Süddeutsche Zeitung

Pliening:Zeugnisse der Vergangenheit

Nach dem Tod des Gründers und Vorsitzenden Stefan Seizl sucht der Heimatverein einen Nachfolger. An diesem Freitag, wenn die Mitglieder zusammenkommen, könnte sich entscheiden, ob der Verein eine Zukunft hat

Von Alexandra Leuthner

Der Schock war groß, als im August die Nachricht vom plötzlichen Tod Stefan Seizls kam. Der ehemalige Gemeinderat und Vorsitzende der Wählergemeinschaft Alternative für Pliening, Gründer und Vorsitzender des Heimatvereins, war mit dem Motorrad verunglückt. Er war gerade auf dem Weg zur Schatzmeisterin, um etwas zu erledigen. Von jetzt auf gleich musste der Verein nun ohne den Mann auskommen, der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens war. "Der Stefan, der hat so eine Art gehabt, der hat gesagt, komm, mach ma' schnell. Und dann bist du mitgegangen. Und es hat funktioniert."

Der das erzählt, ist Werner Erhard. Seine Frau Beate ist stellvertretende Vorsitzende, weil Seizl sie vor einigen Jahren darum gebeten hatte. Er selbst ist zwar ohne Funktion im Verein, aber einer von denen, die viel Arbeit hineingesteckt haben, um all das zu bewahren, was Seizl und eine kleine Gruppe in Pliening angestoßen haben, darunter Heimatforscher Willi Kneißl und der ebenfalls verstorbene frühere Zweite Vorstand Ludwig Bichler. An die 600 Objekte wurden inzwischen gesammelt - und es existieren viele Ideen, was man damit anfangen könnte. Wenn Erhard durch das Lager im ehemaligen Wasserhaus schlendert, findet er kaum ein Ende vor lauter Zeigen und Erklären. Wobei der Besucher über all den Reminiszenzen an vergangene Zeiten ins Staunen gerät.

Der Duft nach Leder und Schuhwichse hängt schwer in der Luft. In einer Ecke ist die Werkstatt eines Schusters wiederaufgebaut, die der Heimatverein komplett hergerichtet und sogar mit einem Dachrahmen aus alten Holzbalken versehen hat. Zangen, Hämmer, Formeisen und Ahlen hängen fein säuberlich an einem Regal, aus dem unbearbeitete Lederstücke herausragen. Ein gelernter Schuster könnte sich hier sofort ans Werk machen, sich auf den niedrigen Schemel an die Werkbank setzen, das Leder an einer der alten fußbetriebenen Singernähmaschinen mit Nähten versehen. Eisenbeschlagene Schuhe, wie sie die Holzknechte früher trugen, liegen auf dem Tisch bereit wie zur Abholung, handgefertigte Stiefel und Halbschuhe fein säuberlich aufgereiht auf Regalen darüber. "Da haben sich ein paar Frauen aus dem Verein stundenlang hingesetzt und sie poliert, bis sie so ausgesehen haben", erzählt Erhard. Die Tochter von Wilhelm Eberl, einem Landshamer Schuster, hatte dem Heimatverein die gesamte Werkstatteinrichtung ihres Vaters überlassen. Über dem Zugang hängt noch ein kleines Schild, auf das er seine Arbeitszeiten geschrieben hat: "Geschäftszeit 1/2 7 bis 12 Uhr, 1 bis 7 Uhr" steht darauf.

