Süddeutsche Zeitung

Sagen und Mythen:Eine Treppe, auf der nur Geister wandeln können

Um das Schloss Fraunberg ranken sich Gespenstergeschichten, auch der Teufel soll den Menschen erschienen sein. Mit einer List konnte man ihm jedoch ein Schnippchen schlagen.

Von Gerhard Wilhelm, Erding/Fraunberg

Würde man eine Liste der Top 5 der bekanntesten Geister erstellen, wäre die "Weiße Frau" garantiert mit darauf. Sie ist eine Erscheinung, die in mehreren Schlössern europäischer Adelsfamilien sich gezeigt haben soll. Die ältesten Berichte über die "Weiße Frau" stammen aus dem 15. Jahrhundert, die größte Verbreitung fand der Glaube an den Geist im 17. Jahrhundert. Häufig gilt die "Weiße Frau" als Geist eines weiblichen Vorfahren.

Im Allgemeinen gilt sie, sofern man sie nicht herausfordert, nicht als böswillig oder gefährlich. Ihr Erscheinen verursacht dennoch häufig Schrecken, da es familiäre Katastrophen, insbesondere die Todesfälle von Mitgliedern der Familie, ankündigen soll. In solchen Fällen erscheint sie manchmal auch schwarz gekleidet. Die "Weiße Frau" geht auf christianisierte heidnische Vorstellungen über das Weiterleben von Toten zurück, wobei Weiß als die Farbe der abgeschiedenen Seelen gilt.

Rotes Seidenkleid und trippelnde Kinderfüße

Auch eines der ältesten Schlösser in Bayern, das Wasserschloss in Fraunberg, hat seine "Weiße Frau", obwohl sie in diesem Fall eigentlich eher als Rote Frau bezeichnet werden muss, wie Schlossherrin Herdana von Fraunberg sagt: "Die Geschichte hatte mein Großvater meiner Mutter damals erzählt. Ihm sei im zweiten Stock im Gang einmal eine Frau in einem weinroten, langen Kleid begegnet. Daraufhin habe er sich in eine Nische zwischen zwei Schränken versteckt. Das Rascheln ihres Seidenkleides habe er genau gehört."

Das Sonderbare an der Geschichte ist aber seine Aussage, dass die Frau, als sie die Treppe hochging, sozusagen in der Treppe ging, weil er ihre Füße nicht mehr gesehen hat. "Als 1990 die Sanierung der Treppe anstand und man jede der 300 Jahre alte Eichenbohlenstufen einzeln sanieren musste, stellte man fest, dass darunter vorher eine rund 50 Zentimeter tiefer gelegene Ziegeltreppe war. Auf der muss die Frau wohl gegangen sein. Aber von der Treppe konnte mein Großvater nichts gewusst haben", sagt Herdana von Fraunberg.

Einen Hinweis auf die Rote Frau, die viele andere Schlossbewohner früher ebenfalls durch die Gänge des Wasserschlosses wandeln gesehen haben, könnte eine zweite Geschichte geben. "Viele hatten immer wieder das Geräusch von trippelnden Kinderfüßen gehört, aber ohne was zu sehen. Eine Erklärung dafür könnte der Fund eines Kindes sein", sagt die Schlossherrin. Als einmal ein Kätzchen in einen Schacht neben der Treppe gefallen sei und jämmerlich miaute, habe ihr Großvater den Schacht aufbrechen lassen und man habe eine makabre Entdeckung gemacht: ein Kinderskelett mit Holzspielzeug. Das Skelett habe man beerdigt und das Schloss sei ausgeweiht worden. "Seitdem hat man weder die Kinderschritte mehr gehört und auch die Frau ist nicht mehr aufgetaucht."

Als man nachforschte, habe man herausgefunden, dass vor Jahrhunderten einmal der Sohn der ersten Hausherrin verschwunden war. "Wahrscheinlich hat die neue Schlossherrin ihn ermordet, um die Nachfolge ihres Sohnes zu sichern", sagt Herdana von Fraunberg. Die Ehemänner von damals seien sehr selten zu Hause gewesen. "Entweder waren sie am Herzogstand in Landshut oder im Krieg." Ihre Freveltat habe sie wohl nicht eher ruhen lassen, bis das Kind gefunden und in geweihter Erde beerdigt wurde.

