Prozess in Landshut:Viele Möglichkeiten

Es geht um kleinste Details: Weil den Ermittlern konkrete Beweise fehlen, wird der Mordprozess gegen einen Erdinger Arzt zu einem Indizienprozess

Von Florian Tempel, Landshut

Nach der spannenden Auftaktphase wird nun immer deutlicher, dass das Verfahren gegen den Erdinger Frauenarzt Michael B. eben doch ein klassischer Indizienprozess ist. Die Betrachtung kleinster Details und mikroskopischer Spuren prägten den dritten Verhandlungstag. Bereits die ultrakurze, nur acht Zeilen lange Anklage hatte klar gemacht, dass die Ermittlungen keine Beweise erbracht haben, dass der 55-jährige Medizinprofessor am 4. Dezember 2013 seine damals 60-jährige Ehefrau Brigitte B. in ihrem Reihenhaus in Pretzen getötet hat - was der Angeklagte vehement bestreitet. Ein Schuldnachweis kann deshalb nur gelingen, wenn viele Mosaiksteinchen, die einzeln und für sich genommen wenig Aussagekraft haben, zusammengesetzt am Ende ein klares Gesamtbild ergeben.

Wie schwierig es jedoch ist, überhaupt einzelne Mosaiksteinchen zu finden, machte das Gutachten eines Spezialisten für Blutspuren vom rechtsmedizinischen Institut der Universität München deutlich. Am Montag hatten Spurenexperten der Kripo Erding und des bayerischen Landeskriminalamts in einem digitalen 3D-Film die Spurenlage im Haus des Ehepaars B. anschaulich vorgestellt. Demnach fanden sich im Bad, wo die Leiche von Brigitte B. gefunden wurde, sowie im Flur davor, auf der Treppe ins Dachgeschoss und im Wohnzimmer zahlreiche, wenn auch weggeputzte Blutspuren. Der Blutspuren-Spezialist aus dem rechtsmedizinischen Institut erläuterte nun jedoch, dass die gefundenen Spuren keine klaren Rückschlüsse erlaubten. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen sind nur schwache Indizien.

Der Experte hatte unter dem Unterschrank unter den Waschbecken vier kleine Spritzer mit Blut von Brigitte B. entdeckt. Blutspritzer sind im Normfallfall offensichtliche Zeichen einer Gewalttat. Ein Tropfen klebte an der Unterseite des an die Wand geschraubten Unterschranks, drei weitere ganz hinten an den Wandkacheln. Sie waren so versteckt, dass man sich auf den Fußboden legen musste, um sie zu entdecken. Solche Blutspritzer weisen darauf hin, dass das Opfer so hart geschlagen wurde, dass Bluttropfen aus einer Wunde wegflogen. Allerdings, so der Experte, gäbe es auch andere Erklärungsmöglichkeiten.

Prozess in Landshut: Der Angeklagte (hinten) zwischen seinen Verteidigern Maximilian Müller und Karsten Fehn.

Der Angeklagte (hinten) zwischen seinen Verteidigern Maximilian Müller und Karsten Fehn.

(Foto: Renate Schmidt)

So oder so war es sonderbar, dass es keine weiteren Blutspritzer im Bad zu sehen gab - zum Beispiel an den Türen des Unterschranks -, als der Notarzt, die Rettungssanitäter und die Polizei am Tatort waren. Doch aus dem Nichtvorhandensein von Spuren lässt sich vernünftigerweise nichts ableiten. Oder doch?

Einen gewissermaßen verdächtigen Fleck weggeputzten Blutes entdeckte der Sachverständige unter einem Beautycase. Ein Vergleich mit Fotos der Polizei vom Tatabend zeigte, dass das halb geöffnete und voll gepackte Köfferchen offensichtlich nicht bewegt worden war. Der Tragegurt lag zum Beispiel noch in der exakt gleichen Schlingung oben drauf. Das lege durchaus folgenden Schluss nahe, so der Gutachter: Das Bad war schon von Blutspitzern gereinigt, bevor Notarzt, Sanitäter und Polizei kamen. Als die Außenstehenden am Tatort waren, gab es keine Blutspuren zu sehen, außer einer kleinen Lache direkt neben dem Kopf der Leiche. Womöglich hatte der Täter also vorher geputzt. Doch auch das sei nicht mehr als eine Möglichkeit.

Auch in den Handschuhen des Angeklagten und am Lenker seines Fahrrads fanden sich Blutspuren. Aber der Angeklagte hat dafür eine Erklärung: Als er seine Frau leblos im Bad fand, habe er sie berührt und sei in Kontakt mit ihrem Blut gekommen. Später habe er dann seine Handschuhe zu seinem Fahrrad in der Garage gebracht. Für einen direkten, minimalen Blutspritzer auf der Brille des Angeklagten, gab es sogar zwei Erklärungen von ihm: Entweder sei das Tröpfchen am Tag vorher auf seiner Brille gekommen, als seine Frau Nasenbluten hatte. Oder es passierte, als er im Bad neben der Leiche seine Brille abnahm und von sich warf - was sein Nachbar bezeugte.

Weitere "diffuse Blutantragungen" stellte der Experte auf der Treppe zum Dachgeschoss, am Treppengeländer und an der Terrassentür zum Garten fest. Aus all diesen lasse sich aber ebenfalls kaum etwas ableiten. Nur möglicherweise habe es "eine Tatphase" auf der Treppe gegeben, aber das sei nicht mehr als eine Vermutung.

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