Süddeutsche Zeitung

Neuapostolische Kirche:Bibeltreu, aber nicht weltfremd

Die Neuapostolische Kirche in Erding feiert ihr 60-jähriges Bestehen. Die 223 Mitglieder der Gemeinde wollen sich und ihre Kirche vorstellen und laden in ihr Gotteshaus ein

Von Regina Bluhme, Erding

Das Gotteshaus der Neuapostolischen Kirche an der Krankenhausstraße ist ein unscheinbarer Bau, ohne Zwiebelturm, ohne mächtiges Portal. Nur ein blaues Banner an der Hauswand fällt seit einiger Zeit ins Auge. Es verkündet ein rundes Jubiläum: Die Gemeinde feiert an diesem Wochenende ihr 60-jähriges Bestehen in Erding. Am morgigen Samstag, 10. September, können sich die Besucher am Tag der offenen Tür über die christliche Gemeinschaft informieren, die ihren Auftrag in der Verkündigung des Evangeliums sieht und immer noch Apostel in ihren Reihen hat, die bibeltreu, aber auch durchaus weltoffen ist. Zum Festgottesdienst am Sonntag sind Besucher ebenfalls willkommen.

Gemeindevorsteher und Priester Matthias Eifrig wartet im Foyer der Kirche auf die Besucher von der Zeitung. Anzug und Krawatte, etwas Gel im Haar, Hornbrille und ein kräftiger Händedruck. Der 38-Jährige führt gleich weiter in den lichtdurchfluteten Altarraum. Die freien weißen Wände bilden einen schönen Kontrast zu den warmen Brauntönen der Kassettendecke, der Orgel, des Altartisches und der Stühle. "Es sind 99 Stühle", erklärt Matthias Eifrig mit einem Lächeln. 99 - wie die 99 Schäfchen aus der Herde von ursprünglich 100, die Jesus in der Bibel zurückließ, um das eine verirrte Schaf zu suchen. "Jeder einzelne ist wertvoll", sagt Eifrig.

Zwei Mal in der Woche, Sonntagvormittag und Mittwochabend, feiert die Neuapostolische Gemeinde hier Gottesdienst. Aktuell hat die Erdinger Gemeinde laut Eifrig 223 Mitglieder: 19 Kinder, 46 Jugendliche, 118 Erwachsene und 40 Senioren. "Wir sind eine gute Mischung", sagt der Vorsteher der Gemeinde, in der sieben Priester und zwei Diakone ehrenamtlich Dienst tun. Während des Gottesdiensts besuchen die Kinder im ersten Stock den Religionsunterricht. In den Sonntagsschulen lernten sie altersgerecht das Evangelium kennen, sagt Eifrig.

Die Geschichte der Neuapostolischen Kirche in Erding beginnt eigentlich schon vor 61 Jahren. Mattias Eifrig hat sie in einer kleinen Chronik zusammengefasst. 1955 kamen die ersten Brüder in die Stadt. Der erste neuapostolische Gottesdienst wurde am 11. September 1955 im Nebensaal der Gaststätte Schöner Turm abgehalten, während nebenan lautstark Karten gespielt wurde. "Erst ab Januar 1956 wurde ein Kirchenbuch geführt, deshalb gilt Erding ab diesem Jahr offiziell als eigenständige Gemeinde", sagt Eifrig.

Mit der Eröffnung des Fliegerhorsts 1958 zogen immer mehr neuapostolische Gläubige nach Erding. 1960 zählte die Gemeinde immerhin 60 Mitglieder. Nach wechselnden Versammlungsstätten konnte 1959 das erste Stockwerk des Zollamts angemietet werden. 1971 wurde an der Krankenhausstraße ein Grundstück gekauft und die heutige Kirche darauf errichtet. Nach einer Verpuffung in der Heizungsanlage 1988 musste ein Teil des Gebäudes grundlegend renoviert und umgebaut werden. "In dieser Zeit wurden die Gottesdienste im Pfarrsaal der katholischen Kirche St. Johann durchgeführt", sagt der Gemeindevorsteher.

Weltweit hat die Neuapostolische Kirche, die seit 1863 besteht, etwa 8,8 Millionen Mitglieder in über 60 000 Gemeinden auf allen Kontinenten. Es gibt nur wenige Hauptamtliche. Die Gemeinden finanzieren sich über Mitgliederspenden. Das Oberhaupt ist der Stammapostel, "sozusagen wie der Papst bei den Katholiken", sagt Eifrig. Derzeit wird die Kirche vom Stammapostel Jean-Luc Schneider aus der Schweiz geleitet. Nach ihm kommen die Apostel, die die Bischöfe unterstützen. Es gibt auch die Ämter der Hirten, Diakone und Evangelisten. Priester wie der zweifache Familienvater Mattias Eilig tragen übrigens kein Messgewand zum Gottesdienst, sondern schwarzen Anzug, weißes Hemd und schwarze Krawatte "und natürlich schwarze Socken", fügt er hinzu und schmunzelt.

Ein Leben im Sinn Jesu nach der Werteordnung des Evangeliums und dem Gebot der Nächstenliebe - das werde den neuapostolischen Christen gelehrt, so Eilig. Bibeltreu sind sie, aber nicht weltfremd. Abtreibungen zum Beispiel lehnen die Gläubigen strikt ab, "denn wir glauben, sobald neues Leben entstanden ist, hat es auch eine Seele", so Eilig. Verhütung ist dagegen laut Eilig "kein Thema". Homosexuelle wiederum dürfen kein Priesteramt ausüben, aber grundsätzlich sei "jeder so anzunehmen wie er ist", sagt Eifrig. Die Kirche unterstützt soziale Einrichtungen wie zum Beispiel die Tafel Erding oder den Christophorus Hospizverein Erding und es gibt ein eigenes Hilfswerk, das Missionswerk der Neuapostolischen Kirche Süddeutschland.

"Wir respektieren den Glauben anderer", fügt der Gemeindevorsteher hinzu. Er verweist auf gemeinsame Andachten in der katholischen Kirche in Niederding und den Ökumenischen Stadtkirchentag, der im September kommenden Jahres in Erding stattfindet. "Wir sind alle Teil der Kirche Jesu Christi", betont Matthias Eifrig. Deshalb freue er sich sehr, dass beim Jubiläumsfestakt am Samstag sowohl Philipp Kielbassa vom katholischen Pfarrverband Erdinger Moos als auch Daniel Tenberg von der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Erding ein Grußwort sprechen werden.

Am Tag der offenen Tür, Samstag, 10. September, können die Besucher ab 13 Uhr an Kirchenführungen teilnehmen, eine Ausstellung zur Geschichte der Gemeinde besichtigen oder mit Mitgliedern ins Gespräch kommen. Um 17 Uhr findet ein Festakt statt. Zum Abschluss wird am Sonntag, 11. September, um 9.30 Uhr ein Festgottesdienst gefeiert, der allen Interessenten offensteht. Die Neuapostolische Kirche befindet sich in Erding an der Krankenhausstraße 6 neben dem Landratsamt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3153657
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.09.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.