Schule:Zwischenzeugnis war einmal

Grundschüler gehen neuerdings zum Lernentwicklungsgespräch und unterschreiben Zielvereinbarungen.

Von Florian Tempel, Erding

Die Parallelen zu einem Jahresgespräch zwischen Chef und Mitarbeiter sind unübersehbar und sicher auch gewollt. An 14 der 31 Grundschulen im Landkreis waren Schüler der ersten, zweiten und dritten Klassen in diesem Jahr erstmals zu sogenannten Lernentwicklungsgesprächen eingeladen, die das althergebrachte Zwischenzeugnis ersetzten. Anders als bei einem Jahresgespräch in einem Unternehmen kamen die, um die es ging, natürlich nicht alleine, sondern in Begleitung ihrer Erziehungsberechtigten. Sonst aber ähnelte sich das Prozedere sehr - es war ganz wie im richtigen Leben.

Lernentwicklungsgespräche sind eine Neuerung, die das bayerische Kultusministerium in diesem Schuljahr als Möglichkeit in der Grundschuldordnung eingeführt hat. Man kann es machen oder bleiben lassen. Das Lehrerkollegium und der Elternbeirat jeder Grundschule entscheidet nach eigenem Dafürhalten.

Der Ablauf der Gespräche war von Schule zu Schule verschieden, im Großen und Ganzen aber etwa so, wie es viele Erwachsene aus ihrem Berufsleben kennen. Anhand eines Fragebogens mussten sich die Sechs- bis Neunjährigen in dutzenden Punkten selbst einschätzen, was dann mit den Einschätzungen ihrer Lehrerinnen abgeglichen wurde. Abgefragt wurde so ziemlich alles, was auch in einem Business-Jahresgespräch thematisiert wird: Das Sozialverhalten, das sich in Team- und Konfliktfähigkeit gliedert; das Arbeits- und Lernverhalten, also wie organisiert, ordentlich und konzentriert einer zu Werk geht; und schließlich seine Fähigkeiten in den einzelnen Aufgabenbereichen, wie es so läuft mit Lesen, Schreiben, Rechnen, Malen und Religion.

Die Selbst- und Fremdeinstufung passierte zum Beispiel mit vorformulierten Bewertungen von "Das kannst Du toll!" über "Das fällt Dir noch schwer!" bis "Da brauchst Du noch Hilfe!". Oder, indem Schüler und Lehrerin die einzelnen Punkte mit einer der drei Ampelfarben Grün, Gelb und Rot markierten. Nach einem Abgleich endete das Treffen dann wie beim Chef-Mitarbeiter-Gespräch mit einer schriftlich fixierten Zielvereinbarung.

"Wir sind ganz begeistert", sagt die Rektorin der Erdinger Grundschule am Grünen Markt, Monika Eder. Ein direktes Gespräch zwischen Lehrerin und Schüler stelle das Kind in den Mittelpunkt, was sich schon allein dadurch "sehr ernst genommen fühlt". Die vom Schüler verlangte Selbsteinschätzung sei, wenn sie kindgemäß erfolge, nicht nur kein Problem, sondern viel besser als formelhafte Zeugnisbewertungen oder Noten. An ihrer Schule haben die Lehrerinnen die Gespräche zuerst in Rollenspielen eingeübt und dann stets damit begonnen, die positiven Aspekte - "Mensch, das kannst du aber toll" - in den Vordergrund zu stellen. Es sei dann "sehr überraschend gewesen, wie ehrlich die Kinder ihre Probleme sehen". Und die Zielvereinbarung sei von vielen Kindern "mit heiligem Ernst unterschrieben worden". Zum Beispiel: "Ich versuche pünktlicher zu werden" oder "ich lese jeden Tag meiner Mama fünf Minuten etwas vor".

An der Erdinger Carl-Orff-Grundschule gab es keine Lernentwicklungsgespräche. Rektorin Barbara Schock hält wenig davon: "Nach außen mag das alles ganz toll aussehen - aber macht es auch Sinn?" Dass Sechsjährige ihre Fähigkeiten selbst bewerten sollen, hält sie für unangemessen. Und bei den vermeintlich gemeinsam vereinbarten Zielen stelle sich die Frage, was das überhaupt soll. "Wir haben in Bayern ständig Neuerungen und nicht jedes Novum erweist sich als gut", sagt Schock, die an ihrer Schule weiter Zeugnisse schreiben lassen will. "Ich fürchte aber, in ein oder zwei Jahren werden Lernentwicklungsgespräche verpflichtend für alle."

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