Rechtspopulistische Narrative:Stadt versus Land: gefährliche Spaltungsversuche mit Nazi-Tradition

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Dieses Bild ländlicher Idylle mitten in Erding ist schon ein paar Jahre alt. Aber es ist symbolträchtig. Die Fabrik im Hintergrund ist die Brauerei vom Erdinger Weißbräu. (Foto: Peter Bauersachs)

Der angebliche Gegensatz von Stadt und Land wird von populistischen und rechten Politikerinnen und Politikern immer schärfer und zugespitzter als Kampfansage benutzt. Doch wer das tut, folgt einem alten rechtsextremen Narrativ – erklärt die Politikwissenschaftlerin Marlene Schönberger.

Von Florian Tempel

Stadt und Land ist seit jeher ein Gegensatzpaar. Das ist klar, auch wenn die Trennlinie zwischen urbanen und ländlichen Räumen nur schwammig und diffus umrissen ist. Das Leben in Einöden, Weilern und Dörfern ist in vielerlei Richtung Hinsicht anders als in einer Metropole. Es gibt objektive und messbare Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben, es gibt anders gelagerte Vor- und Nachteile hier und dort, es gibt ebenso differenzierte Probleme und Möglichkeiten. Überdies gibt es auch noch viele gefühlte Wahrheiten und empfundene Zustände.

In der aktuellen Stadt-Land-Diskussion geht es um all das eher weniger – aber worum geht es denn eigentlich? Dieser Frage spürt die Lokalausgabe der SZ in den kommenden Wochen in einer losen Serie nach. Heute: Das rechte Narrativ.

Die Unterschiedlichkeit von Stadt und Land wird von populistischen und rechten Politikerinnen und Politikern immer schärfer und zugespitzter als Kampfansage benutzt. Das muss niemanden wundern, denn das hat hierzulande Tradition. Der vermeintliche und behauptete Antagonismus zwischen Land und Stadt ist in Deutschland ein rechtsextremes Narrativ, das eine der Grundlagen der nationalsozialistischen Weltanschauung war. Und es lebt offenbar weiter, etwas verändert, aber im großen Ganzen erschreckend vital.

Die Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger lebt abwechselnd in Adlkofen und Berlin. (Foto: Elias Keilhauer/OH)

Die Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger (Grüne) kommt vom Land und weiß Bescheid. Nicht so sehr, weil sie in Adlkofen im Landkreis Landshut aufgewachsen ist, seit 2021 abwechselnd dort und in Berlin lebt, aber auch weiterhin Gemeinde- und Kreisrätin ist, sondern weil sie sich als Politikwissenschaftlerin besonders mit den Themen Antisemitismus, Verschwörungsideologien und Populismus auseinandergesetzt hat. Am rechtsextremen Mythos Stadt gegen Land kommt man da nicht vorbei. Unter dem Titel „Moloch Metropole?“ hat sie unlängst in Ottenhofen bei einem von den Grünen veranstalteten Vortrags- und Diskussionsabend über den Stadt-Land-Gegensatz als rechtes Narrativ gesprochen.

Marlene Schönberger zeigte zunächst anhand von aktuellen Textpassagen, wie in rechtsextremen Blogs, in Chat-Gruppen von Verschwörungserzählern, in Selbstdarstellungen der AfD bis hin zu einer Wahlkampfbroschüre der CDU das Motiv des vermeintlichen Stadt-Land-Antagonismus ausgespielt wird. Wenn auch in unterschiedlicher Vehemenz und verschieden gelagerter Betonung, ist die Tendenz dieselbe.

Zum einen wird unterstellt, dass die in Großstädten gemachte Politik die Menschen auf dem Land absichtlich täusche und benachteilige. Zum anderen wird das Landleben als Gesellschaftsform idealisiert: Das Leben auf dem bäuerlichen Dorf als fassbar und konkret, wo tatkräftige Menschen noch richtig anpacken, als Mikrokosmos einer funktionierenden Gemeinschaft. In der unübersichtlichen Großstadt leben die Menschen demzufolge hingegen in verdächtiger Anonymität und in einer durch Kriminalität und Multikulturalismus bedrohlichen Umgebung. Und ganz wichtig: Viele in der Stadt haben „noch nie richtig gearbeitet“ und deshalb auch keine Ahnung vom wahren Leben.

Der angebliche Antagonismus ist nicht mehr als eine zusammengereimte Erzählung

Das alles ist alles andere als neu. Der Stadt-Land-Gegensatz wird in dieser Art schon seit mehr als hundert Jahren erzählt. Im Heimatroman standen die mit der Stadt assoziierten Begriffe Liberalismus, Modernismus und Individualismus für negative Werte, während das bäuerliche Land mit Natürlichkeit, Gemeinschaftssinn und Antifortschrittsideal den angeblich positiven Pol dagegen stellte. In der Blut-und-Boden-Literatur der NS-Zeit wurde das noch mit Rassenwahn verbunden. Die Verbindung von „Großstadtfeindlichkeit und Antisemitismus“ sei bei den Nazis ein grundlegender Dreh in ihrer Ideologie gewesen, erklärte Marlene Schönberger. Da sich rechtes Gedankengut lange halte, aber auch flexibel sein könne, sei der Rassenwahn nach dem Zweiten Weltkrieg wieder weggefallen. Ansonsten sei insbesondere der deutsche Heimatfilm der Nachkriegszeit ein guter Beleg für die Kontinuität des Grundthemas.