Ein ganzes Haus könnte man ausstatten mit all dem, was hier gelagert ist. Aus der ehemaligen Landshamer Schule stammt eine Holzbank, mit hochklappbaren Sitzen. In den vorgefertigten Spalten am Tischrand stecken noch die alten Schiefertafeln, ein Kästchen zum Buchstabenlernen steht daneben. Auch ein Lehrerpult ist erhalten, dazu große Schultafeln. Eine Orgel und ein antikes Klavier, eine ganze Bauernstube, Schränke, Anrichten wie zu Großmutters Zeiten. Dazu unzähliges Kleinzeug wie hölzerne Mistgabeln und Pflugscharen, blecherne Milchkannen und Waschzuber, antiquierte Kinderwagen und alte Schreibmaschinen, eiserne Bügeleisen und ein Radio, das schon in den fünfziger Jahren sein Rauschen in den Äther geschickt haben dürfte. Es seien im Ferienprogramm der EIP (Elterninitiative Pliening) schon Kinder hier gewesen, denen Vereinsmitglieder anhand der alten Dinge aus der Vergangenheit erzählt hätten. "Die haben keinen Ton gesagt und nur zugehört", berichtet Erhard. "Und sie waren völlig überrascht davon, wie die Menschen früher ohne Telefon auskommen konnten."

Vieles hat der Verein vorgehabt, das ins Stocken gekommen ist. An diesem Freitag, 24. Mai, will man endlich einen Nachfolger für Stefan Seizl bestimmen. 62 Mitglieder sind es derzeit, 21 waren es am Anfang, berichtet Schatzmeisterin Erni Eder, auch sie ist seit der allerersten Stunde dabei. Doch wer Seizls Job machen soll, weiß bisher keiner. "Es geht jetzt erst mal darum: Schafft es der Verein, dass er weitermacht?", sagt Erhard. "Leute, die anpacken, davon haben wir genug, aber wir brauchen jemand, der den Vorsitz übernimmt. Im juristischen Sinne halt." Aber natürlich, "Interesse sollte er schon auch haben". Und ein bisschen jünger sein, findet Erni Eder, damit die Arbeit der vergangenen sieben Jahre nicht umsonst war. "Es sollte doch möglich sein, dass auch die junge Generation Interesse an der eigenen Geschichte hat."

Immerhin hat der Heimatverein inzwischen die Zusage der Gemeinde für einen eigenen Raum im ersten Stock der alten Schule in Gelting, wenn die einmal umgebaut ist. Die Planung ist genehmigt, die Lagerung im Wasserhaus ja nur eine Zwischenlösung. Eigentlich hatten Vereinsgründer Seizl und seine Mitstreiter davon geträumt, in der mehr als hundert Jahre alten Landshamer Brennerei eine Art Heimatmuseum einzurichten. Die Abrissbirne kam ihnen zuvor, der Traum verwandelte sich in einen Berg aus Schutt und Staub. Das Vizenhäusl zurück zu holen, ein Gebäude, das früher am Plieninger Herdweg stand und als typisches Beispiel für die Architektur der Münchner Schotterebene im Freilichtmuseum Glentleiten gelagert ist, ist auch so einer dieser Träume.

In der Geltinger Schule könne man zumindest wechselnde Ausstellungen unterbringen, erklärt Erhard. Glasvitrinen zur Präsentation kleinerer Stücke wie alte Schulbücher oder Geschirr gibt es bereits, sie warten im Wasserhaus auf ihren Einsatz. Bis dahin widmet sich der Verein der Bewahrung und Pflege seiner Sammlung. Nichts dürfe verändert werden an den alten Dingen, erklärt Erhard, "sonst sind sie nichts mehr wert". Polieren, Putzen, Säubern und vielleicht an der ein oder anderen Stelle instand setzen, mehr können die Aktiven im Moment nicht tun. Und dafür sorgen, dass die vielen papierenen Zeugnisse der Vergangenheit nicht der Feuchtigkeit zum Opfer fallen, die in den provisorischen Lagerräumen herrscht. Einiges davon dürften sie vorübergehend bei anderen Vereinen unterbringen, wie etwa die Zensurbücher aus der Landshamer Grundschule, die komplett bis zurück ins Jahr 1900 vorhanden sind. Wäre doch schade, wenn der Eintrag in ein - außerordentlich ordentlich geführtes - Seizlsches Schulheft eines Tages nicht mehr lesbar wäre: "Mehr Bemühen", steht da geschrieben.

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Quelle:
SZ vom 24.05.2019
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