Kindesmisshandlung im Landkreis Erding:Voll schuldfähig

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Einen Freispruch gab es für einen 36-jährigen Mann, der an einem Raubüberfall in Neufahrn beteiligt gewesen sein soll. Ihm war nichts nachzuweisen. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Gutachten sehen bei der Angeklagten, die ihre Tochter schwer verletzt haben soll, keine psycho-sozialen Beeinträchtigungen. Im Fokus der Zeugenbefragung am Landgericht steht auch der Ex-Freund der 25-Jährigen, gegen den zunächst ermittelt worden war.

Von Alexander Kappen, Landshut/Erding

Bei der Fortsetzung des Prozesses gegen eine 25-jährige ehemalige Kinderpflegerin, die im Dezember 2018 in einer Wohnung im Landkreis Erding ihre damals zweijährige Tochter misshandelt und schwer verletzt haben soll, sind am Montag die psychologisch-psychiatrischen Gutachten vorgetragen worden. Demnach gibt es bei der Angeklagten keine Hinweise auf eine schwerwiegende psychiatrische Grunderkrankung oder eine Persönlichkeitsstörung. Auch liege kein Hinweis auf eine verminderte oder vollständige Schuldunfähigkeit vor. In weiteren Zeugenbefragungen wurde auch der Ex-Freund der Angeklagten unter die Lupe genommen, gegen den zunächst ermittelt worden war.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, ihrer Tochter bei einem Streit am 23. Dezember einen harten Gegenstand heftig in den Schambereich gestoßen zu haben, um das Kind "zu bestrafen oder zu disziplinieren", weil es sich beim Abendessen eingenässt hatte. Das Kind hat dabei starke Verletzungen erlitten, die ohne eine entsprechende medizinische Versorgung laut Anklage potenziell lebensgefährlich waren. Das Mädchen musste in der München Klinik in Schwabing notoperiert werden. Die Angeklagte hatte zu Prozessbeginn am Landgericht Landshut ausgesagt, ihr damaliger Freund, zu dem sie erst kurz zuvor mit dem Kind gezogen war, habe die Tochter auf die Toilette gesetzt, wo sie das Mädchen dann stark blutend vorgefunden habe. Heute lebt das Kind bei den Eltern der Angeklagten.

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Ein Gutachter bescheinigte der Angeklagten am Montag mit einem IQ von 100 eine Intelligenz im Normbereich. Auch organisch stellte er keine besonderen Auffälligkeiten fest. Bei der Betrachtung der Persönlichkeit fand er "keinen Hinweis, dass sie im psychosozialen Bereich besonders beeinträchtigt ist". Der Gutachter attestierte der 25-Jährigen ein "selbstbewusstes Auftreten, zum Teil präsentiert sie sich burschikos". Andererseits habe sie "eine dependente Haltung gegenüber Männern". In Beziehungen mit Männern sei der Partner eher tonangebend. Dass die Angeklagte mit ihrem damaligen Freund zunächst eine Zeit lang weiter zusammengewohnt habe, obwohl im Raum stand, dass dieser etwas mit den Verletzungen zu tun hat, "hat eine Abhängigkeitskomponente in ihrem Verhalten durchblicken lassen".

Im Umgang mit ihrer Tochter wirke die 25-Jährige emotional nicht authentisch. "Innere Ängste wehrt sie ab und redet es sich teilweise schön, die potenzielle Tragweite der Verletzungen ihrer Tochter hat sie abgespalten", so der Sachverständige. Das Ganze belaste sie durchaus, "aber sie kann sich mit diesem Thema emotional nicht beschäftigen oder will es nicht". Hinweise auf eine grundsätzlich erhöhte Aggressionsbereitschaft gebe es nicht.

"Über die emotionale Seite ist sie so gut wie überhaupt nicht zu fassen"

Eine weitere Gutachterin bestätigte, dass die Angeklagte "über die emotionale Seite so gut wie überhaupt nicht zu fassen" sei. "Sie wirkt kontrolliert und hat einen kühlen, distanzierten Umgangsstil." Frühere Mitarbeiterinnen im Kindergarten hätten bestätigt, "dass sie wenig Einfühlungsvermögen in die Welt der Kinder hat". Inzwischen hat die gelernte Kinderpflegerin zur Lastwagenfahrerin umgeschult. Aber die 25-Jährige "neigt wenig zur Impulsentgleisung". Mit einer akuten Belastungsreaktion sei der angeklagte Fall nicht zu erklären.

Nach dem Vorfall auf der Toilette, so habe es die Angeklagte ihr geschildert, "hat sie zunächst nicht geglaubt, dass ihr Freund etwas damit zu tun hat, sie war froh, dass er sich um die Tochter gekümmert hat", so die Gutachterin. Allerdings wisse die 25-Jährige auch nicht, "warum sie jetzt die Angeschuldigte ist, sie sagt, sie habe nichts getan".

Die 25-Jährige und ihre Familie beschuldigten im Laufe des Prozesses stattdessen indirekt den Ex-Freund, der im Prozess die Aussage verweigert hat. Als die Kripo zunächst gegen ihn ermittelte, wurde er von seinem Arbeitgeber entlassen. Seine Ex-Chefin beschrieb ihn am Montag jedoch als "sehr angenehmen, zuvorkommenden Menschen". Ein Vorgesetzter bezeichnete ihn als "netten, offenen, immer freundlichen Kollegen". Nur bei Stress in der Arbeit "wurde er dünnhäutiger und seine Antworten am Telefon kürzer, aber aggressiv war er nie". Auch ein Kamerad des Ex-Freunds bei der Freiwilligen Feuerwehr sagte: "Aufbrausend oder grantig ist der gar nicht, ich habe ihn noch nie aggressiv öder böse erlebt."

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