Pflegestärkungsgesetz II:So lange wie möglich zu Hause

Pflegestärkungsgesetz II: Menschen mit mittlerem Pflegebedarf werden für eine Heimplatz mehr Eigenanteil zahlen müssen.

Menschen mit mittlerem Pflegebedarf werden für eine Heimplatz mehr Eigenanteil zahlen müssen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Eine Gesetzesreform fördert die ambulante Pflege. Vor allem Demenzkranke profitieren davon. In Heimen sollen langfristig nur noch Menschen mit hoher und höchster Pflegebedürftigkeit leben

Von Sophia Neukirchner, Erding

Das System der Pflegeversicherung ist zum 1. Januar umgestellt worden. Ab sofort gibt es fünf Pflegegrade statt wie bisher drei Pflegestufen. Wesentlich sind jedoch zwei grundlegende Änderungen: Die Unterscheidung zwischen Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen und Pflegebedürftigen mit kognitiven und psychischen Handicaps fällt weg. Das bedeutet vor allem, dass mehr Demenzkranke als bislang als pflegebedürftig anerkannt werden. Zudem soll die ambulante Pflege deutlich gestärkt werden. Menschen, die zu Hause versorgt werden, erhalten fortan mehr Geld. Allerdings gibt es ein Problem: Es fehlt überall an Pflegekräften, auch im Landkreis Erding.

"Wir rechnen im ersten Jahr der Umstellung mit 30 000 mehr Pflegebedürftigen in Bayern", sagt Winfried Fischer, Leiter der Pflegebegutachtung des Medizinischen Diensts der Krankenversicherungen (MDK). Runter gerechnet sollte die Zahl der Pflegebedürftigen im Landkreis Erding also um etwa 300 Menschen steigen. Der MDK ist dafür zuständig, die Pflegebedürftigkeit eines Antragstellers zu beurteilen. Bisher war wichtig, wie viele Minuten die Grundpflege, etwa fürs Waschen und Anziehen, dauert. "Nun gehen wir weg von der Minutenzählerei", erklärt Fischer, "wir wollen wissen, wie selbstständig ein Mensch ist. Künftig ist wichtig, wie mobil einer ist, wie sehr er seinen Alltag noch selbst gestaltet oder ob er Probleme mit der Medikamenteneinnahme hat.

"Das neue Pflegegesetz zielt deutlich darauf ab, die ambulante Pflege zu fördern", sagt Fischer. Das sei richtig, denn "die Menschen wollen so lange wie möglich in ihrer eignen Häuslichkeit bleiben." Frühzeitige Unterstützung soll das sicherstellen. Deshalb gibt es im neuen Pflegegrad 1 bis zu 125 Euro monatlich für Beratungs- und Betreuungsangebote wie etwa die Teilnahme an den Nachmittagstreffen der Caritas für Demenzkranke. Die gibt es schon seit 16 Jahren, mittlerweile an zwei Tagen in der Woche in Erding und je einmal pro Woche in Dorfen und Taufkirchen; zwei Stunden kosten 14 Euro. "Während der Treffen wird bei Kaffee und Kuchen gesellig beieinander gesessen und es werden Spiele gespielt", erklärt Alfons Kühnstetter, Leiter der sozialpsychiatrischen Dienste der Caritas in Erding. Das gemeinsame Erinnern und Interagieren kann helfen, den fortschreitenden Prozess der Demenzerkrankung zu verlangsamen.

Wenn die häusliche Pflege an ihre Grenzen stößt, wird es allerdings teurer: Die Pflegeversicherung zahlt bei mittlerer Pflegebedürftigkeit weniger Geld für einen Heimplatz als bislang, die Eigenbeteiligung der Bewohner wird also größer. Das gilt jedoch nur für die, die neu in ein Pflegeheim ziehen. Wer schon im Heim ist, für den gilt Bestandsschutz, sein Eigenanteil wird nicht erhöht. Dennoch: Längerfristig sollen in den Pflegeheimen nur noch Menschen mit hoher und höchster Pflegebedürftigkeit leben. Damit geht jedoch ein weiteres Problem einher, sagt Georg Edenhofer, Leiter des Seniorenheims Heiliggeist-Stift in Erding: die Versorgung von Patienten mit einem höheren Pflegeaufwand erfordert mehr Personal: "Wenn es aber nicht genug Fachkräfte gibt, müssen Heimplätze leer bleiben" - was für Pflegeheime finanziell problematisch ist.

"Menschen mit Pflegegrad 2 und 3 sollen künftig zu Hause gepflegt werden", weiß auch der Erdinger Stadtrat Willi Scheib (SPD), der Beiratsvorsitzender der AOK Erding und Seniorenvertreter im Kreisverband des Deutschen Gewerkschaftbundes ist. Scheib sieht das kritisch: "Wir haben nicht ausreichend Pflegedienste, was zum Problem für die Angehörigen werden kann." Zwar sieht die Pflegereform vor, mehr Betreuungskräfte für niederschwellige Angebote zu schulen, "aber der tatsächliche Pflegebedarf kann so nicht gedeckt werden", sagt Scheib.

Bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sind im Landkreis Erding 32 ambulante sozialpflegerische Dienste gemeldet. Die Zahl der Neugründung ist gering: im vergangenen Jahr gab es zwei und in 2015 nur eine Neuanmeldung. Die Neugründung eines ambulanten Pflegeunternehmens werde einem nicht leicht gemacht, sagt Andreas Wirth, der sich 2014 mit seinem Pflegedienst Apollonia selbstständig gemacht hat. Sein Team betreut täglich etwa 100 Patienten in den Landkreisen Erding und Ebersberg. "Manchmal können wir nicht alle Patienten aufnehmen, die nachfragen." Hinzu kommt der Mangel an qualifizierten Pflegekräften. Wirth macht dafür mehrere Umstände verantwortlich: Zum einen würden noch immer zu wenige Menschen zu Pflegern ausgebildet. Zum anderen führten der physische und psychische Leistungsdruck und die geringen Verdienstmöglichkeiten dazu, dass viele Pfleger nach der Ausbildung nur wenige Jahre in ihrem Beruf arbeiteten.

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