Wie präsent die Geschichte um die Kindsmörderin in den Köpfen ihrer Eltern war, habe man bei der Namensgebung ihrer Schwester gesehen. "Als meine Mutter sie so wie die Tote nennen wollte, wurde das als böses Omen angesehen. Meine Mutter setzte sich aber durch, allerdings wurde meine Schwester auf Cathrey getauft, die mögliche Mörderin hieß Kathrein."

Eine "echte" weiße Frau solle es dafür in Moosen gegeben haben, wie Johann Wimmer in seiner Sammlung "Sagen, Legenden, Anekdoten und Erzählungen" in Heft 21 des Erdinger Landes berichtet. Dort soll um 1880, als das dortige Schloss zum Kloster wurde, eine Oberin eine weiße Gestalt gesehen haben, als sie gegen Mitternacht zu Bett gehen wollte. Die Frau habe ihr zugewunken, dass sie mit ihr kommen sollte. Nach dem ersten Schreck folgte ihr die Oberin in den Schlossturm und hinab ins Verlies. Dort habe der Geist auf eine Ecke gezeigt. Am nächsten Tag ließ die Oberin an der Stelle graben und man fand ein Skelett. Es wurde freigelegt und von einem Priester feierlich begraben. Offenbar muss die Verstorbene dadurch ihre Ruhe gefunden haben, jedenfalls gibt es seither keine Berichte über ihre Sichtung mehr.

Viele Geschichten umgeben auch das Wasserschloss in Notzing laut Wimmer. 1682 wurde der Besitzer Adam Maximilian Rosenbusch von einem seiner Rossknecht hinterrücks erdrosselt. Der Mörder wurde gefasst und hingerichtet, doch seine Untat ließ ihm offenbar keine Ruhe. Stöhnend, schreiend und klagend irrte er als Gespenst durch den Eichenwald zwischen Aufkirchen und Notzing. Das Wehklagen des Mörders ließen jeden, der es wagte den Wald zu betreten, erschauern. Bis eine alte Frau beim Pfarrer auftauchte und erklärte, dass der Geist der Rossknecht sei. Nur eine kirchliche Weihe könnte dem Umhertreiben ein Ende bereiten. Der Pfarrer fasste sich ein Herz, ging in den Wald und als er das Skelett in weißem Gewande sah, besprengte er es mit Weihwasser, schlug ein Kreuz und hob die Hände zum Himmel, worauf das Geheule endete und der Rossknecht erlöst war und nie wieder auftauchte.

Auch eine zweite, eher seltenere Geistererscheinung ist auf Schloss Fraunberg anzufinden: ein spukender Jäger. "Mein Mann hat mir erzählt, dass er als Bub mal mit seinem Bruder vom Spielen im Hof die Treppe zum ersten Stock hochgingen. Oben sahen sie, wie eine Gestalt, die wie ein altmodisch gekleideter Jäger angezogen war, aus dem Vorzimmer zum Wohnzimmer der Eltern kam. Doch während die beiden höflich gegrüßt hätten, wäre der Mann einfach an ihnen vorbeigegangen. Als sie ihren Vater gefragt haben, wer denn der Unbekannte gewesen sei, hat mein Großvater sehr wortkarg geantwortet", erzählt Herdana von Fraunberg. Später habe sie erfahren, dass es sich wohl um einen Jäger gehandelt habe, den vor vielen Jahren ein Schlossherr bei der Jagd erschossen habe. Dass Spukgeschichten häufig in Schlössern anzutreffen seien, führt sie auch auf bauliche Gründe zurück: "Irgendeiner der Holzschwingböden knarzt immer und früher gab es breite Kamine, in denen sich der Wind fing, was sich wie fürchterliches Heulen anhörte."

