Hinter einer rot-weißen Absperrung hat sich am späten Mittwochnachmittag an der Langen Zeile vor Haus Nummer 31 eine Menschengruppe versammelt. Gunter Demnig kniet am Boden und hämmert einen Messingstein in den Boden - einen Stolperstein für Josef Berglehner, geboren 1910 in Erding, Mitglied der Kommunistischen Partei, von 1939 bis 1945 durchgehend inhaftiert, im KZ in Dachau und in Flossenbürg.

Das P-Seminar "Stolpersteine" am Korbinian-Aigner-Gymnasium zeichnet das Leben des Erdingers nach. Es ist eine berührende, schmerzliche Stunde, und es ist verstörend zu hören, wie Berglehner nach 1945, krank durch den KZ-Aufenthalt, um eine Entschädigung kämpfte. Bis zu seinem Tod 1964 vergeblich.
Eineinhalb Jahre haben sich 18 Schüler und Schülerinnen des P-Seminars "Stolpersteine" der Q12 mit dem Leben von Josef Berglehner befasst. Seminarleiterin Alexandra Wächtler ist stolz auf die jungen Forscher und Forscherinnen. Unterstützt wurden sie vom Historischen Verein Erding, der Geschichtswerkstatt Dorfen, der Stadt Erding und von Berglehners Enkel Gerhard Woschniok, der am Mittwoch ans Mikrofon tritt.

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Er könne sich an seinen "Opa Sepp" leider nicht persönlich erinnern, sagt Woschniok. Der Großvater ist fünf Jahre vor seiner Geburt verstorben. Er kennt ihn von Fotos, sie zeigten einen "Prototyp bayerischer Mann", der gerne Lederhosen getragen habe. Später dann habe er von der Krankheit des Opas erfahren, dass er im KZ war, "die Infos sind so hereingetröpfelt". Dabei sei auch heraus gekommen, dass er bis ans Lebensende "vehement und vergeblich" um eine Wiedergutmachung gekämpft habe.
Über das, was "Opa Sepp" in der NS-Zeit durchlebt hat, sei in der Familie kaum geredet worden, sagt Woschniok. Doch als vor dreieinhalb Jahren die Großmutter gestorben sei, habe sie einen "Riesenaktenordner" hinterlassen mit den Unterlagen des Kampfs um eine Wiedergutmachung. Seine Mutter sei auf Heike Kronseder vom Historischen Verein Erding zugegangen. Es war ihr ein Anliegen, das Leben von Josef Berglehner zu dokumentieren, sagt Gerhard Woschniok, "zur Erinnerung, zur Mahnung, zur Anerkennung".


Schüler Georg Bauernfeind erzählt im Namen des P-Seminars aus dem Leben von Josef Berglehner: Die Eltern Josef und Lina Berglehner handeln mit Gebrauchtwaren. Er wächst an der Langen Zeile Nummer 31 mit acht Geschwistern auf und beginnt 1924 eine Lehre als Dekorationsmaler. Bereits vor 1933 ist Berglehner Mitglied der KPD, der Kommunistischen Partei Deutschland. Um sich vor politischer Verfolgung zu schützen, wird er 1935 Mitglied der SA. Wegen seiner "kommunistischen Einstellung" wird er dort zwei Jahre später wieder ausgeschlossen.
1939 schreibt die Schutzpolizei Erding ans Landratsamt. Sie wirft Berglehner laut dem Flyer, den die Schüler verteilen, "Trunkenheit" und "Zuwiderhandlung gegen das Heimtückegesetz" vor. Laut eines Zeugen soll er gerufen haben: "Ich bin Kommunist und bleibe es, solange ich lebe."
Briefe von der Familie erreichen ihn oft in der Haft nicht
Von August 1939 bis April 1945 ist Josef Berglehner durchgehend inhaftiert. Zuerst im Konzentrationslager Dachau, dann in Flossenbürg, später im Außenlager Heidenheim und schließlich wieder im KZ Dachau. "Er trägt einen roten Winkel mit der Nummer 990", sagt Bauernfeind. Rot, die Farbe für politische Gefangene. Berglehner schreibt Briefe an die Familie, grüßt die Geschwister, hofft auf ein baldiges Wiedersehen und muss lernen, dass einiges an Post ihn nicht erreicht. "Habt ihr mich schon vergessen?", fragt er in einem Brief.

Im April 1945 wird Berglehner mit Tausenden anderen Häftlingen auf einen "Todesmarsch" Richtung Tirol geschickt. Er kann flüchten und sich in der Nähe von Bad Tölz bei einem Bauern verstecken. Schließlich kehrt er, schwer an Lungentuberkulose erkrankt, zurück nach Erding.
1946 wird ihm bescheinigt, dass er in Folge der Gefangenschaft schwere körperliche Schäden erlitten hat. Im Jahr darauf kann er wegen der Erkrankung seinen Beruf nicht mehr ausüben. 1949 stellt Josef Berglehner einen Entschädigungsantrag. Weil er auch wegen Trunkenheit eingesperrt worden war, wird sein Antrag aufgrund seiner "nichtpolitischen Straftaten" abgelehnt. Immer wieder muss er neue Nachweise bringen, sich befragen lassen, Zeugen können sich plötzlich an nichts mehr erinnern.
Doch Josef Berglehner kämpft. 1953 wird ihm attestiert, dass er noch immer an den im KZ erlittenen Schäden leidet. Weitere Entschädigung lehnt das Gericht ab mit der Begründung, diese seien nur für Widerstandskämpfer vorgesehen. Berglehner klagt weiter bis zum Bundesgerichtshof. 1955 wird die Klage dort abgewiesen.
"Er ruhe in Frieden, in einem Frieden, der ihm zu Lebzeiten nicht vergönnt war"
1964 stirbt Josef Berglehner an den Folgen der Lungentuberkulose, die er sich im KZ zugezogen hat. "Er ruhe in Frieden", sagt Georg Bauernfeind zum Schluss, "in einem Frieden, der ihm zu Lebzeiten nicht vergönnt war". Sein Mitschüler Konrad Thees verweist darauf, dass Berglehner ein Opfer politischen Terrors gewesen sei. "Wir müssen achtsam und wachsam bleiben", dass "in Erding und überall" nie wieder ein solches Unrechtssystem an die Macht komme.
Zuvor hatte sich Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) im Namen der Stadt für "den Beitrag der Erinnerungskultur" durch das P-Seminar bedankt und auch dafür, dass die Dokumentation über das Leben Berglehners "wachrüttle" - gerade in einer Zeit, in der die Demokratie von vielen Seiten gefährdet werde. Er rief dazu auf, Mut zu zeigen und deutlich dafür einzutreten, "dass wir keine Politik wie einst von 1933 bis 1945 wollen".

Als Schülerin Maja Sloty sehr gefühlvoll und sehr schön zu singen beginnt, legen die Schüler und Schülerinnen jeweils eine weiße Rose am Stolperstein für Josef Berglehner ab. Ein paar Meter weiter, an der Langen Zeile 4, sind im März 2022 die ersten Erdinger Stolpersteine für das jüdische Geschwisterpaar Sophie Buchmann und Leopold Einstein verlegt worden.
Im Anschluss an die Steinverlegung lädt Sepp Berglehner ums Eck zu Glühwein und heißen Maroni ein. Der ehemalige KZ-Insasse Josef Berglehner war sein Patenonkel. Bis zur heutigen Veranstaltung habe er kaum etwas vom Schicksal des Onkels gewusst, sagt er.