Streit mit Verwaltung und Kanzlei:Reichsbürger auf Rachefeldzug

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64-Jähriger aus dem Gemeindegebiet Steinkirchen wegen versuchter Nötigung und Erpressung verurteilt

Von Regina Bluhme, Erding

"Die Bibel ist mein Gesetz" - so kommentierte ein 64-jähriger bekennender Reichsbürger seine Verurteilung am Amtsgericht Erding. Richter Andreas Wassermann sprach den hauptberuflichen Rutengeher der versuchten Nötigung und der versuchten Erpressung schuldig. Was ursprünglich mit einem Bußgeld von 25 Euro für zu schnelles Fahren begann, endete am Dienstag mit einer Strafe von 7200 Euro.

Der 64-jährige gebürtige Österreicher in Jeans, beigem Leinenhemd und brauner Strickweste, weigerte sich zunächst, die Zuhörerseite zu verlassen. "Nur wenn Sie mir absolut freies Geleit zusichern, komme ich nach vorne", sagte er zu Richter Wassermann. Als der antwortete: "Sie sind ein freier Mann", fügte sich der Mann und legte eine Heilige Schrift mit Goldrand und dicke Ordner vor sich auf den Tisch. Er gab nicht viel preis von sich: Sein Ausbildungsberuf sei Rutengeher, der Betriebssitz befinde sich im Bereich von Steinkirchen, sein Hauptwohnsitz in Österreich. Und: "Ich bin Reichsbürger", bekannte er. Warum er vor Gericht stand, konnte er sich nicht erklären. Die Staatsanwältin schon. Anklagepunkt 1: Versuchte Nötigung. Im April 2017 wollte die Gemeindeverwaltung Steinkirchen auf Bitte der Stadt Stuttgart, wo der 64-Jährige geblitzt worden war, das Bußgeld einfordern. Die Summe belief sich mit Mahngebühren auf 57,50 Euro. Daraufhin erreichten die Verwaltung "seitenlange E-Mails", wie der Geschäftsstellenleiter im Zeugenstand berichtete. Der Reichsbürger warf der Gemeinde in verschiedenen Punkten Fehlverhalten vor, verlangte Schadenersatz, mal 1000 Euro, mal 100000 Euro. "Ich hab das nicht ganz ernst genommen", sagte der Zeuge, aber als er seinen Namen in einer Erklärung des Angeklagten im Internet entdeckt habe, da sei er doch "ziemlich erschrocken". Weil die Schreiben in "Reichsbürger-Manier" verfasst worden seien, habe die Gemeinde die Polizei eingeschaltet. Ein Kripobeamter berichtete im Zeugenstand, dass es keine Erkenntnisse darüber geben, dass der 64-Jährige Waffen besitze.

Er habe "langsam die Faxen dicke", schimpfte der Angeklagte angesichts der Vorwürfe und fiel im weiteren Verlauf immer wieder Richter Wassermann ins Wort, bis dieser androhte, ihn des Saals zu verweisen. Dann war Ruhe. Und es ging weiter mit Anklagepunkt 2: Versuchte Erpressung. Im Sommer 2017 hatte sich der Angeklagte mit seinem Rechtsanwalt überworfen. Der sollte für ihn eine Entschädigungsklage bei einem Hüftprothesenhersteller durchboxen. Weil ihm die Sache wohl zu lange dauerte, hatte laut Kanzlei der 64-Jährige begonnen, den Prothesenhersteller selbst anzuschreiben und immer absurdere Forderungen zu stellen. Die Kanzlei gab das Mandat ab und regte eine Betreuung des 64-Jährigen an. Das Büro wurde mit Entschädigungsforderungen in Millionenhöhe überzogen. Zudem kündigte der Angeklagte an, Namen der seiner Ansicht nach unfähigen Anwälte in den Sozialen Medien zu veröffentlichen.

Richter Andreas Wassermann hielt sich an die Forderungen der Staatsanwaltschaft, sprach den Angeklagten der versuchten Nötigung und der versuchten Erpressung für schuldig und verhängte eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen á 40 Euro. Zugunsten des 64-Jährigen spricht laut Wassermann, dass er sich beim Geschäftsstellenleiter von Steinkirchen entschuldigt hat. Allerdings habe er weder ein Geständnis abgelegt noch ein Schuldbewusstsein gezeigt. Ob er nun in Berufung oder Revision gehen wolle, stehe ihm frei, wandte sich der Richter an den Reichsbürger und überreichte ihm das entsprechende Informationsblatt. Der 64-Jährige bedankte sich höflich.

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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