Süddeutsche Zeitung

Sinnflut-Festival Erding:Hoffnung und Kampf

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Die Veranstalter bauen darauf, dass das Festival im kommenden Jahr wieder stattfinden kann. Eine erneute Absage würde ihnen finanziell das Genick brechen. Noch aber sind sie optimistisch

Von Michael Kienastl, Erding

Die Macher der Erdinger Sinnflut haben ein schweres Jahr hinter sich. Sollte sich 2020 wiederholen, warnen Peter Feller und Börnie Sparakowski vor dem dauerhaften Aus für das Festival. Bereits jetzt mussten beide das Betriebsvermögen mit ihren privaten Mitteln aufstocken und den Kreis der Mitarbeiter verkleinern. Rückblickend bereut Feller, nicht gegen eine Entscheidung des Gesundheitsamts zu ihrem in diesem Jahr alternativ geplanten Biergarten geklagt zu haben.

Laut Feller sind die Verträge mit den auftretenden Musikern fürs nächste Jahr bereits in trockenen Tüchern. Sollte Corona auch 2021 das Festival verhindern, lösen sich diese automatisch auf. Er bleibt zuversichtlich, dass rechtzeitig ein Impfstoff entwickelt und eingesetzt wird. Um die Marktleute, die jedes Jahr an ihren Ständen ihre Produkte anbieten, macht er sich allerdings Sorgen. Es sei nicht klar, wie viele es von ihnen weiterhin geben wird. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind bereits jetzt schon enorm. So hat sich das fünfköpfige Team auf drei verkleinert, wovon eine Angestellte in Kurzarbeit ist. Feller und Sparakowski mussten weiterhin die aufgebrauchten Reserven durch private Mittel aufstocken, um Lager- und Büromieten bezahlen zu können. Die vom Freistaat erhaltene Soforthilfe sei hier nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auf andere Fördergelder wie die staatliche Kulturförderung hätten sie nicht einmal einen Anspruch, da von den Festivalbesuchern keine Eintrittsgelder verlangt werden.

Viele Veranstalter haben sich in diesem Jahr kreative Gedanken um Hygienekonzepte und unkonventionelle Formate gemacht. So auch Feller und Sparakowski für ihren geplanten Biergarten mit Livemusik. Dieser hätte im Sommer laut beiden durchaus stattfinden können, da auch vergleichbare Biergärten geöffnet waren - beispielsweise am Alten Kino in Ebersberg oder auf der Grieserwiese in Landshut mit bis zu 500 Besuchern. Auch das Passauer Eulenspiegel Festival konnte im Sommer stattfinden. In Erding wurde die Besucherzahl jedoch aufgrund einer Intervention des Gesundheitsamtes auf 100 Leute beschränkt. Das wäre allerdings angesichts der Investitionen in ein Hygienekonzept ein Minusgeschäft geworden. "Das hat mir schon sehr wehgetan", sagt Feller vier Monate später. Er vermisse eine Gleichbehandlung und ein Miteinander im Umgang mit der Pandemie. Auch für 2021 sei ein Biergarten als Alternative denkbar, wenn das Infektionsgeschehen keine reguläre Auflage des Kulturfestivals zulassen sollte. Notfalls werden die Veranstalter diesen einklagen, wie Feller es rückblickend auch bereits dieses Jahr gerne gemacht hätte.

Allerdings zeigt er sich nicht nur optimistisch und kämpferisch, sondern auch enttäuscht von der Politik: "Langsam grenzt es echt an ein Berufsverbot für die komplette Kulturbranche", sagt der Grünbacher. Er kritisiert vor allem, dass für bekannte Infektionsherde wie Schulen und den öffentlichen Nahverkehr über den Sommer kein funktionierendes Konzept erarbeitet und beispielsweise vermehrt Luftfilter eingesetzt wurden: "Stattdessen wird nun trotz vorhandener Hygienekonzepte und mühsam erarbeitete Alternativvorschläge die komplette Kultur und Gastrobranche dicht gemacht." Die Menschen würden sich dann eben privat treffen, unkontrolliert und oft ohne Einhaltung von Hygienemaßnahmen. Im Winter zudem vermehrt in geschlossenen Räumen. Zudem fehle der Kulturbranche meist eine Lobby, wie der Hotel- und Gaststättenverband. Viele ihm bekannte Profimusiker seien Solo-Selbständige und mittlerweile dazu gezwungen, Hartz IV zu beantragen.

Wenn sich das Jahr 2020 in dieser Form wiederholen sollte, sieht Feller das Aus für die vor 27 Jahren zum ersten Mal auf dem Erdinger Volksfestplatz veranstaltete Sinnflut, dessen Organisation eigentlich seine Tochter Lea übernehmen soll, die bereits seit einiger Zeit fest im Team ist. Dies wolle man aber mit aller Kraft verhindern: "Kultur lebt von Hoffnung und Kampf", sagt Feller.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2020
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