - dann beziehen sie in der Nähe des Huberhofs Stellung. Und tatsächlich schleichen sich in der Dunkelheit mehrere Männer aus dem Anwesen, unter ihnen einer mit einer roten Kappe. Schließlich stellt sich heraus, dass der Anführer die Huberbäuerin selber ist. Johann Wimmer verweist auf den Tagebucheintrag des Erdinger Apothekers Sigmund Lober aus dem Jahr 1833. Dieser berichtet, dass die Räuberhauptfrau im Januar 1833 an den Pranger gestellt werden sollte. Ihr gelang jedoch die Flucht. Im April wurde sie wieder eingefangen. Wie Lober schreibt, entdeckte die Polizei sie in einem Gebüsch zwischen Steinhöring und Albaching.

Ein Toter unter dem Bett

Was hat die rechtschaffene Nikolaibruderschaft in Dorfen mit Räubern zu tun? Die angesehene Stiftung hilft seit über 600 Jahren Menschen in Not. Den Kern des Vermögens bildet ein etwa 100 Hektar großer Wald, das Niklholz bei Tegernbach im Gemeindebereich Taufkirchen - und um diesen Namen rankt sich eine spannende Räubergeschichte. Wie Johann Wimmer über die "Sage vom Niklholz" schreibt, beginnt alles mit der Geschäftsreise eines Pferdehändlers nach Bad Tölz. Der Heimweg führt ihn über Dorfen nach Norden Richtung Taufkirchen. Bei Einbruch der Dunkelheit entdeckt er in der Nähe eines Waldes ein Haus, in dem noch Licht brennt. Als er sich dem Gebäude nähert, erlischt das Licht.

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(Foto: Bauersachs/Museum Erding/privat)

Schilder wiesen im 19. Jahrhundert auf die Justiz hin. Aus den untersten Gerichtsbehörden, den Landgerichten, sind die Amtsgerichte geworden.

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(Foto: Museum Erding)

Eine Martler-Tafel: "Zum Andenken an den verunglückten Jüngling Jakob Glockshuber Dafelmaiersohn von Gebensbach welcher den 3. Dez. 1835 im 34. Lebensjahr erschlagen wurde".

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(Foto: privat)

2007 wurde das Theaterstück "Der Rote Hanickl" aus der Feder von Leonhard Michael Seidl in Dorfen aufgeführt.

Er klopft an und er erhält ein Zimmer, mit dem Hinweis, dort ja kein Licht anzumachen. Dem Pferdehändler kommt das seltsam vor, er entzündet ein Streichholz, sieht unter dem Bett nach und entdeckt dort einen Toten. Jetzt ist ihm klar, dass er in einer Räuberhöhle gelandet ist. In höchster Not legt er bei der Mutter Gottes von Maria Dorfen ein Gelübde ab: Wenn er mit dem Leben davon komme, werde er den Wald kaufen und eine Stiftung gründen. Es gelingt ihm tatsächlich zu fliehen, als er sich kurz umdreht, sieht er gerade noch, wie das Licht in seinem Zimmer angeht. Der Kaufmann machte anschließend sein Versprechen wahr, kaufte den Wald und legte damit den Grundstein für die Nikolaistiftung. Johann Wimmer vermutet, dass der Name Nikelwald oder Niklholz von dem Tag stammt, an dem das unheimliche Geschehen im Räuberhaus stattfand, also an einem 6. Dezember, einem Nikolaustag.

Schwere Kriminalität war vor rund 150 Jahren wirklich keine Seltenheit, das hat auch Autor und Heimatforscher Dietmar Schmitz heuer in einem Vortrag in Erding berichtet. 1829 zum Beispiel ist am Heiligabend ein Landwirt mit seinem Wagen auf einer Erdinger Straße unterwegs. Ein Räuber zwingt ihn zum Anhalten und fordert Geld. Der Bauer beteuert, dass er keine Wertsachen dabei habe, daraufhin ersticht ihn der Räuber. Später stellt die Polizei fest, dass unter dem Toten 1500 Gulden liegen. Weniger blutig verläuft ein Diebstahl im September in Eitting. 1871 wird dort in die Kirche eingebrochen. Die Räuberbande stiehlt das Kircheninterieur sowie die Ornate. Wie Schmitz berichtet, hätte der Pfarrer den Verlust der goldenen Becher noch verschmerzen können, doch ohne ordentliche Amtstracht wollte er auf keinen Fall die Messe halten. Der Gottesdienst musste ausfallen.

