Oberding/Hallbergmoos:Das Pfefferminzdorf lebt

Schwaigermoos gibt es nicht mehr. Aber ein Buch hält die Erinnerung wach: Die Gräber- und Sterbebilder-Chronik von Waltraud Franzspeck

Von Regina Bluhme, Oberding/Hallbergmoos

Die englische Pfefferminze gedeiht prächtig rund um den Weiler Schwaigermoos im Landkreis Erding, damals in den Fünfziger Jahren. Die duftenden Teefelder, die Äcker und Moore sind längst verschwunden, die Wohnhäuser und landwirtschaftlichen Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flughafen München verlassen. Aber Schwaigermoos lebt weiter und das hat viel mit der Hartnäckigkeit von Waltraud Franzspeck aus Hallbergmoos zu tun. Dank akribischer Recherche und mitunter detektivischem Spürsinn hat sie eine Chronik der Verstorbenen von Schwaigermoos herausgebracht mit Sterbebildern und Fotos der Grabstätten. Eine lebendige Erinnerung an die einst 42 Familien ihres Heimatorts.

Als 1992 der Flughafen München im Erdinger Moos in Betrieb ging, verließ ein Bewohner nach dem anderen Schwaigermoos. Waltraud Franzspeck war 18 Jahre alt, als sie wegzog. Vergessen hat sie ihren Heimatort nie. Ab und zu fährt sie mit ihrem Mann Johann, mit dem sie seit 49 Jahren in Hallbergmoos im Nachbarlandkreis Freising lebt, die Birkenstraße und die Süßbachstraße entlang, vorbei an baufälligen, überwucherten Ruinen, verwilderten Gärten und verlassenen Ställen. Von ihrem Elternhaus ist nichts mehr zu sehen, aber sie weiß ganz genau, wo es gestanden hat.

Oberding/Hallbergmoos: Johann und Waltraud Franzspeck (rechts) sind ein eingespieltes Team.

Johann und Waltraud Franzspeck (rechts) sind ein eingespieltes Team.

(Foto: Renate Schmidt)

Sie habe für ihr Projekt sehr viel Unterstützung von ehemaligen "Schwaigermöslern" erhalten, erzählt Waltraud Franzspeck. Diese hätten ihr noch viele, teils sehr alte Sterbebilder und Unterlagen überlassen. So kam Waltraud Franzspeck auch ganz unverhofft an das Sterbebild ihrer Großmutter. Es stammt aus dem Jahr 1953: "Zur Frommen Erinnerung im Gebete an die ehrengeachtete Frau Walburga Bauer, geb. Scharl, Landwirtsgattin von Schwaigermoos".

Die Sterbebildchen sind auch ein Stück Zeitgeschichte. Eines stammt aus dem Jahr 1915 und erinnert an die "Gütlersgattin" Magdalena Kratzer. Es gibt Gütler und es gibt Hausbesitzer, Landwirtswitwen und Austragslandwirte, gedacht wird der Mooswirtsmutter, dem Daurervater, dem Mooskramer und dem Cafébesitzer Braun. Ja, ein Café hat es mal in Schwaigermoos gegeben, Schule und Kirche waren allerdings im Nachbarort Eittingermoos. Eines der jüngsten erinnert an Hedwig Roßgoderer, die 2019 verstorben ist und die sich bis zuletzt weigerte, aus Schwaigermoos wegzuziehen, auch wenn die geplante (und inzwischen auf Eis gelegte) dritte Startbahn nur 100 Meter hinter ihrem Wohnhaus verlaufen würde.

Oberding/Hallbergmoos: Die Gräber- und Sterbebilderchronik stellt auch ein interessantes Zeitdokument dar.

Die Gräber- und Sterbebilderchronik stellt auch ein interessantes Zeitdokument dar.

