Süddeutsche Zeitung

Nicht wissenschaftlich belegbar:Stadtjubiläum droht Verschiebung

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Die Gründung Erdings im Jahr 1228 sei ein Mythos. Deshalb fordert der Vorsitzende des Archäologischen Vereins, sich vor den Feierlichkeiten gründlich um die historische Forschung zu kümmern

Von Philipp Schmitt, Erding

Soll die Stadt das 800-jährige Stadtjubiläum 2028 oder doch erst basierend auf den neuesten historischen Fakten zur Stadtgründung 2030 oder 2031 feiern? Dass die vor hundert Jahren von einem Heimatforscher nach den spärlichen Quellen vor der 700-Jahrfeier 1928 auf 1228 datierte Stadtgründung ein Mythos und nicht wissenschaftlich belegbar ist, darauf hatten Vertreter des Archäologischen Vereins Erding (AVE) und Historischen Vereins bereits Ende 2016 hingewiesen. Doch die vom AVE-Vorsitzenden Harald Krause erhobene Forderung, wegen der aktuellen Forschungsergebnisse über eine Verschiebung der Feierlichkeiten nachzudenken ist neu. Krause hatte sie am Montag beim 7. Archäologischen Neujahrsempfang im Museum Erding im Zusammenhang mit der heiklen Datierung der Stadtgründung nun an die Bürgermeister und Stadtratsmitglieder gerichtet. Bislang hieß es dazu vom AVE, dass die Stadt 2028 die 800 Jahre Ersterwähnung Erding - eines historischen Ortes mit mehr als 1000-jähriger Geschichte - trotz der fehlenden urkundlichen Überlieferungen zur Gründungsgeschichte und Stadtmauer wie geplant feiern könne: "Es würde einer Stadt wie Erding, die sich nicht nur finanziell sondern motiviert und engagiert um die wissenschaftliche und historische Erforschung dieser Stadt und ihrer Geschichte kümmert, gut zu Gesicht stehen, das Stadtjubiläum erst 2030 oder 2031 zu feiern. Das wäre ein Kraftakt und mutiger Schritt", sagte Museumsleiter Krause nun beim Neujahrsempfang.

Das exakte Gründungsjahr der Stadt und des Baus der Stadtmauern lasse sich wegen fehlender Quellen nicht bestimmen. Das auf angeblich falschen Überlegungen eines früheren Heimatforschers beruhende vermutete Gründungsjahr 1228 "sollten wir aber, auch wenn es eine heiße Nummer ist, einfach knicken, weil es so definitiv nicht ist", sagte Krause und erhielt dafür zustimmenden Applaus für seinen Vorschlag, die 800-Jahrfeier zu verschieben. Zuvor hatte der AVE-Chef bereits den 3. Archäologiepreis des AVE an das "wahnsinnig fleißige und mit Herzblut engagierte" Mitglied Rudolf Koller aus der Gemeinde Bockhorn für herausragende archäologische Leistungen im Landkreis verliehen.

Oberbürgermeister Max Gotz bezeichnete in seinem Grußwort den AVE und deren Mitglieder als "Bereicherung für die Bürgerschaft". Gerade eine Stadt im Umbruch und im Wandel wie Erding müsse die historischen Wurzeln pflegen um die Identität bewahren: "Es ist wichtig und ich bin froh darüber, dass wir mit dem Archäologischen Verein und den begeisterten Mitgliedern einen so aktiven und gut angenommenen Verein in Erding haben, bei dem historisch interessierte Mitglieder eine sinnvolle Tätigkeit finden und der von Nutzen für die Stadt ist. Dafür bin ich sehr dankbar", sagte Gotz.

Dass die Arbeit bei Grabungen im Landkreis viel Geduld erfordert und nicht immer so abenteuerlich und actionreich wie in Steven Spielbergs und Harrison Fords "Indiana-Jones-Kinoklischee" ist weiß Preisträger Rudi Koller aus mehr als 20-jähriger Erfahrung als Heimatforscher und Hobby-Archäologe: "Ich habe mich sehr über den Preis gefreut", sagte das Gründungsmitglied des AVE, der kurz nach der Verleihung des von Johannes Goldes nach keltischen Motiven gestalteten Preises 60. Geburtstag feiern konnte.

Für Koller sind die fünf noch erkennbaren Keltenschanzen in Waldgebieten im Landkreis nach eigenen Angaben besonders beeindruckend, die er bei Exkursionen auch Gruppen erläutert oder in seinen Publikationen über Keltenschanzen, Grabhügel oder Wallanlagen auch beschrieben hat. Im Verein kümmert sich der Musiker neben den Forschungen an den Fundstellen zudem als Tonmeister um "den Sound" bei Veranstaltungen und um die Buchhaltung. Bei seinem Rückblick auf das archäologische Jahr 2016 in Stadt und Landkreis machte Harald Krause deutlich, dass die Archäologen und ehrenamtlichen Helfer des AVE Hunderte Stunden bei Grabungen an mehreren Fundorten und bei der Sichtung und Reinigung der Stücke im Museum investiert haben. Zudem arbeite der Verein eng mit Vertretern der Stadt zusammen. Wilhelm Wagner ist seit 2016 als Stadtheimatpfleger Archäologie mit von der Partie. Außerdem kooperiert der AVE mit der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU). In Altenerding werden im Sommer Professoren und Studenten der LMU bei einer "Lehrgrabung" gemeinsam mit der Gesellschaft für Archäologie in Bayern an Bodendenkmälern forschen. Schließlich gibt es in der Region Erding seit etwa 7000 Jahren Besiedelungen und deshalb viele Projekte für den vielseitigen AVE. Der Verein hat auch keine Nachwuchssorgen und arbeitet und mit vielen Schulen im Landkreis eng zusammenarbeitet, weswegen zwei Drittel der Mitglieder noch relativ jung sind.

800 Besucher lockten die Vorträge des AVE 2016 ins Museum zu Fachvorträgen oder Reiseberichten von Mitgliedern etwa über den Oman. Der Verein, der sich als Netzwerk für Archäologie sieht und gelebte Geschichte vermitteln will, hat ein Stadtturmfest, Ausflüge in die Steiermark und Rosenheim, Vorträge in Gemeinden, Feldbegehungen auf der A 94-Trasse, Wanderungen mit Schulklassen, Grenzsteinbesichtigung Burgrain, Sondierungsgrabungen und Grabungshilfen auf potenziellen Bauflächen absolviert.

Zudem wurde wissenschaftlich ein "Sensationsfund" aus der Gemeinde Oberding, ein großer frühbronzezeitlicher Spangenbarrenhort, genauer unter die Lupe genommen. In Eschlbach wurde an einem Grabhügel eine Informationstafel eingeweiht und an Fundstellen in Altenerding wurden in der Nähe des früheren karolingischen Königshofs tausende Tierknochen aus dem Spätmittelalter oder der frühen Neuzeit gefunden, die im Museum an der Prielmayerstraße begutachtet wurden, teilte der derzeit an seiner Doktorarbeit über "Keltenschanzen im Landkreis Erding" arbeitende Krause mit.

Für den musikalischen Rahmen sorgte Samuel Pfanzelt. Der AVE (www.archaeologischer-verein-erding.de) wurde 2010 gegründet und hat 143 Mitglieder.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2017
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