Oberding:Gemeißelte Geschichte

Oberding: Ein Bild mit Geschichte: Thomas Scherer und der Kilometerstein von Notzingermoos.

Ein Bild mit Geschichte: Thomas Scherer und der Kilometerstein von Notzingermoos.

(Foto: Archiv Manfred Hillen/oh)

Ein Kilometerstein, der jahrzehntelang verschwunden war, ist in einer Kiesgrube aufgetaucht. Man kann ihn einem bekannten alten Foto zuordnen. In Notzingermoos soll er nun aufgestellt werden

Von Regina Bluhme, Oberding

Thomas Scherer macht gerade Brotzeit, als der Fotograf abdrückt. Das Gesicht des Landwirts aus Notzingermoos ist fast schwarz von der staubigen Feldarbeit. Mit Zigarette im Mundwinkel und baumelnden Beinen sitzt Scherer auf einem hohen, weißen Stein. "10 Km nach Erding" ist dort eingraviert. Das Foto, das wahrscheinlich aus den Fünfzigerjahren stammt, gibt es noch, der Kilometerstein war jahrzehntelang verschwunden. Vor zwei Jahren kam der Stein in einer Kiesgrube plötzlich wieder zum Vorschein. Er wurde gereinigt, renoviert und vor Kurzem an der Goldacher Straße wieder aufgestellt. Ende Mai es eine kleine "Heimkehrfeier" geplant.

Maria Kink ist die Tochter von Thomas Scherer. Das Foto vom Vater auf dem Kilometerstein hängt noch immer Zuhause an der Wand. Sie kennt die Geschichte des Bildes: Geschossen hat es der damalige Lehrer von Goldach, berichtet sie. Der fuhr zufällig an den mit Drescharbeit beschäftigten Landwirten vorbei, musste durch die Staubwolke hindurch und entdeckte dann Thomas Scherer mit seinem fast schwarzen Gesicht. Offensichtlich hat ihn das so beeindruckt, dass er nochmals zurückgekommen ist und den Landwirt mit der Kamera verewigt hat. So erzählt es Maria Kink.

Es ist ein gutes Foto geworden. Der Mann mit dem dunklen Gesicht auf dem schneeweißen Stein blickt dem Betrachter selbstbewusst, fast spöttisch entgegen. Kein Wunder, dass es Thomas Scherer auf die Titelseite geschafft hat. Für das Projekt "Heimat entdecken- Identität bewahren" , das von 2011 bis 2014 an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf lief, wurden kleine Prospekte und Flyer gedruckt - vorne drauf der Landwirt und der Kilometerstein von Notzingermoos. Zwei gut gewählte Zeitzeugen.

"Einfach ein Stück Heimat", das ist der Kilometerstein für Helmut Holzmann. Auch ein Stück Kindheit. Denn er weiß noch gut, wie er als Bub an dem Stein, der direkt an der elterlichen Hofeinfahrt in Notzingermoos stand, herumgeturnt ist. "Mit dem Neubau der Straße im Jahr 1974 ist dann der Stein weggekommen", erinnert er sich. Damals habe niemand "auf das alte Glump geachtet". Der Stein blieb über Jahrzehnte verschwunden. Bis vor zwei Jahren ein Baggerfahrer in der Kiesgrube von Notzing den Kilometerstein per Zufall ausbuddelte. "Erst dachten die Notzinger, das wäre der ihre", berichtet Holzmann. Aber nachdem sie die Schrift gesäubert hatten, war klar: "10 km nach Erding", das musste Notzingermoos sein. Mithilfe einer Europalette und einem festen Eisengestell wurde der historische Kilometeranzeiger auf einen Frontlader gepackt und nach Notzingermoos geschafft. Ein Maler vor Ort hat den Stein gereinigt und instandgesetzt, so Helmut Holzmann.

Wie Holzmann anhand von alten Unterlagen des Vermessungsamts herausgefunden hat, ist der Stein bereits 1912 in den Akten vermerkt. Nach Ansicht des Oberdinger Gemeindearchivars Georg Gruber könnte der Stein sogar noch älter sein. Er schätzt, dass der Stein zwischen 1880 und 1950 aufgestellt worden ist. "1871 sind in Bayern die Kilometer eingeführt worden", erklärt der Heimatforscher. Bis zu 1,50 Meter seien die Steine damals hoch gewesen, "ab den 1950er Jahren wurden nur noch kniehohe angeschafft", so Gruber. Neben Erding finde sich am dem Stein auch die Gravur "17 km nach Ismaning". Für Heimatforscher Gruber ist der Stein in Notzingermoos deshalb auch so interessant, "weil er nach Ismaning zeigt". Er müsse also in einer Zeit erstellt worden sein, "als es die Isarbrücke in Grüneck noch nicht gegeben hat" - und der Weg nach Ismaning über Erding führte.

Egal wie alt der Stein ist, Holzmann ist jedenfalls froh, "dass er wieder bei uns angekommen ist". Für den Stein wurde sogar ein eigener Arbeitskreis "Kilometerstein Notzingermoos" eingerichtet. Dieser war die letzte Zeit vor allem damit beschäftigt, einen passenden Standort zu finden. "Das Straßenbauamt verlangte einen Mindestabstand zur Straße", so Holzmann. Nach mehreren Anläufen wurde doch noch ein Plätzchen gefunden und zwar an der Goldacher Straße gleich neben der Bushaltestelle. "Da passt er gut hin", ist Holzmann zufrieden. Jetzt steht der Stein auf sauber gepflastertem Grund und eine Sitzbank wurde daneben auch gleich noch aufgestellt.

Zur "Heimkehr des Kilometersteins ins Notzingermoos" gibt es am Freitag, 27. Mai, 18 Uhr, eine kleine Feier, kündigt Helmut Holzmann an. Treffpunkt ist am Schützenheim Notzingermoos. Dort wird dann Dorothea Hutterer, Doktorandin an der Ludwig-Maximilians-Universität, einen Vortrag halten - über Kilometersteine im Allgemeinen und den Stein von Notzingermoos im Besondern.

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