Süddeutsche Zeitung

Ratsstube im Schönen Turm:"Es ist Zeit aufzuhören"

Wegen gesundheitlicher Probleme und des Wunsches nach Verkleinerung geben Horst und Kanueng Busch die Ratsstube im Schönen Turm auf. Was mit den Räumen passiert, ist noch offen

Von Veronika WulfVon Veronika Wulf, Erding

Obwohl es viele Stufen in der Ratsstube gibt und sie unterschiedlich hoch sind, stolpert Horst Busch nicht - selbst mit vollen Weingläsern auf dem Tablett. Seit elf Jahren geht er die Treppen täglich hoch und runter. Doch am 26. Februar wird es das letzte Mal sein. Denn Horst und Kanueng Busch schließen ihr Restaurant im Schönen Turm.

Als sie 2005 den Pachtvertrag mit der Stadt Erding unterschrieben und das Lokal im Schönen Turm, dem Wahrzeichen Erdings, übernahmen, sei es heruntergewirtschaftet gewesen und habe einen schlechten Ruf gehabt, erzählt Horst Busch. Die Terracotta-Fließen seien so schwarz vor Dreck gewesen, dass nur auf einem Pfad in der Mitte ihre eigentliche Farbe zu sehen gewesen sei. In der Küche habe das Fett geklebt, in den Gasträumen der Frittengeruch gehängt. "Wir haben auf den Knien den Boden geschrubbt", sagt Busch, der in schwarzer Hose und weißem Hemd auf einem der dunklen Holzstühle in seinem Restaurant sitzt. Die Tische sind gedeckt, weiße Servietten, dunkelgrüne Tischdecken passend zur Sitzpolsterung, rote Rosen, gedämmtes Licht. In einer halben Stunde werden die ersten Gäste kommen, acht von 13 Tischen sind bereits reserviert, für einen Donnerstagabend ist Busch zufrieden. Am Wochenende ist die Ratsstube fast immer voll, das Silvestermenü war schon im September ausgebucht.

In den gut elf Jahren haben Horst und Kanueng Busch das einst heruntergekommenen Lokal im Schönen Turm in ein stadtbekanntes, gehobenes Restaurant verwandelt. Kanueng Busch kocht, brät, grillt und blanchiert, sie bringt deutsche Klassiker auf den Teller wie Rinderlende, Flugentenbrust und Lammrücken, aber auch Mediterranes und Asiatisches, schließlich kommt sie aus Thailand. Horst Buschs Reich ist der Gastraum, er begrüßt, bedient und berät, mit einigen Gästen ist er inzwischen per Du.

Doch jetzt, sagt Busch, "ist es an der Zeit aufzuhören." Einerseits ist er traurig, wegen der Stammgäste und der langen Zeit. Andererseits ist er erleichtert. Es war nicht immer leicht, zuverlässiges und fähiges Personal zu finden; Jungkoch, Küchenhilfe und Ober, die nur während der Saison arbeiten und in den drei Monaten Sommerpause nicht bezahlt werden. Aber noch schwieriger waren zwei Rückschläge.

Es passierte vor sechs Jahren. Busch saß mit seiner Frau im Flugzeug, auf der Heimreise vom Urlaub, als Kanueng kaum mehr Luft bekam. Im Krankenhaus stellte sich heraus: Lungenembolie. Siebeneinhalb Stunden OP bei einem Experten, Körper auf 18 Grad heruntergekühlt, Brustkorb geöffnet. Das Ganze drei Mal. Die Alternative wäre ein Sauerstoffgerät gewesen und eine voraussichtliche Lebensdauer von nur etwa vier Jahren. Die Operation war erfolgreich. Doch für die Ratsstube bedeutete das: sieben Monate schließen, im Jahr darauf noch einmal fünf. Jetzt steht Kanueng Busch, 48, wieder täglich zwölf bis 14 Stunden in der Küche. Schwere Kisten darf sie nicht mehr heben und sie muss aufpassen, dass sie sich beim Gemüsezerteilen nicht schneidet, wegen der Blutverdünnungsmittel. Seither nimmt sich das Ehepaar im Sommer drei Monate frei und verbringt ein paar Wochen in seinem Ferienhaus auf dem Peloponnes. Während Busch erzählt, springt er zwei Mal auf, weil das Telefon klingelt, Reservierungen für den Abend.

Vor eineinhalb Jahren, als gerade die Sommerpause begann, kam der zweite Rückschlag, diesmal traf es ihn: Schlaganfall. Als ihm am Abend der Fuß weggeknickt war, hatte er sich noch nichts dabei gedacht. Als er aber am nächsten Morgen ein Glas fallen ließ und die Tabletten, die er gerade geholt hatte, plötzlich nicht mehr in der Hand hielt, da "ging mir die Muffe", sagt er. Auch einen Bandscheibenvorfall hat er hinter sich. Jetzt will er kürzer treten. "Selbst an unserem Ruhetag haben wir nicht frei, sondern bringen die Wäsche weg, kaufen ein, rechnen ab." Mehr Arbeit abzugeben und noch jemanden einzustellen, kam für das Paar nicht infrage. "Das ist einfach nicht rentabel."

Es ist das vierte Restaurant, das das Paar betreibt. Sie hatten schon weitaus größere Betriebe als die Ratsstube mit ihren 60 Plätzen, zum Beispiel in Landau, für 500 Gäste. Doch keinem blieben sie so lange treu wie der Ratsstube. Erst mit Anfang 40 kam Horst Busch in die Gastronomie, weil seine Frau eine Ausbildung zur Köchin machte. "Da hab ich gemerkt, das ist ihr Ein und Alles", sagt Busch, "also bin ich an die Hotelfachschule und wir haben uns selbstständig gemacht." Vorher hatte er als Immobilienmakler gearbeitet. "Tolle Zeit, tödlicher Platz: auf Ibiza." Es waren die 70er Jahre, als Roman Polanski noch ohne Leibwächter unterwegs war - und Nico Rosberg im Kinderwagen. Den Wechsel in die Gastronomie bereut Busch nicht. Auch wenn die Arbeitstage manchmal 16 Stunden haben und die freien Tage rar sind.

Ein schriller Ton unterbricht ihn. Die Meldeanlage. Kurz darauf stehen die ersten Gäste in der Gaststube. "Guten Abend die Herrschaften", sagt Busch mit lauterer, klarerer Stimme, "hier entlang bitte." Sie folgen ihm durch den verwinkelten Gastraum, über ihnen tiefe Decken mit dicken Holzbalken, hier noch eine Treppe, dort noch ein Sitzbereich in einer stillgelegten Kaminnische.

Wie die Räumlichkeiten nach Buschs Auszug genutzt werden, wisse man noch nicht, teilt die Stadt auf Anfrage mit. Das Ehepaar Busch wird erst mal Urlaub machen, Thailand, dann Griechenland. Danach werde man sich nach einem neuen Lokal umsehen. "Wir stellen uns was Kleines vor, so 25 Plätze, das wir allein betrieben können." Wo, ist noch offen. Vielleicht in Erding, vielleicht in Griechenland, vielleicht auch ganz woanders.

Bis einschließlich Sonntag, 26. Februar, hat die Ratsstube im Schönen Turm geöffnet. Bis dahin können noch Gutscheine eingelöst werden.

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SZ vom 06.02.2017
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