Süddeutsche Zeitung

Neustart:Es geht wieder los!

Nach monatelanger Zwangspause finden endlich wieder Konzerte statt, meist unter freiem Himmel. Orchester, Bands und Theatergruppen können die Auftritte kaum erwarten, genauso wie das Publikum

Von Theresa Lackner, Erding

Läden sind geöffnet, Friseurbesuche sind wieder unkompliziert, auch die Gastronomie lädt endlich zum Verweilen ein. Eines hat lange gefehlt, steht nun aber ebenfalls vor der Renaissance: Kultur und Live-Veranstaltungen. Nach der unfreiwilligen Pause steigt die Vorfreude im Landkreis auf allen Seiten. Nicht nur das Publikum musste eine lange Durststrecke akzeptieren, für zahlreiche Kulturschaffende steht in den nächsten Wochen der erste Live-Auftritt vor Publikum seit vielen Monaten an und sorgt für Begeisterung.

"Die Leute haben wieder Bock, wollen sich treffen und ausgehen", beschreibt Michael Benker seinen Eindruck der aktuellen Stimmung. Der Erdinger Musiker freut sich, endlich wieder spielen zu können. Andererseits herrscht auch eine gewisse Nervosität: Kann ich meine Texte noch? Was erwartet das Publikum? Kann ich wieder da ansetzen, wo ich aufgehört habe? "Die Menschen meinen, es sei easy auf der Bühne zu stehen, aber man muss schon sein ganzes Selbstbewusstsein zusammenpacken", sagt Benker, der die Corona-Zeit nicht als besonders inspirierend oder kreativ erfahren hat.

Im Gegensatz zu anderen ist er auch kaum online aufgetreten: "Das ist nichts für mich, ich will die Leute sehen!" Derzeit seien einfach alle froh, dass sie endlich wieder arbeiten dürften. Ein Rest Skepsis bleibt, denn das Notbremsekonzept schwebt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen von Musikern und Veranstaltern. Betroffen macht Benker, dass einige Künstlerinnen und Künstler während des Lockdowns das Handtuch werfen mussten und jahrelange harte Arbeit verloren ging. Das ärgert ihn, denn er kenne keinen Künstler, der ein "fauler Hund" sei.

Nichtsdestotrotz kann der Allrounder der Pandemie auch etwas Positives abgewinnen. Bei vielen sei das Bewusstsein größer geworden, wie gut es einem in Deutschland trotz Krise gehe: "Unser Lebensstandard ist nicht selbstverständlich."

Auch für Ulli Büsel haben die langen Monate der Zwangspause einiges verändert. Die Orchesterleiterin hat hart dafür gekämpft, ihr Jugendkammerorchester Violinissimo in der auftrittsfreien Zeit zusammenzuhalten. Die erste Veranstaltung findet nun am 20. Juni in Erding vor etwas mehr als 100 Menschen statt. Das Benefizkonzert zugunsten des Hospizvereins Erding wird an der Himmelsleiter im Stadtpark stattfinden und ist ausverkauft. Einen viel längeren Atem hätte sie dann auch nicht gehabt, betont Büsel. Man nehme einiges in Kauf, um wieder auftreten zu können, denn für Streichmusiker sei das Musizieren an der frischen Luft aufgrund der Akustik nicht ganz einfach.

"Die Lust am gemeinsamen Musizieren ist bei uns ohnehin riesig, aber jetzt umso mehr", sagt Büsel. Während der Pause habe sich das Orchester mit großem Fokus auf zukünftige Veranstaltungen vorbereitet, geplant und ein neues Programm entworfen. In den Präsenzproben werden nun die Puzzlestücke zusammengefügt.

Ulli Büsel erwartet sehr besondere Veranstaltungen - für Publikum und Musikerinnen und Musiker gleichermaßen. Einige Orchester haben während des Lockdowns aufgegeben, die Erdinger Jugendmusiker haben laut ihrer Leitung dagegen ihren Zusammenhalt weiter gestärkt, haben eine ganz besondere Entwicklung durchgemacht. Mit ihrem eigenen Einsatz und Kampf hofft Büsel den jungen Menschen auch eine Lektion fürs Leben mitgeben zu können: "Es geht darum, nicht aufzugeben, sondern dranzubleiben und dankbar zu sein, für das, was man hat und was man sich erkämpfen kann."

Erkämpfen mussten sich die Initiatoren des Wartenberger Kultursommers bei der Organisation nichts, sondern stießen auf viel Unterstützung. Die Vorfreude im ganzen Ort sei riesengroß, fast alle Vereine seien mit im Boot, erzählt Bürgermeister Christian Pröbst, und hält die Veranstaltungsreihe für ein absolutes Highlight dieses Jahr. Sie können sich vor Anfragen von Bands und Vereinen kaum retten und haben, wie er sagt, "eine Riesenfreude" an den Vorbereitungen.

Nach dem vollen Erfolg im vergangenen Jahr, in dem die Band DeSchoWieda ein Open-Air-Konzert am Nikolaiberg spielte, soll der Kultursommer in Wartenberg in den nächsten Jahren zur Tradition werden. Die Bühne am Nikolaiberg ist aufgebaut, das Programm steht und die Tickets sind fast restlos ausverkauft. Einweihen wird die Bühne am 18. Juni die Kabarettistin Martina Schwarzmann, auch die Keller Steff Band und DeSchoWieda werden die Wartenberger zu hören bekommen.

Das Konzept scheint aufzugehen. Der Markt schafft die Basis mit dem Aufbau der Bühne und stellt diese den Vereinen zur Verfügung. Fürs Publikum werden 6 mal 6 Meter große Felder aufgemalt, in denen sich jeweils zehn Personen auf Biertischgarnituren aufhalten können, die zu einer Art Couch mit Rückenlehne umgebaut wurden. Unter diesen Rahmenbedingungen können die Vereine ihre Veranstaltungen leichter stemmen und das Geld verdienen, das sie dringend brauchen.

Optimistisch in die Zukunft blickt auch Renate Eßbaumer von der Volksspielgruppe Altenerding. In Zusammenarbeit mit Doris Bauer hat die Gruppe die beliebten Stadtführungen wiederaufleben lassen. Die Mimen sind dafür fleißig am Proben, denn Ende Juni fällt der Startschuss. Wie das Publikum ticken wird, kann Eßbaumer schlecht einschätzen, geht aber davon aus, dass es froh sein wird, "dass wieder etwas geht". Und ein gutes hatte die spielfreie Zeit auch: "Selbst der, der sonst nie lernt, konnte in der ersten Probe seinen Text."

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Quelle:
SZ vom 12.06.2021
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