Am Beispiel des Landkreises Erding ist diese Entwicklung leicht fassbar. Der Dorfener Schriftsteller Josef Martin Bauer bediente zwischen 1933 und 1945 die nationalsozialistische Ideologie mit Romanen, Erzählungen und Hörspielen. Er propagiert das Ideal des heimatverbundenen Bauerntums gegenüber der wurzellosen städtischen Massengesellschaft. Ausdrücklich dafür wurde er 1944 mit dem erstmals vergebenen und hoch dotierten „Kulturpreis für bäuerliches Schrifttum“ geehrt.

Verleihung des "Kulturpreis für bäuerliches Schrifttum“ 1944 in Goslar. Mit Oberbürgermeister Heinrich Droste, Josef Martin Bauer, Reichsbauernführer Herbert Backe und dem zweiten Preisträger Friedrich Griese (von links). (Foto: Scherl/SZ Photo)

Schorsch Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt Dorfen hat ein passendes Zitat zu Bauers Haltung gefunden. Bauer entschied sich 1940, als einer seiner Söhne aufs Gymnasium kam, gegen München als Schulort, „weil ich kein Kind in diese Finsternis stecken möchte“. Nach 1945 habe Bauer in seinen Werken aber das bäuerliche Ideal nicht mehr so betont, stattdessen Gottesfurcht zum gesellschaftlichen Grundthema gemacht, sagt Wiesmaier.

Man erkennt an diesem switch vor allem auch eines: Das Geschwafel, Gewäsch und Geschwurbel vom wahren Landleben und der üblen Großstadt ist ein Narrativ im engen Sinn. Es ist nicht mehr als eine zusammengereimte Erzählung. Der angebliche Antagonismus von Stadt und Land braucht keine Belege, es reichen griffige Bilder und Wiederholungen, es geht nicht um Wahrheiten, sondern darum, zweckgerichtet Emotionen zu bedienen, um Stimmen bei Wahlen zu bekommen, politische Gegner anzugreifen oder was auch immer sonst.

Marlene Schönberger sagte, es sei kein Problem, über die Unterschiede von Stadt und Land zu reden. Aber zurzeit passiere etwas anderes, und sie „halte es für gefährlich, wenn man von einer Spaltung zwischen Stadt und Land spricht“. Falsch sei es sowieso: „Die Realität auf dem Land ist sehr viel diverser und heterogener“, als es ein altes, seit der NS-Zeit tradiertes und nur leicht verändertes Narrativ stur und stumpf behaupte.

Über einen sprach Marlene Schönberger in Ottenhofen absichtlich nicht. Weil sie es didaktisch gut fand, wie sie zugab, dass ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer selber auf ihn kamen: Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, hat im vergangenen Jahr im Wahlkampf wie kein Zweiter die ganze Leier des Stadt-Land-Antagonismus rauf und runter gespielt.

Hubert Aiwanger lief sich beim Kreisbauerntag in Pastetten im Mai 2023 warm für seine Rede einen Monat später am Volksfestplatz in Erding. (Foto: Renate Schmidt)

Vor einem Jahr im Mai stand er in Pastetten beim Kreisbauerntag im Bierzelt, schimpfte auf „die Narrischen“ in Berlin, die nie richtig gearbeitet hätten, stellte ihnen die „vernünftigen“ Leute gegenüber, die schon mal „einen Baum gepflanzt, eine Kuh gemolken und eine Sau gefüttert“ haben. Er polterte gegen die Idee, Insekten könnten Nahrungsmittel sein und behauptete, es sei „wider die Natur“ vegan zu leben, denn „der Mensch ist von Gott zu einem Allesesser geschaffen“ worden. Er warnte seine Zuhörer, bayerische Schweinswürstel seien durch die Berliner Agrarpolitik gefährdet. Er redete über die Silvesterkrawalle in Berlin und ordentliche oberbayerische Schützenvereine, die mit verschärftem Waffenrecht drangsaliert würden. Er sagte, „wir dürfen uns unser Leben nicht kaputt machen lassen.“ Einen Monat darauf rastete er in Erding bei der Anti-Heizungsgesetz-Demo auf dem Volkfestplatz dann noch mal richtig aus. Und in Mallersdorf erinnerten sich manche, dass der Schüler Aiwanger in jungen Jahren den Hitlergruß gezeigt und Judenwitze gemacht hatte, und an ein nationalsozialistisches Flugblatt, das er bei sich hatte.

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