Süddeutsche Zeitung

Neufahrn:Straßennamen wider das Vergessen

Von Birgit Grundner, Neufahrn

Manche denken bei dem Namen Bichlmeier womöglich zuerst an einen Tattoo-Laden. Ein solcher befand sich zuletzt in dem Gebäude schräg gegenüber der alten Kirche, das ein Holzschild nach wie vor als Kolonialwarengeschäft von Martin Bichlmeier auswies. Dessen spannende Vita kennen dagegen vermutlich nur noch ältere Neufahrner. Aber demnächst entsteht auf dem Areal ein neues Wohngebiet, ein Weg soll nach Bichlmeier benannt werden. Auch Straßen im Neubaugebiet-Ost bekommen die Namen von Neufahrner Persönlichkeiten. Die Vorschläge waren vom Heimat- und Geschichtsverein gekommen. Vorsitzender Ernest Lang hat diese Lebenswege nachgezeichnet.

Bichlmeier (1885-1950) war nicht nur Kramer, sondern auch Gemeindeschreiber und Lokaljournalist, bis er nach der Machtergreifung der Nazis "einer Säuberungsaktion zum Opfer gefallen" ist, wie Lang berichtet. Die amerikanischen Besatzer machten Bichlmeier 1945 zum Bürgermeister. Sein Amt übte er bis zu den ersten Wahlen 1946 und damit in einer schwierigen Lage aus: Zu der Zeit waren viele entlassene Kriegsgefangene und Häftlinge aus dem KZ-Außenlager im Ort und mussten versorgt werden. Bichlmeier gehörte auch der Spruchkammer zur Entnazifizierung an. Sein Nachfolger wurde Georg Böswirth, der 1948 die Wahl gegen Georg Herpich verlor. Dieser hatte schon in der NS-Zeit an der Spitze der Gemeinde gestanden. Es stellte sich heraus, dass Herpichs Entnazifizierung noch nicht rechtskräftig war. Das Amt durfte er 1948 nicht antreten, doch er setzte sich vier Jahre später durch und blieb bis 1964 Bürgermeister.

"Keinerlei Naziaktivitäten" sind laut Lang im Fall von Josef Pleßl (1886-1968) bekannt. Dieser soll verhindert haben, dass ein abgeschossener US-Pilot in Neufahrn von örtlichen Nazis erschlagen wurde. Der "Schloßbauer", so der Hausname, war Kirchenpfleger, Ortschronist und eine einflussreiche Persönlichkeit. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielte Pfarrer Franz Götzberger (1908-1996) in der Ortsgeschichte: In seiner Zeit wurde 1958 die erste Saalkirche erbaut. In den Sechzigerjahren folgten die neue Pfarrkirche und der erste Kindergarten. Zuvor war im Gemeinderat diskutiert worden, ob Neufahrn "so was braucht", fügte Lang schmunzelnd hinzu. Der Geistliche half auch bei einem umfangreichen Grundstückstausch, welche die Ansiedlung von Avon ermöglichte. Wohnsiedlungen sind damals ebenfalls auf Kirchengrund entstanden.

Die neuen Straßen im Neubaugebiet-Ost sollen auch an die viel frühere Ortsgeschichte erinnern: Josef Grimmer (1849-1904) war 30 Jahre lang Bürgermeister. In seine Amtszeit fielen etwa die Renovierung der Wilgefortiskirche, die Eröffnung einer Postexpedition, der Bau der Isarbrücke und ein interessanter Gemeinderatsbeschluss: Anno dazumal wurden die Sommerferien schon mal geteilt, damit die Kinder bei der Ernte helfen konnten.

In der Amtszeit von Matthias Kratzl (1869-1933) wurde eine Schule gebaut. Die Nazis hätten ihn "mit brachialer Gewalt abgesetzt" und zur Herausgabe der Gemeindeakten gezwungen. Die Aufregungen waren wohl zuviel: Der herzkranke Kratzl starb wenig später.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2019
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