Brauchbar ist alles, auch ein Damenstrumpf

Damals konnten die Räuber so ziemlich alles brauchen, wie Schmitz herausgefunden hat. Das reichte von 20 Gulden bis zum seidenen Damenstrumpf. Allerdings ist zu sagen, dass die Mehrheit der Erdinger damals absolut arm war, sich als Tagelöhner oder als Dienstboten verdingte. Durchaus glaubhaft sind die Aufzeichnungen von Nikolaus Henkel, um 1880 Amtsarzt in Erding, aus denen Schmitz in seinem Vortrag zitierte. Henkel berichtet von einem Bauern aus Langengeisling, der sein Rübenfeld von sieben bewaffneten Männern bewachen ließ.

SZ-Karte (Foto: SZ-Grafik)

Der Erdinger Stadtapotheker Lober hat in seinen Tagebüchern auch die Geschichte der Gebrüder Nonnenmacher festgehalten. Simon und Nikolas Nonnenmacher stammten aus Vaterstetten und führten eine gefürchtete Räuberbande. Die gut 20 Mitglieder zogen mit Flinten und scharfen Hunden durch den Landkreis. Im November 1839 versteckte sich die Nonnenmacher Bande in Wald bei Birkeneck im Landkreis Freising. Es kam zu einem Feuergefecht, bei dem ein Soldat und ein Förster verletzt wurden, wie Lober festhielt. Die Bande konnte offenbar fliehen. Sie wurde schließlich im Juli 1841 im Kloster Reutberg bei München gefasst.

1830 wurde das letzte Todesurteil vollstreckt

Ein Pranger stellte damals eine willkommene Abwechslung zum harten Alltag dar, weiß Schmitz. Zu Hinrichtungen strömten die Menschen aus der ganzen Region. Auch die Verurteilung des dreifachen Raubmörders Sebastian Pointner lockte die Scharen nach Erding. Er war 1830 der letzte Verbrecher, dessen Todesurteil in Erding vollstreckt wurde.

Unaufgeklärt bleibt weiterhin die Ermordung des letzten Stiftsdekans von Isen, Andreas Göttner. Noch heute erinnert in Isen ein Grabstein daran, dass der Gottesmann 1821 "durch Meuchel" sein Leben verlor. Am 16. Januar 1821 früh am Morgen wurde er vor der Kirchentüre erstochen. Hatte Göttner womöglich einen Räuber auf frischer Tat ertappt? Weder Mörder noch Motiv sind bis heute bekannt.

Da klingt es doch zunächst beruhigend, wenn ein Waldstück im Erdinger Landkreis den schönen Namen "Zuckermandel" trägt. So heißt ein Wald zwischen Obergebensbach und Sinsöd bei Dorfen. Doch leider trügt die Idylle, wie Paul Werner in seinem Buch "Flurdenkmale" erklärt. Die Bezeichnung geht wahrscheinlich bis ins späte Mittelalter zurück. Damals sollen sich die Räuber "Zuck!" zugerufen haben, das heißt: "Raube den Mantel!" Mit Süßigkeiten hat dieser Name also nichts zu tun.

Eine Geschichte mit Happy End

Zum Schluss noch eine Geschichte mit Happy End: Johann Wimmer erzählt sie im "Erdinger Land" unter "Wilderer- und Räubergeschichten" und sie geht so: In der Gemeinde St. Wolfgang lebt ein junger Mann, bekannt unter dem Namen "Karrersepp von Steinbach". Dieser ist ein leidenschaftlicher Jäger, der völlig legitim auf dem väterlichen Anwesen das Wild erlegt. 1850 jedoch wird das Jagdgesetz eingeschränkt und der "Karrersepp" arbeitslos. Er kann aber das Jagen nicht lassen und wird zum Wilderer. Er ist beliebt in der Bevölkerung, weil er sein Wildbret den Armen zukommen lässt. Als eines Tages ein Unschuldiger für Sepps Taten vor Gericht steht, stellt sich der Wilderer freiwillig. Bei der Verhandlung am Landgericht Haag stellt sich heraus, dass seine Wilddiebereien inzwischen verjährt sind. Wenig später heiratete der "Karrersepp" eine Bauerstochter aus Klaus bei St. Wolfgang und wurde, so schreibt es Johann Schmitz, "für sein späteres Leben ein rechtschaffener Mensch".

© SZ vom 28.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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