Porträt:Tote Kuh und scharfes Messer

Matthias "Moose" Böttcher hat vom Kameramann auf die Maßanfertigung von Lederwaren umgesattelt. Was er in seiner kleinen Werkstatt in Erding macht, ist auch geprägt von indianischen Einflüssen

Von Thomas Daller, Erding

Wer heute über 50 ist, der erinnert sich an die Advents- und Weihnachtszeit seiner Kindheit auch deswegen gerne zurück, weil es die Zeit der Abenteuerreihen in vier Teilen war, die immer um diese Jahreszeit im Fernsehen liefen: Der Kurier des Zaren, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, der Seewolf oder Lederstrumpf. Viele dieser Mehrteiler haben bis heute nichts von ihrem Charme eingebüßt und manche Zuschauer wurden dadurch fürs Leben geprägt. Bei Matthias Böttcher, 52, war es der Lederstrumpf nach dem Romanzyklus des amerikanischen Schriftstellers James Fenimore Cooper: "Das waren Kumpels, die da draußen in der Wildnis ihr Ding gemacht haben." Und Böttcher zieht auch "sein Ding" durch: Der ehemalige Kameramann fertigt in seiner Werkstatt in der Münchener Straße 98 Lederwaren an. Die Fertigkeiten hat er sich unter anderem bei Indianern in den USA und Kanada erworben.

Bereits seit 1993, als er noch Kameramann war, hat er sich mit Lederverarbeitung beschäftigt. Nebenher war er viel auf Reisen, unter anderem hat er sich auch mit dem Gedanken getragen, nach Kanada auszuwandern. Geprägt hat ihn vor allem eine 28 Monate lange Tour durch die USA und Kanada. Fast 200 000 Kilometer war er damals mit seiner Frau unterwegs und dabei hat er auch Indianerinnen kennengelernt, die Büffel- und Elchleder nähen konnten. Mokassins und Bekleidung zu nähen sei bei Indianern Frauenarbeit, erläutert Böttcher. "Und es ist eine unheimliche Ehre, wenn diese starken Frauen dich in ihren Kreis aufnehmen und sich deine Arbeiten ansehen." Darüber hinaus haben ihn auch die Natur und die Tierwelt in Kanada fasziniert, insbesondere der Elch, dort "Moose" genannt. Und weil Böttcher den Elch so cool fand, blieb das als Spitzname an ihm hängen: Cool Moose. "Coolmoose Visions" hat er daher auch sein Label genannt.

In Handarbeit bezieht er Autositze und Motorradsättel mit Leder, fertigt Köcher und Holster an oder stellt Gürtel im indianischen Stil her. Die größte Nachfrage herrscht allerdings nach seinen Taschen: Fahrradtaschen, Tankrucksäcke fürs Motorrad oder strapazierfähige Umhängetaschen. Vor allem Besitzer von teuren Retrofahrrädern oder Motorrädern im alten Stil schätzen seine Arbeit. "Viele Kunden werden von den Bikebauern zu mir geschickt: fahr zu Moose", sagt Böttcher. Auch das British Motorcycle Museum in Birmingham sei an einer Kooperation interessiert: Deren Motorräder aus dem Ersten Weltkrieg seien zwar mechanisch noch gut in Schuss, aber die alten Ledersättel müssten dringend erneuert werden.

Böttcher sagt, er lebe von Empfehlungen, Werbung mache er lediglich auf Messen und Märkten. Im Internet ist er zwar mit einer Homepage vertreten, aber die sei längst nicht mehr zeitgemäß. Er habe auch mal erwogen, in Erding einen Laden aufzumachen. Aber dann müsste er auch noch die Ladenmiete erwirtschaften und damit würde er sich selbst finanziell unter Druck setzen. Da sei es ihm lieber, er bleibe in seiner kleinen Werkstatt und könne die Dinge ruhig angehen.

Moose Böttcher legt viel Wert auf gutes Leder und kauft es nur bei einem Händler seines Vertrauens. Dabei handelt es sich überwiegend um Rindshäute aus Südamerika. Er hat auch schon andere Ware probiert, aber war oftmals nicht mit der Qualität zufrieden: "Es gibt Häute, wenn du die auf dem Tisch aufrollst, dann brennen dir die Augen." Denn oftmals wird beim Gerben zu viel Chromsalz eingesetzt, so dass überschüssiges Chromat im Leder bleibt. Neben dem weichen Rindsleder, dass er vor allem für Taschen verwendet, nimmt er auch Elch oder Hirsch, wenn er Stücke indianischer Machart anfertigt.

Auf Messen oder Märkten hat er immer einige Ausstellungsstücke dabei, die als Modelle dienen. Kunden wählen dann dieses oder jenes aus und variieren es nach ihren Wünschen: größer, kleiner, dunkler, heller, andere Nieten und Verschlüsse. Dann macht sich Böttcher ans Werk. Es dauert dann schon mal drei bis vier Wochen, bis das Einzelstück fertig ist. Vom Zuschnitt über das Nähen bis zum Schleifen und Färben dauert so ein Unikat seine Zeit. Gefragt sind insbesondere Taschen, die zwar neu sind, aber bei denen das Leder eine Patina hat, die es normalerweise erst nach Jahren oder Jahrzehnten ansetzt. "Viele Leute wollen etwas Neues, das alt aussieht." Auch ihm gefallen solche Stücke: "Am Färben habe ich den meisten Spaß." Hinzu kommt, dass nach zwei Farbaufträgen das Leder geschliffen wird, gewachst und poliert. Dann ist die Tasche auch relativ wasserdicht. Etwa eine halbe Stunde könne man sie einem Platzregen aussetzen, ohne dass Wasser ins Innere gelange. Aber alles hat seine Grenzen: "Wasserdichtes Leder nennt man Plastik."

Von jedem dieser Einzelstücke fertigt Moose Holzleisten an, damit er sie bei Bedarf reproduzieren kann. Solide und robust müssen seine Taschen sein, darauf legt er Wert. Wenn man sie mit Steinen oder Blei füllt, müssen sie auch das aushalten können, ohne dass eine Naht reißt. Deshalb favorisiert er "einfache und gerade Lösungen". Das bedeutet aber auch, dass er festes und strapazierfähiges Leder verwendet, für das man sowohl scharfe als auch spitze Werkzeuge benötigt. Da kann es schon mal vorkommen, dass er sich mit der Ledernähmaschine durch den Daumen näht oder sich mit einem Messer in die Hand schneidet: "Auf jedem Werkstück von mir findet man eine DNA-Spur."

Der gebürtige Hamburger, der ein St. Pauli-Fan ist und gerne Zigarren raucht, interessiert sich ferner auch für Völkerkunde. Die entsprechenden Museen hat er sich nicht allein in Nordamerika angesehen, sondern besucht auch Ausstellungen in Deutschland. "Das habe ich als Kind schon gerne gemacht. Es fasziniert mich, wie man mit einfachen Mitteln Dinge herstellen kann. Früher hatte man noch nicht so viele Möglichkeiten. Manchmal nur eine tote Kuh und ein scharfes Messer."

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