Süddeutsche Zeitung

Neues Gesetz:Froh um jeden Strohhalm

Sozialverbände und Sozialministerin Christine Haderthauer kritisieren die Pflegereform. Die Dienste im Landkreis aber sind sicher, dass sich die Situation für Menschen im Anfangsstadium einer Demenzerkrankung verbessert hat

Von Sarah Schiek

Verbesserungen für Demenzkranke sollen das Kernstück des sogenannten Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes (PNG) sein, dessen Regelungen seit dem 1. Januar dieses Jahres gelten. Je nach Pflegestufe erhalten demenziell Erkrankte, die zu Hause gepflegt werden, nun monatlich zwischen 70 und 250 Euro zusätzliches Pflegegeld oder Pflegeleistungen von den Pflegekassen.

Auch altersverwirrte Menschen, die bislang keiner Pflegestufe zugeordnet waren, aber so vergesslich sind, dass sie im Alltag Hilfe benötigen, können nun ein Pflegegeld von monatlich 120 Euro beantragen oder für bis zu 225 Euro die Hilfe eines Pflegedienstes in Anspruch nehmen. Während viele Sozialverbände und zuletzt Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) die Pflegereform als unzureichend kritisieren, sind sich die Pflegedienste im Landkreis Erding einig, dass sich die Situation vor allem für Menschen im Anfangsstadium einer Demenzerkrankung verbessert hat.

"Die Neuerungen bringen auf jeden Fall etwas, auch wenn sie natürlich umfangreicher hätten sein können", meint Andrea Schilling, Leiterin des Fachmanagements Ambulante Versorgung bei der Pflegestern Seniorenservice gGmbH, zu deren Gesellschaftern im Landkreis Erding auch die Gemeinden Finsing und Oberding zählen.

Gerade im sogenannten niederschwelligen Bereich der Pflegestufe 0 sei es für viele der pflegenden Angehörigen bereits eine wichtige Hilfe, wenn sie die Betroffenen beispielsweise zwei Mal pro Woche zu einer Nachmittagsbetreuung bringen oder stundenweise einen Demenzhelfer oder Pflegedienst ins Haus holen könnten. "Wenn man sich 24 Stunden am Tag um einen Demenzkranken kümmert, ist das natürlich nur eine punktuelle Hilfe, die aber durchaus ihre Berechtigung hat."

Wie Schilling berichtet, werden 80 Prozent der Demenzkranken zuhause gepflegt, zumeist vom Partner oder den Kindern. "Die allermeisten wollen ihre Kranken auch daheim behalten, aber bisher war das oft nur sehr schwer zu leisten."

Oft seien die Angehörigen, die in die Beratungsstellen des Pflegesterns kämen, schon sehr belastet und erschöpft. "Viele bekommen von solchen Neuerungen wie der Gesetzesreform gar nichts mit. Wenn wir sie dann aber über die Möglichkeiten informieren, werden diese von den allermeisten sehr gern in Anspruch genommen und auch voll ausgeschöpft." In dieser Situation, so Schilling, seien Betroffene und Angehörige "froh um jeden Strohhalm".

Ion Stoica, Geschäftsführer des ambulanten Pflegedienstes Providus in Erding, stimmt ihr zu: "Die Leistungen der Pflegestufe 0 machen schon etwas aus, allerdings können sich die meisten der Betroffenen zu diesem Zeitpunkt mit Hilfe der Angehörigen noch recht gut selbst versorgen." Viel wichtiger als Pflegeleistungen sei es in solchen Fällen, sich bei Spaziergängen, Spielen und Gesprächen über die Vergangenheit mit den Demenzkranken zu beschäftigen. "Mit vier bis acht Stunden im Monat, die man sich für 100 bis 200 Euro Pflegegeld leisten kann, kommt man da allerdings nicht weit", findet Stoica.

Trotzdem nehmen viele seiner Kunden diese Leistungen in Anspruch, die auch für die Angehörigen eine wichtige Entlastung bieten. "Die meisten nutzen die Zeit, um Dinge wie Arztbesuche oder Einkäufe zu erledigen, zu denen sie sonst nicht kommen." Martin Maierthaler, stellvertretender Pflegedienstleiter der Caritas Sozialstation Erding, bestätigt die Beobachtung seines Mitbewerbers. "Eine Pflegeversicherung ist kein Vollkaskoschutz - je nachdem, was man braucht, muss man so oder so etwas drauflegen.

Aber gerade für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz ist die Situation durch die Pflegereform merklich besser geworden." Mit 225 Euro, so Maierthaler, könne man sich einen ambulanten Dienst bereits ein- bis zweimal pro Woche ins Haus holen. Bei den 665 Euro an Sachleistungen, die Betroffenen der Pflegestufe I zustehen, seien sogar fünf kürzere Hausbesuche drin. "Pauschal lässt sich das allerdings nicht sagen, denn die Leistungen sind je nach Pflegekatalog verschieden." Betroffenen und Angehörigen rät er deshalb, sich beraten zu lassen und die Angebote verschiedener Pflegedienste zu vergleichen.

Wie Schilling und Stoica hat auch Maierthaler in den vergangenen Jahren einen Anstieg der demenziellen Erkrankungen beobachtet. Bereits heute sind bis zu 1,4 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz erkrankt. Nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums soll ihre Zahl bis zum Jahr 2030 auf etwa 2,2 Millionen steigen. Selbst im Landkreis Erding als einem der jüngsten in der gesamten Bundesrepublik sind immer mehr von der Krankheit betroffen. "Als ich vor elf Jahren angefangen habe, war es die Ausnahme, dass jemand dement ist", sagt Andrea Schilling. "Heute ist es die Regel."

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SZ vom 29.05.2013
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