(Foto: Renate Schmidt)

"Wenn man auf einer Beerdigung ist, nimmt man in der Regel ein Sterbebild mit. Dies kommt dann meistens in eine Sammelbox und liegt dort. So auch bei mir", erzählt Waltraud Franzspeck. Sie besitzt sehr viele Sterbebilder von den Bewohnern des Schwaigermooses, einen großen roten Karton voll. 2017 begann sie die Bildchen zu laminieren und in zwei Ordner den einzelnen Familien zu zuordnen. "Der nächste Schritt war, die letzte Ruhestätte der Schwaigermösler zu suchen und die Gräber zu fotografieren", so Waltraud Franzspeck.

So kam es, dass Waltraud und Johann Franz immer öfter Ausflüge auf Friedhöfe unternahmen. Dabei sind sie auf den Spuren der Verstorbenen ganz schön herum gekommen. Von Kirchweidach im Landkreis Altötting bis Hebertshausen/Ampermoching im Landkreis Dachau, vom Waldfriedhof München bis Volkenschwand in der Verwaltungsgemeinschaft Mainburg, Kreis Kelheim, von Rappoltskirchen im Landkreis Erding bis Aschau am Inn im Landkreis Mühldorf, von Rottau bei Bernau am Chiemsee zu den umliegenden Friedhöfen in den Landkreisen Erding und Freising, kurz: überall, wo die Schwaigermösler eine neue Heimat gefunden haben und beerdigt wurden. Dabei war es oft gar nicht einfach das Grab zu finden, "manchmal sind wir ganz schön herum geirrt", erinnert sich Johann Franzspeck.

Oberding/Hallbergmoos: Gemeinsame Ausflüge führten Johann und Waltraud Franzspeck zu Recherchezwecken immer wieder auf Friedhöfe.

Gemeinsame Ausflüge führten Johann und Waltraud Franzspeck zu Recherchezwecken immer wieder auf Friedhöfe.

(Foto: Renate Schmidt)

Jede Familie von Schwaigermoos besitzt in der Chronik ein eigenes Deckblatt mit dem Familiennamen, der ehemaligen Adresse in Schwaigermoos und dem Ort der Grabstätte. Ein gemalter Rohrkolben soll ans Moos erinnern. Zudem hat Waltraud Franzspeck eine leere Extraseite für jede Familie eingefügt, damit diese die Chronik selber weiterergänzen können. Stolz sei sie schon auf das Buch, sagt Waltraud Franzspeck, aber am allermeisten freue sie sich, dass Schwaigermoos nicht vergessen werde, weder die verschwundene Ortschaft noch seine ehemaligen Bewohner. Im kommenden Jahr will sie wieder ein "Möslertreffen" organisieren. Beim letzten Treffen im Jahr 2017 kamen über 200 Menschen zusammen. Darunter waren auch einige jüngere Besucher, die sich für ihre Familiengeschichte und Herkunft interessierten

2016 hat Waltraud Franzspeck zusammen mit Hildegard Zörr, ebenfalls in Schwaigermoos aufgewachsen, und dem inzwischen verstorbenen Oberdinger Heimatarchivar Georg Gruber bereits alle früheren Anwesen von Schwaigermoos und ihre Besitzer in einer Chronik festgehalten. Ein ganzes Dorf auf 164 Seiten. Waltraud Franzspeck ist dieses erste Buch sehr wichtig, sie habe auch zeigen wollen, "dass hier einmal ein lebendige Gemeinschaft war". Jetzt hat sie für Teil zwei gesorgt: Die Chronik der Verstorbenen. Auch sie sollen nicht vergessen werden.

Gräber- und Sterbebilder-Chronik. Im Gedenken an die Verstorbenen unserer Heimat Schwaigermoos. Herausgeben von Waltraud Franzspeck. Die Chronik ist zum Preis von 35 Euro bei der Gemeinde Oberding, Tassiloweg 17, Oberding, erhältlich oder bei Waltraud Franzspeck, Theresienstraße 15a, 85399 Hallbergmoos.

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