Süddeutsche Zeitung

"Noten sind fast Nebensache":Begehrter Nachwuchs

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Auch namhafte Unternehmen wie der Erdinger Weißbräu und die Therme haben Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen. Viele Jugendliche gehen lieber weiter in die Schule

Von Christoph Seeger, Erding

Im bevorstehenden Ausbildungsjahr werden im Landkreis Erding wohl wieder zahlreiche Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. Das betrifft nicht nur kleine Firmen, sondern auch größere Unternehmen, wie Kathrin Stemberger von der Agentur für Arbeit bestätigt. Im vergangenen Jahr blieben von 716 gemeldeten Lehrstellen 98 unbesetzt. Dieser Trend geht nicht einmal am Erdinger Weißbräu spurlos vorbei. "Es wird immer schwieriger, geeignete Kandidaten zu finden", sagt Michael Höllinger von der Privatbrauerei. Für das kommende Ausbildungsjahr konnten nicht alle Stellen besetzt werden. Sieben wurden ausgeschrieben, eine bleibt unbesetzt.

Der Grund für diese Entwicklung ist nicht neu: Viele möglicherweise geeignete Schüler gehen nach dem Realschulabschluss auf weiterführende Schulen statt eine Ausbildung zu machen, sagt Höllinger. "Oft auch, weil sie nicht wissen, was sie eigentlich wollen." Höllinger räumt aber ein, dass die Anforderungen an die Bewerber hoch seien, gerade im persönlichen und zwischenmenschlichen Bereich. "Lieber fahren wir eine Nullrunde, statt jemanden zu nehmen, der nicht wirklich zu uns passt." Und damit hat die Brauerei Erfolg: In den vergangenen zehn Jahren hat es Höllinger zufolge keinen einzigen Abbrecher gegeben. Er fügt allerdings an, dass Berufe wie etwa die Fachkraft für Lebensmitteltechnik noch stärker beworben werden müssten. "Da müssen wir unsere Hausaufgaben machen", sagte Höllinger.

Ähnlich ergeht es auch der Gastronomiesparte der Therme Erding. Zwar konnten alle Plätze besetzt werden, aber nur indem eine Ausbildungsstelle durch eine andere ersetzt worden sei. Einen Auszubildenden für den Beruf Koch habe die Therme nicht gefunden, sagt Nicola Ewald, Human-Resources-Manager bei der Therme Erding. Auch sie sieht eine sich zuspitzende Problematik im Ausbildungsbereich. "Früher hätte es für eine Ausbildung in der Hotellerie noch ein Abitur oder einen sehr guten Realschulabschluss gebraucht." Heute gelte: "Noten sind fast Nebensache." Es komme viel mehr drauf an, dass die Auszubildenden menschlich und vom Fähigkeitsprofil in den Beruf passen würden.

Der Beruf des Kochs habe zudem keinen besonders guten Ruf, schon alleine wegen der Arbeitszeiten. Zum anderen sei die Anbindung an den Arbeitsplatz für viele ein Problem. Gerade in der Gastronomie reiche eine Busverbindung von acht Uhr morgens an nicht aus. Auszubildende von der Mittelschule seien jung und auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, um in den Ausbildungsbetrieb zu gelangen. Ewald sieht hier die Politik in der Pflicht.

Beim Taufkirchener Polstermöbelhersteller Himolla sieht die Lage besser aus. Hier konnten alle neun Ausbildungsplätze besetzt werden. Die Suche nach Auszubildenden gestaltet sich aber auch bei Himolla immer schwieriger. Vor ähnlichen Herausforderungen stünden viele Unternehmen gerade im Handwerk, sagt der Erdinger Kreishandwerksmeister Rudolf Waxenberger. "Die jungen Leute wollen keine körperlich anstrengende Arbeit." Viele wollten lieber studieren, auch wenn sie gar nicht wüssten, was sie danach einmal machen wollten. Laut Waxenberger brechen 20 bis 25 Prozent der Auszubildenden im Handwerk die Ausbildung wieder ab, viele innerhalb des Handwerks, zum Beispiel wenn ein Bäckerlehrling eine Mehlallergie entwickelt. Andere Stellen hingegen blieben bis zum Start des nächsten Ausbildungsjahres unbesetzt. Aber es gibt auch Firmen, die von dem Trend verschont bleiben: Bei Bucher Hydrauliks konnten alle Ausbildungsplätze besetzt werden. "Wir kennen unsere Azubis oft schon lange vor der Einstellung", sagt Julia Meier, Human Resources Manager bei Bucher. Die meisten Auszubildenden waren bereits als Praktikanten im Unternehmen. Vielen sei die Firma schon vor der Ausbildungssuche ein Begriff. "Wir sind auch bei vielen Berufsmessen vertreten", ergänzt Meier. Aktuell sehe sie kein Problem, neuen Nachwuchs zu finden.

Die Agentur für Arbeit Freising, die für die Landkreise Erding, Freising, Ebersberg und Dachau zuständig ist, attestiert dem Erdinger Ausbildungsmarkt einen fortlaufenden Trend hin zu weiterer Schulbildung. Und man sieht weitere Hindernisse: Zwar steigt laut Stemberger die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen, gleichzeitig gibt es aber Probleme mit der verbesserungsfähigen Anbindung der Betriebe. Auch das oft junge Alter der Bewerber ist manchmal ein Problem, unter anderem in der Gastronomie. Insgesamt lasse sich aber ein klarer Trend hin zu weiterer Schulbildung nach dem Abschluss erkennen.

Wer bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle noch keinen Erfolg hatte, für den bietet die Agentur für Arbeit eine Last-Minute-Lehrstellenvermittlung am Dienstag, 23. Juli, an. Jugendliche könne sich von 8.30 bis 12 Uhr direkt und ohne Termin mit ihren Bewerbungsunterlagen bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit, Dorfner Straße 14, im ersten Stock melden.

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SZ vom 17.07.2019
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