Zum Glück handelte sich wohl nur um eine harmlose, herumirrende Seele und nicht Teil der "Wilden Jagd", eine deutsche Bezeichnung für eine in vielen Teilen Europas verbreitete Volkssage, die sich zumeist auf eine Gruppe von übernatürlichen Jägern bezieht, die über den Himmel jagen. Die Sichtung der Jagd konnte je nach Region verschiedene Folgen haben. Oft galt sie als Vorbote für Katastrophen wie Kriege, Dürren oder Krankheiten. Zudem gibt es auch Versionen, in denen Zeugen Teil der Jagd wurden oder die Seelen von Schlafenden mit gezogen wurden um an der Jagd teilzunehmen.

In Märchen des 19. Jahrhunderts wird der Teufel zudem oft als Jäger in grünem Wams und mit einer roten Feder am Hut beschrieben. In dieser Verkleidung versucht er, Menschen zum Verkauf ihrer Seele zu bewegen. Auch im Landkreis Erding sind Sagen über den Teufel in Jägergestalt bekannt, wie Wimmer in seiner Sammlung zeigt. Dort ist unter anderem die "Sage von Pemberg" zu finden. Dort soll einst unter einer alten Eiche ein Schatz vergraben gewesen sein, den der Teufel bewacht haben soll. Ein paar "kecke, junge Burschen" sollen in einer Vollmondnacht beschlossen haben, ihn auszugraben. Als sie den Schatz aus Gold und Edelsteinen schon funkeln sahen, soll plötzlich ein Jäger aufgetaucht sein, der einen "unheimlichen stechenden Blick und einen Bockfuß" hatte. Der soll ihnen gesagt haben, dass nur der den Schatz bekomme, der ihm mit seinem Blute besiegle, dass er seine Seele im vermache. Daraufhin rannten die Burschen so schnell davon wie sie konnten. Unter grässlichen Flüchen des Jägers. Seitdem sei der Teufelsschatz verschwunden.

Auch bei Taufkirchen soll sich ein wilder Jäger früher herumgetrieben haben, wie Wimmer schildert. Als der "Jackerbauer" schreckliche Schmerzen hatte, wagte es nur ein junger Knecht in die von Blitzen durchzuckte, stürmische Nacht nach draußen zu gehen. "Hilf Gott" soll er gerufen haben, als ein wildfremder, bärtiger Jäger ihm entgegentrat und dem Knecht sagte, er müsse unter ein Schreiben seinen Namen setzen, wenn er lebendig das Dorf wiedersehen wolle. Der Knecht war aber ein Schlitzohr und schrieb "Maria Hilf!" auf das Pergament. Als der Jäger es zurücknahm, stieß er einen gellenden Schrei aus und ließ das Pergament fallen, das entflammte und verbrannte. Es gab einen Donnerschlag und dann war es still. Und so konnten der geholte Arzt und der Knecht ohne Gefahr zum "Jackerbauer" eilen.

Die dritte Sage geht über die sogenannte Lederer-Kurve zwischen Goldach und Zengermoos. Der Lederer hat laut Wimmer immer am Sonntag Torf gestochen. Begleitet von einem Jäger. Als der Lederer den Leuten sagte, dass das der Teufel sei und er mit ihm verbunden sei, glaubten die ihm nicht. Der Härtl von Zengermoos weiß aber anderes zu berichten. Er sei einmal in dessen Wohnung gewesen. Der Lederer habe ein paar Worte gesagt, worauf es geklopft habe und der Teufel hereingekommen sei und sich zwischen ihm und dem Lederer gesetzt habe. Der Härtl soll wie Espenlaub gezittert haben. Dann sei der Teufel wieder verschwunden. Der Lederer soll später ein Haus in München gekauft und viel Geld gehabt haben. "Ob ihn der Teufel schon geholt hat, ist nicht bekannt", schreibt Wimmer, der die Sage aus der Heimatkundlichen Stoffsammlung der Schulen im Landkreis hat.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2016/bica
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