Bei der 15. Weltnaturkonferenz in Montreal hat sich die Weltgemeinschaft, wie es manchmal so pathetisch heißt, vor wenigen Wochen darauf verständigt, mehr für die Biodiversität auf der Welt zu tun. Dass man auf lokaler Ebene und in Eigeninitiative auch mit relativ kleinen Projekten etwas für die Artenvielfalt tun kann, beweist der Erdinger Kreisverband des Bund Naturschutz (BN) unter anderem mit seiner Blühwiesen in Notzing. Auf einer Fläche von etwa 6000 Quadratmetern ist eine ehemalige Ackerfläche zu einer artenreichen Wiese renaturiert worden. Die Wiese ist im vergangenen Jahr in ein bundesweites Forschungsprojekt aufgenommen worden, an dem mehrere Universitäten und Institute beteiligt sind. Über einen längeren Zeitraum wird die Notzinger BN-Wiese wissenschaftlich begleitet. Die ersten Ergebnisse der Untersuchung zur Artenvielfalt sind vielversprechend.
Miriam Wiesmeier ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Renaturierungsökologie der TU München in Freising-Weihenstephan. Sie ist noch zurückhaltend mit einer Bewertung, wie gut es auf der BN-Wiese in Notzing läuft. Sie untersucht, welche Arten von Tagfaltern und Wildbienen sich auf der Wiese tummeln. Die Auswertung der von ihr und Kolleginnen bei mehreren "ökologischen Feldaufnahmen" gesichteten Arten sei noch nicht abgeschlossen. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwer zu sagen, ob sich die Wiese besser oder schlechter entwickelt hat, als vergleichbare andere Renaturierungsprojekte." Das ist das große Ziel des Forschungsprojekts Grassworks, bei dem deutschlandweit die Entwicklung von Dutzenden renaturierter Wiesenflächen analysiert wird: Wie klappt es mit der Renaturierung am besten, wo läuft richtig gut und warum funktioniert es anderswo nicht so gut? Eines aber könne man dennoch schon jetzt zur Notzinger BN-Wiese in Sachen Artenvielflat sagen, sagt Miriam Wiesmeier: "Es ist definitiv eine Verbesserung zu früher, als hier Kartoffeln und Mais wuchsen."
Der Oberdinger BN-Vorsitzende Wolfgang Fritz ist bereits richtig euphorisch. Er findet es großartig, dass sich in nur drei Jahren aus einer Ackerfläche eine Wiese entwickelt hat, die Lebensraum für anderswo selten gewordenen Tierarten bietet. Miriam Wiesmeier und ihrer Kolleginnen haben mit der Autorität von Wissenschaftlerinnen bestätigt, was er selbst schon beobachtet und notiert hat. Auf der Notzinger Wiese sind eine ganze Reihe von Schmetterlingen anzutreffen, nicht nur so genannte Allerweltarten wie Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs und Kohl-Weißlinge, sondern auch seltene Arten wie Schornsteinfeger, Kleines Wiesenvögelchen, Wander-Gelbling, Hauhechl-Bläuling und Grünader-Weißling. "Das ist das gute Zeichen", sagt Fritz, "dass die Renaturierung so schnell angenommen worden ist."
Woher die Schmetterlinge angeflogen sind, wissen auch die Wissenschaftlerinnen nicht. Tagfalter haben eine recht großen Aktionsradius, sagt Miriam Wiesmeier. Vielleicht kommen sie vom Hang des Isarkanals, von Feldrainen oder aus Privatgärten. Jetzt waren sie auf alle Fälle auch da, wo man ihnen ein Angebot mit Wildblumen gemacht hat. Das ist auch schon mal ein positives Ergebnis: Die Notzinger BN-Wiese zeigt, dass es sich lohnt, ökologische Inseln mitten in einer intensiv genutzten landwirtschaftlichen Umgebung zu schaffen.
Wolfgang Fritz und seine Mitstreiterinnen vom Bund Naturschutz dürfen sich auch über die positive Entwicklung ihrer Wiese freuen, weil ihr Projekt bislang keineswegs nur auf Zustimmung, sondern auch auf viel Skepsis gestoßen ist. 2019 war dem BN die rund 6000 Quadratmeter große Fläche vom Eigentümer angeboten worden. Bis dahin waren auf dem Ackerstück Kartoffeln, Getreide und Mais gewachsen. Mit autochthonem Saatgut der Firma Krimmer aus Freising, das nur Samen von Gräßern und Wildblumen enthält, die in der Region heimisch und vorhanden sind, wurde der Acker 2020 zur Wiese. Die BN-Miglieder legten zudem sechs Gehölz-Inseln mit verschiedenen Sträuchern an, um auch ein naturnahes Angebot für Vögel zu machen, und säten einen Streifen mit seltenen Ackerkräuter an.
Beim Grassworks-Projekt geht es auch um sozio-ökonomische Aspekte
Ende Juli 2020 blühten Mohnblumen und rote und weiße Lichtnelken, später Gelbe Schafgarbe und Wilde Möhre. Im August wurde das Feld abgemäht. Sonst hätten sich die Beikräuter breitgemacht, erklärte damals Fritz im Oberdinger Gemeinderat, wo er um finanzielle Unterstützung für das Renaturierungsprojekt warb. Nicht alle Gemeinderäte waren begeistert. Die Wiese sei zum falschen Zeitpunkt und mit der falschen Methode gemäht wurden, wurde moniert. Es gab auch Stimmen, die bezweifelten, ob auf dem Areal im Folgejahr noch etwas von dem Saatgut, das einigen ohnehin viel zu teuer erschien, aufgehen werde. Ganz knapp, mit neun zu neun Stimmen, wurde der beantragte Zuschuss in Höhe von 1000 Euro abgelehnt.
Die Anlage der Notzinger BN-Wiese habe etwa 2000 Euro gekostet, sagt Fritz. Die Folgekosten seien seitdem niedrig, denn das abgemähte Heu werde als hochwertiges Pferdefutter verwendet.
Auch unter diesen Gesichtspunkten ist die BN-Wiese ein so ideales Forschungsobjekt. Denn beim Grassworks-Projekt geht es auch um sozio-ökonomische Aspekte: Wie ist das Renaturierungsprojekt entstanden? Von wem wurde es initiiert? Wie viel kostet es? Wie ist es mit der Akzeptanz und Unterstützung? Grassworks geht auf eine Initiative des Bundesforschungsministeriums zurück und wird vom Bund voll finanziert. Federführende Projektleiterin ist Professorin Vicky Temperton von der Leuphana Universität Lüneburg.