SZ-Porträtserie:Der Franzose in Freising

SZ-Porträtserie: Seit 2009 führt Tanguy Doron sein eigenes Restaurant in Freising und lebt gerne hier. Mittlerweile isst er auch mal bayerisch.

Seit 2009 führt Tanguy Doron sein eigenes Restaurant in Freising und lebt gerne hier. Mittlerweile isst er auch mal bayerisch.

(Foto: Marco Einfeldt)

Tanguy Doron setzt sich eines Tages einfach in den Zug und fährt von Frankreich nach Deutschland. Die ersten Jahre sind nicht einfach. Weil er nicht zugeben will, dass er nichts versteht, stellt er sich anfangs taubstumm

Von Eva Zimmerhof, Freising

Sie haben dem Landkreis etwas mitgebracht: Menschen, die das Wissen anderer Kulturen in sich tragen. Wie sind sie oder ihre Eltern hergekommen, wie fühlen sie sich hier und wie leben sie? Davon berichten soll die SZ-Porträtserie mit dem Titel "Die ganze Welt in Freising".

Die Dramatik von Tanguy Dorons Geschichte erinnert ein bisschen an die Bücher des amerikanischen Autors John Irving. Mit 17,5 Jahren flieht Doron vor seinen Eltern: Er setzt sich in einen Zug und fährt einfach so von Frankreich nach Deutschland, um ein neues Leben anzufangen. Wie Irvings Figuren ist er zeitweise sehr einsam, hat skurrile Erlebnisse - was Doron aber auf den Umstand zurückführt, immer und überall Ausländer zu sein - er muss sich immer wieder durchkämpfen. Aufgewachsen ist Doron (48) in der Kleinstadt Vendôme, die in der schönen Region der Loire-Schlösser liegt. Noch in Frankreich macht er seine Lehre als Koch und er sagt: "Ohne Abschluss wäre ich nicht gegangen". Mit großer Strenge haben seine Eltern ihn und seine Geschwister erzogen. Viel Geld verdienen und eine stabile Beziehung vorweisen zu können, das seien für die Eltern Standards gewesen. Der Druck wird für Doron zu groß und er will nur noch möglichst weit weg: "Ich hatte überhaupt keine Erwartungen. Ich wollte nur noch zur Ruhe kommen." Dass es ihn nach Deutschland verschlägt, liegt an einer Freundin, die damals in Stuttgart wohnt. Die ersten drei Wochen lang passt er auf ihr Baby auf. "Das war kein Problem. Doch dann habe ich einen Job gesucht, aber keinen gekriegt. Ohne die deutsche Sprache zu beherrschen war es in Stuttgart unmöglich etwas zu finden. Ich konnte ja nur drei Ausdrücke: ,Nein', ,Scheiß' und ,ich liebe dich'." Über die Freundin kommt er schließlich in Kontakt mit in München lebenden Franzosen und findet bei ihnen Arbeit.

Zwei Jahre lang lebt er dort wie in einer geschlossenen Kapsel: Bei seiner Arbeit als Koch in dem französischen Restaurant merkt er kaum etwas davon. "Aber beim Metzger wusste ich nicht mal, was da in der Vitrine liegt und ich konnte nicht danach fragen. Ich habe dann so getan, als wäre ich taubstumm", erzählt Doron. "Ich kannte die Sprache nicht und ich kannte die Leute nicht." Irgendwann gibt er sich einen Ruck, kauft sich einen Fernseher und die SZ.

"Ich habe versucht zu lesen, aber ich habe wirklich nichts verstanden. Es war zum Verzweifeln." Um in die Schule zu gehen, fehlt ihm die Zeit. Doch Doron ist konsequent, geht immer öfter ohne seine französischen Kumpel aus - und irgendwann fängt es an. "Da war dieses Wort und da war jenes. Ich habe die Sprache gelernt wie ein Kind. Plötzlich war alles viel schöner", erinnert er sich. Endlich kommt er in Deutschland an. Seine erste Frau ist Deutsche, ebenso die zweite. Von München, das ihm "zu voll und zu teuer" ist, zieht er nach Au in der Hallertau, damit sein Sohn im Grünen aufwachsen kann. Zunächst leitet er einige Jahre zwei Kantinen am Flughafen, bis er 2009 in Freising sein eigenes Restaurant eröffnet: eine Entscheidung, die schwer wiegt. "Wäre ich in Frankreich geblieben, hätte ich es einfacher gehabt", sagt Doron niedergeschlagen. Dann hätte er sich zwar dem Willen der Eltern beugen müssen, beruflich wäre es für aber dank des Einflusses und der Kontakte der Eltern um vieles leichter gewesen, meint er. "Meine Geschwister sind alle erfolgreicher als ich."

Denn obwohl sein kleines Restaurant "La Petite France" am Marienplatz treue Stammgäste hat, umschreibt es Doron so: "Selbst wenn die Fassade eines Schlosses sehr schön ist, kann dahinter eine Ruine sein. Es ist sehr, sehr hart als Franzose in Bayern, München ausgenommen." Inzwischen lebt Doron in Freising, das er "eine schöne kleine Stadt" nennt. Als Freisinger fühle er sich aber nicht, eher als Bayer. "Ich esse auch gerne mal bayerisch. Trotzdem werde ich immer Franzose sein", betont Doron. "Wenn ich den Mund aufmache, merkt jeder, dass ich ein Ausländer bin." Vorurteile gegen Fremde habe er etwa 2004 zu spüren bekommen. "Ich wollte eine Schleifmaschine im Baumarkt ausleihen und sie nicht bekommen", erzählt Doron, "weil ich Ausländer bin, hat der Mitarbeiter gesagt". Auch bei der Wohnungssuche hat er das Nachsehen. Trotz allem sagt er: "Als Ausländer kann man sich in Deutschland nicht beklagen." Wenn er mit seinem Auto nach Frankreich fährt, gerate er auch immer wieder in Schwierigkeiten - einfach deswegen weil er ein deutsches Kennzeichen hat, meint Doron. "Es gibt einfach überall Deppen und als Ausländer sitzt du immer zwischen zwei Stühlen. Aber du hast auch immer Vor- und Nachteile." Ohne zu zögern sagt Doron, was er meint. "In letzter Zeit höre ich deswegen immer wieder: Du bist doch ein Rassist. Nur, weil ich sage, dass es in Deutschland zu viele Gutmenschen gibt. Dabei hat mein Name jüdische Wurzeln. Ich bin eben dieser Meinung: Wer zu viel gibt, der verliert alles. Viele verstehen nicht, dass es die Ausländer sind, die sich anpassen müssen."

Doron selbst hat sich angepasst und dabei einiges verloren: Die entspannte Lebenshaltung, zu der es zum Beispiel gehört, einfach dann zu kommen, wann man will. Die vermisst er besonders und am liebsten würde er manchmal nach Frankreich zurückkehren. "Aber das geht nicht. Ich habe Verantwortung gegenüber meiner Familie und meinen Mitarbeitern." Trotz seines stressigen Jobs will er sich einige Dinge auf keinen Fall nehmen lassen: das entspannte Essen, das auch mal drei Stunden dauern kann, und sein französisches Weihnachten mit dem "knallbunten Weihnachtsbaum, zwei Aperitifs, drei Vorspeisen, gutem Fisch und Fleisch und einer Bescherung um Mitternacht".

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