Seniorenbetreuung:Private Pflegedienstleister am Limit

Seniorenbetreuung: Eine Pflegekraft begleitet die Bewohnerin eines Seniorenheims, doch für den persönlichen Kontakt bleibt oft zu wenig Zeit.

Eine Pflegekraft begleitet die Bewohnerin eines Seniorenheims, doch für den persönlichen Kontakt bleibt oft zu wenig Zeit.

(Foto: Sina Schuldt/dpa)

Die Einführung der Tarifpflicht und steigende Energiepreise bereiten auch den Einrichtungen im Landkreis Erding zunehmend Probleme - vom Personalmangel ganz zu schweigen.

Von Niklas Martin, Erding

"Ich weiß es nicht - ich weiß es ehrlich nicht, wie das weitergehen soll." Die Verzweiflung ist ihr ins Gesicht geschrieben. "Ich bin die Leiterin einer Pflegeeinrichtung hier in Erding." Mehr möchte sie zu ihrer Person nicht sagen, sie möchte anonym bleiben.. Dass es überhaupt für ein kurzes Gespräch gereicht hat, ist angesichts der Personallage als Glücksfall zu werten. "Mehr als kritisch", so bezeichnet sie die derzeitige Gesamtsituation ihrer Einrichtung: "Die Personalsituation ist das eine, die ist auch nicht neu. Was in den vergangenen Monaten uns zunehmend Probleme bereitet, sind erhebliche finanzielle Mehrbelastungen. Da kommt eine ganze Welle an Kosten auf uns zu."

Um dem Personalmangel in der Pflege dauerhaft entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung eine bundesweite Tarifpflicht eingeführt. Diese gilt seit dem 1. September und verpflichtet Arbeitgeber zu tariflicher Entlohnung oder einem ortsüblichen Vergleichslohn. Auch eine Lohnuntergrenze wurde festgelegt. Diese liegt bei 17,10 Euro pro Stunde für Fachkräfte und 13,70 Euro für Hilfskräfte.

Löhne, Energiepreise und Corona-Maßnahmen lassen die Kosten steigen

"Für uns führt das zu einer Steigerung der Lohnkosten um 20 bis 25 Prozent, während die Einnahmen gleich bleiben", sagt die Erdinger Heimleiterin. Dazu kommt, dass seit Juni die Zahlungen aus dem Corona-Rettungsschirm der Bundesregierung gestoppt wurden. Die Novelle des Infektionsschutzgesetzes verpflichtet Einrichtungen des Gesundheitswesens dazu, die Vorsorge weiterhin aufrecht zu erhalten - auf eigene Kosten.

Seit Jahresanfang verschärfen zudem die stark gestiegenen Energiepreise die finanziell angespannte Lage in der Pflege. "Wir sind vor allem ein ambulanter Pflegedienst, da haben wir einen nicht unerheblichen Spritkostenfaktor. Aber auch die Wohneinrichtungen müssen klimatisiert werden."

Private Pflegedienstleister bleiben bislang auf den Mehrkosten sitzen

Auf Hilfe habe sie vergeblich gehofft, klagt die Heimleiterin. Weder bei den gestiegenen Löhnen noch bei den Energiekosten würden sich die Pflegekassen in Bayern beteiligen. Erst zum Jahreswechsel werden neue Pflegesätze ausgegeben. Diese werden derzeit verhandelt.

An den Verhandlungen wirkt unter anderem Peter Haile, Geschäftsführer der Pflegestern gGmbH und Vorstandsmitglied im Bundesverband Privater Anbieter sozialer Dienste, mit. Im Landkreis Erding betreibt Pflegestern zum Beispiel in Oberding ein Seniorenzentrum. Auch Haile sieht die private Pflege "am Rande der Leistungsfähigkeit": "Wenn die Pflegekassen sich nicht stärker beteiligen, haben nicht nur wir als private Pflege ein Problem. Letztendlich trifft es unsere Bewohner."

Die Pflegedienste finanzieren sich anteilig aus Leistungen der Pflegekassen sowie Beiträgen der Bewohner. Wenn sich die Kassen nicht bewegen, könne das für den Einzelnen zu Preissteigerungen von mehr als 500 Euro pro Monat führen, warnt Haile. Generell beklagt er eine Unterfinanzierung durch die Pflegekassen: "Im Rahmen der Sachkostenpauschale erhalten wir beispielsweise, mit regionalen Variationen, zwischen vier und fünf Euro pro Person und Tag für die Verpflegung. Da sind Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie etwaige Zwischenmahlzeiten inbegriffen. Wir möchten den Bewohnern gute und gesunde Mahlzeiten anbieten. Für vier oder fünf Euro ist das schlichtweg nicht leistbar."

"Wir zahlen schon immer tariflich. Deshalb haben wir auch keine Probleme mit steigenden Lohnkosten."

Ganz anders sieht die Situation bei den kommunalen Pflegeheimen aus: "Wir zahlen schon immer tariflich. Deshalb haben wir auch keine Probleme mit steigenden Lohnkosten", sagt Marion Prey vom Marienstift in Dorfen. Die Klagen der privaten Pflegedienste kann sie nur bedingt nachvollziehen: "Die privaten Pflegedienstleister sind darauf angewiesen Gewinne zu machen. Und am Personal wurde halt schon immer gespart." Die Tarifpflicht war ihrer Ansicht nach "überfällig". Auch Haile ist für die Tarifpflicht. Doch das ändere nichts an der finanziellen Gesamtsituation. "Zwischen 60 und 70 Prozent der Gesamtkosten sind Personalkosten, wenn die steigen, und das natürlich aus gutem Grund, können das nicht allein die privaten Pflegedienstleister auffangen."

Auf die Personalnot in der Pflege hat die Einführung bundesweiter Tariflöhne bislang keinen nennenswerten Einfluss. Das bemängelt auch Prey: "Wir müssen eine 50-prozentige Fachkräftequote einhalten. Und drei- bis vierjährig ausgebildete Fachkräfte sind einfach rar, zumal bei steigendem Bedarf." Haile kritisiert: "Prozentual gesehen haben vor allem Hilfskräfte von der Tarifpflicht profitiert. Pflegefachkräfte, die wir dringend bräuchten, sind da schlechter weggekommen."

Neben der Bezahlung sind es vor allem aber die Arbeitsbedingungen, die viele von der Pflege abhalten. Das sehen auch zwei Pflegehelferinnen aus Erding so, die lieber anonym bleiben möchten: "Du kannst kein Privatleben planen, wenn du in der Pflege arbeitest. Wir behandeln Menschen und keine Maschinen. Und auch emotional nimmst du immer etwas mit nach Hause. An manchen Tagen geht es um Leben oder Sterben. Das schüttelst du nicht einfach an der Heimtür ab." Was sie dennoch in der Pflege hält? "Die Menschen hier sind meine Familie. Da hängt mein Herz dran. Ich kenn die Lebensgeschichte dieser Menschen. Zum Teil bin ich deren einzige Bezugsperson. Das ist eine Ehre und Bürde zugleich."

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