Süddeutsche Zeitung

Proteste in Erding:Windräder - Nein Danke

Der Bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger will verstärkt auf Windenergie setzen. Im Landkreis hält sich die Begeisterung in Grenzen. Dabei waren die Planungen für eine Anlage schon mal recht weit gediehen

Von Regina Bluhme, Erding

Der Ausbau der Windenergie ist in Bayern praktisch zum Erliegen gekommen. Gerade mal acht Windräder wurden im vergangenen Jahr gebaut, im Landkreis Erding steht kein einziges. Jetzt bläst der Bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) zum Angriff: 300 neue Anlagen sollen im Freistaat gebaut werden - wo, wann und wie steht allerdings noch nicht fest. Kommunen sollen jetzt erst einmal geeignete Standorte melden. Im Landkreis Erding wird Aiwanger mit seinen Plänen nicht weit kommen. Hier ist der Bau von Windkraftanlagen erst mal abgehakt.

Ärger und Enttäuschung klingt bei Johann Wiesmaier schon noch durch: "Wenn Sie mich persönlich fragen: Ich werde das Thema Windenergie sicher nicht vorantreiben", erklärt der langjährige CSU-Bürgermeister von Fraunberg und Vorsitzender des Erdinger Kreisverbands im Bayerischen Gemeindetag. Wiesmaier war bis vor kurzem auch Geschäftsführer der Energievision Landkreis Erding Projektentwicklungs (EVE) GmbH, die 2013 gegründet worden ist, um insbesondere die Nutzung der Windkraft zu fördern. Bis auf Langenpreising haben sich dort alle Gemeinden und Städte des Landkreises sowie einige Versorgungsunternehmen zusammengetan "Und wir haben uns richtig reingehängt", so Wiesmaier. Mühsam wurde ein Teilflächennutzungsplan ausgearbeitet, der auf Abstände zwischen 640 und 1000 Metern ausgelegt war. Dann kam 2014 die 10-H-Regelung in Bayern - und die Planung war Makulatur. Die EVE ist seitdem auf Solarenergie fokussiert.

Die 10-H-Regelung schreibt vor, dass der Mindestabstand eines Windrads zur vorhandenen Bebauung das Zehnfache seiner Höhe betragen muss. Für ein 200 Meter hohes Rad wären das zwei Kilometer. Im dicht besiedelten Freistaat ein Ding der Unmöglichkeit. "Herrn Staatsminister Aiwanger ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass 10H ja keine fixe Abstandsregel darstellt", schreibt die Pressestelle des Wirtschaftsministerium auf Nachfrage. Kommunen können im Zuge der Bauleitplanung darunter gehen, wenn Behörden und Öffentlichkeit am Verfahren beteiligt werden und keine Einwände dagegen haben. "Wo kein Kläger da kein Richter", aber Kläger werde es geben, ist Johann Wiesmaier überzeugt. "Wir haben damals bis zum Erbrechen mit den Leuten geredet". Jeder sei für Windkraftanlagen, aber keiner wolle ein Rad vor dem Haus stehen haben.

Auch der Privatmann, der in Neuching am Kreuzberg auf seinem Privatgrundstück das erste Windrad im Landkreis Erding bauen wollte, winkt ab. 2011 hatte der Neuchinger, der nicht mit Namen genannt werden will, den Bauantrag für ein Windrad am Kreuzberg auf einer Anhöhe bei Oberneuching eingereicht. Über Jahre hat er mit Gemeinde und Landkreis verhandelt, letztendlich lehnte das Landratsamt den Antrag ab. 2015 zog der Neuchinger deswegen vor das Verwaltungsgericht. Dann nahm er die Klage wieder zurück. Auch wegen des Protests vor Ort. 520 Unterschriften gegen den Bau hatte die Interessensgruppe Windkraft gesammelt.

Klaus Steiner, Geschäftsführer der Stadtwerke Dorfen und somit einer der EVE-Gesellschafter, sieht die Sache ähnlich. Selbst wenn die 10 H-Regelung fallen würde, "fallen die Proteste vor Ort nicht weg". Er verweist zudem auf einen anderen Punkt, der eher gegen eine Windkraftanlage im Landkreis Erding spricht: die Windhöffigkeit. Das ist die Kennzahl, wie viel Wind in einem Jahr durch ein Gebiet weht. Im Energieatlas des Landkreises Erding wird auch der Bau von Kleinwindanlagen (kleiner als 70 Kilowatt) für private Haushalte oder die Landwirtschaft nur für den Eigenbedarf an Strom empfohlen.

Klaus Steiner sieht für den Landkreis mehr Potenzial in der Nutzung der Sonne. Die Photovoltaik werde noch eine viel stärkere Rolle als bisher spielen, ist der Geschäftsführer der Stadtwerke überzeugt. Als neue Standorte für größere Anlagen könnten Randstreifen an der Autobahn genutzt werden. Gas werde als Brückentechnologie interessant für Zeiten der "Dunkelflaute", also wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Wobei Windenergie im Landkreis durchaus genutzt wird, zum Beispiel von den Stadtwerken Dorfen als Mitglied der Energieallianz Bayern mit Sitz in Hallbergmoos. 38 Unternehmen, meist bayerische kommunale Stadt- und Gemeindewerken, haben sich dort zusammengetan und Zugang zu Windparks.

Dabei hat Aiwangers Ministerium Großes vor. Auf der Homepage ist zu entnehmen, dass 2017 zur Stromerzeugung 4,5 Terrawattstunden (TWh) aus Windkraft beigesteuert wurden. Die Zielvorgabe bis 2030 lautet 16 TWh (eine Terrawattstunde bedeutet eine Milliarde Kilowattstunden). Johann Wiesmaier verweist darauf, dass der Landkreis ohnehin ganz gut dastehe. "Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von 124 Prozent aus erneuerbaren Energien." Dank Photovoltaik, Wasserkraft, Geothermie oder Biogasanlagen. Eine Frage sollte seiner Ansicht nach jetzt vor allem angegangen und gelöst werden: Wie die Energie in großem Stil gespeichert werden könne.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2019
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