Süddeutsche Zeitung

Rodung:Knirschen im Forst

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Ein bei Spaziergängern beliebtes Waldstück nahe Zorneding gleicht nach Baumfällarbeiten einem Schlachtfeld. Ein Vogelschützer sieht darin einen Naturfrevel - auch weil Nistkästen am Boden liegen. Förster und Umweltbehörde sprechen von einer notwendigen Maßnahme

Von Korbinian Eisenberger

Die Vögel pfeifen, Regen tropft durchs Blätterdach, Geruch von Nadeln und Moos. Alles so, wie man es sich in einem gesunden Wald vorstellt. Nur die Äste unter den Schuhsohlen knacken an diesem Vormittag besonders laut. Vorbei ist es mit der Idylle. Zwischen den Baumstämmen und Büschen tut sich ein Schlachtfeld auf: Gefällte Stämme, zerbrochene Äste, zerfetztes Gestrüpp, so dass man an manchen Stellen kaum mehr durchkommt. Überall liegen Baumstümpfe und Sägespäne - Zeugnisse, dass hier jemand mit schwerem Gerät am Werk war.

Das Reitöster Geräumt hinter dem Busparkplatz von Wolfesing ist beliebt bei Spaziergängern; Pöringer, Wolfesinger und Ingelsberger kommen regelmäßig mir ihren Hunden her, das sieht man an diesem Freitagmittag. Doch es knirscht im Idyll. Ein Naturschützer aus Zorneding ist der Ansicht, dass die Förster bei ihren Waldarbeiten zu weit gegangen sind. Sie sollen Nistkästen mit Jungvögeln rabiat zu Boden befördert haben und "ohne Not 30 zirka einhundert Jahre alte Eschen gefällt" haben. Der Naturschützer hat Anzeige erstattet.

Sind Vögel verletzt oder getötet worden? Sind die Arbeiter zu weit gegangen? Um diese Fragen geht es nun. Deswegen stehen am Freitag Männer im Wald - zwei von ihnen haben einen angeleinten Hund dabei: Hannes Deininger, der Revierförster, er hat die Fällarbeiten in Auftrag gegeben. Und der Zornedinger Rainer Förderreuther, von ihm kommt die Anzeige. Die zwei Hunde beschnuppern sich, ihre Herrchen haben diese Phase übersprungen. "Da waren jede Menge Blaumeisen in den Kästen", sagt Förderreuther, ruft es fast. "Das hätte man im Herbst machen können, dann hätte man nicht so viel wie jetzt zerstört."

Der Vorwurf Förderreuthers: Die Arbeiten kommen zu früh und gefährden Vogelmütter und ihre Jungen. Später im Jahr, wenn ein Großteil der Vögel in wärmere Gefilde gezogen ist, wären die Folgen weniger gravierend gewesen. Förderreuther ist im Landesbund für Vogelschutz aktiv und kümmert sich ehrenamtlich um die Pflege der Nistkästen in diesem Teil des Ebersberger Forsts. Die Kästen sind etwas kleiner als eine Schuhschachtel, sechs Jungvögel haben in einer Box Platz. Insgesamt hängen im Ebersberger Forst 6000 solcher Nistkästen an Baumstämmen. Drei davon sind jetzt aber heruntergefallen.

Deswegen ist auch ein Mann von der Unteren Naturschutzbehörde gekommen: Johann Taschner leitet die Abteilung im Landratsamt Ebersberg, bei ihm ist die Anzeige Förderreuthers eingegangen. Taschner untersucht jetzt einen Nistkasten, den die Förster auf einen Baumstumpf gestellt haben. Insgesamt drei solcher Kästen landeten bei den Fällarbeiten auf dem Boden. Einer krachte nach unten, weil die Förster versehentlich den zugehörigen Stamm umsägten. Zwei weitere fielen herab, weil ein umfallender Baum den Stamm samt Nistkasten erschütterte. Was an weiteren Nistkästen und Nestern zerstört wurde? Klar ist: Zwei der drei heruntergefallenen Nistkästen hängen wieder, den Vögeln sei nichts passiert, heißt es. Taschner kontrolliert jetzt, ob es auch den Insassen des letzten Kastens gut geht.

Der Leiter der Behörde kommt zu dem Schluss, dass keine Vögel zu Schaden gekommen sind. Auch sonst, so Taschner, habe er an der Maßnahme nichts auszusetzen, weswegen er kein Verfahren einleiten werde. "Das sieht nicht schön aus", sagt Taschner. Es sei aber ein üblicher Schritt. Revierförster Deininger führt jetzt durch den Wald, seit gut acht Jahren ist er hier zuständig. Es geht vorbei an Holzstößen, wo die zugeschnittenen Stämme liegen. "Die Eschen am Wegrand sind befallen", sagt Deininger und zeigt auf den verfaulten Kern eines Stamms. Das Risiko: Ein vom Eschentriebsterben befallener Baum kann spontan umfallen. Am Wegrand kann das lebensgefährlich sein. Deswegen mussten auch ältere Bäume gefällt werden, deswegen liegen hier nicht nur Fichten, sondern auch Laubbäume, so Deininger.

Es wird laut auf dem Kiesweg. Rainer Förderreuther zitiert aus dem Naturschutzgesetz, "das waren eklatante Verstöße gegen Paragraf 39 bis 44", sagt er. Dort steht: "Es ist verboten, wild lebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu fangen, zu verletzen oder zu töten". Deswegen werde er nun eine Strafanzeige bei der Polizei stellen. Dazwischen hört man das Pfeifen in den Baumkronen, Rotkehlchen, Buchfinken, Zaunkönige. In diesen Wochen endet bei vielen Vögeln im Ebersberger Forst die Nistzeit, aber eben nicht bei allen, ein Punkt, den der Vogelschützer kritisiert. Der Zornedinger Förderreuther und sein Hund sind weiter gegangen. Ein Blick zu den abgeschnittenen Eschen, den meterhohen Haufen von Ästen. "Wir müssen doch für die Natur was anbieten", sagt er und verschwindet hinter der nächsten Kurve.

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SZ vom 02.07.2018
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